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Taktiktafel: Hannover (A)

Der Trainer…

… war kurze Zeit einmal taktischer Vorreiter. Als Mirko Slomka in seiner ersten Amtszeit bei Hannover 96 zweimal in Folge in die Europa League führte – und dort einmal sogar ins Viertelfinale – sprachen viele in Fußballdeutschland von seiner „Zehn-Sekunden-Regel“. Slomka hatte postuliert, dass nach Balleroberung möglichst binnen zehn Sekunden zum Abschluss gebracht werden sollte. Denn, so Slomka, in der Regel benötige eine Mannschaft etwa zehn Sekunden, um sich wieder in die Grundordnung zu bewegen, so lange habe man Zeit, die Unordnung auszunutzen.

Irgendwann fanden die Gegner aber ein Gegenmittel, die Reorganisation nach Ballverlust lief schneller und Slomka war entzaubert. Auf die Entlassung zur Winterpause 2013/14 in Hannover folgten Kurzauftritte: 2014 hielt Slomka mit dem HSV die Klasse, obwohl man nur eins der letzten elf Spiele gewann. Nach einem Bundesligastart mit drei weiteren Spielen ohne Sieg war dann aber in Hamburg Schluss. Im Januar 2017 beim KSC ging es Slomka nicht besser. Nach acht Punkten aus zehn Partien war das Engagement in Karlsruhe beendet. Slomka blieb ohne Anstellung, bis er im Sommer erneut bei Hannover anheuerte, wo er in acht Spielen auf acht Punkte kam.

Die Grundordnung…

… hinterlässt noch etwas Fragen hinsichtlich der Kaderstruktur. Mirko Slomka setzt zwar nicht mehr so massiv auf schnelles Umschalten wie vor zehn Jahren, aber Tempo und Vertikalität sind dennoch immer noch wichtige Elemente von Hannovers Spiel. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass man in der Liga die höchste Erfolgsquote bei Dribblings hat, gleichzeitig aber auch einen der höchsten Werte in Sachen lange Bälle hat: Erst kommt der lange Schlag und wenn der ankommt, das Dribbling. Für diesen Aspekt des Spiels ist der Kader mit Spielern wie Teuchert, Muslija und Maina auch sehr gut geeignet.

Anders sieht es mit der Flügellastigkeit des Spiels aus. Viele Angriffe der Niedersachen laufen über die Außenbahnen, dort kamen mit Teuchert und Muslija aus Ermangelung an Alternativen aber zuletzt auch Spieler zum Zuge, die von ihrer Anlage her eher im Zentrum anzusiedeln wären.  96 löste jenes Problem in den Spielen meist geschickt, indem es auf hohe Flanken von der Seite verzichtete und stattdessen die Bälle flach in die Mitte spielte. In Sachen Flankenpräzision hat Hannover dann auch mit 29 Prozent angekommenen Flanken den drittschlechtesten Wert der Liga. Der FCN ist allerdings noch schwächer (26%).

In der Grundformation wechselt Mirko Slomka noch viel durch. Wurde vor der Länderspielpause meist im 3-4-1-2 gespielt, agierte Hannover in den letzten zwei Spielen mit einem 4-2-3-1. Man wechselte als wie der FCN auch zwischen Dreier- und Viererkette in der Abwehr, ohne dass die eine oder die andere Variante mehr oder weniger Zugriff auf die Angreifer versprach.

Die letzten Spiele…

… erinnerten ebenfalls in vielerlei Hinsicht ein wenig an den 1. FC Nürnberg: Ein Absteiger, der mit den Erwartungen um den Aufstieg mitspielen zu müssen kämpft. Ein neuformierter Kader, der zu sich finden muss. Ergebnisse, die insgesamt unzureichend. Eine hohe Niederlage gegen den HSV. Zwei Unentschieden vor heimischer Kulisse. Auch tabellarisch liegen der Club und Hannover – wie in der Vorsaison – wieder nebeneinander.

Gemeinsam haben beide Teams auch, dass es ihnen bisher oft schwer fiel, in die von beiden Trainern gern gesehenen Temposituationen zu kommen und gerade beim Aufbauspiel oft die Lücken zwischen den Mannschaftsteilen groß waren, so dass die Struktur hier verloren ging. Doch während sich für den Club dennoch eine erhebliche Summe an Abschlüssen ergibt – 106, nur Stuttgart hat mehr – kommt Hannover selten zum Torabschluss: 74 Schüsse sind der zweitgeringste Wert der Liga.

Der Schlüsselspieler…

…  spielt kaum Fehlpässe, gibt dem Spiel das Tempo vor und hat dem FCN einst ein eine Derbyniederlage beschert: Edgar Prib. Der Ex-Fürther lief in den letzten beiden Spielen, als Marvin Bakalorz nicht in der Startelf stand, sogar als Kapitän von Hannover auf. In die vergangenen beiden Spielzeiten fehlte Prib fast komplett wegen zwei Kreuzbandrissen, nun ist das Produkt des Fürther Nachwuchsleistungszentrums wieder dabei und muss gleich eine wichtige Rolle einnehmen.

In dieser Saison stand Prib trotz zuvor 67 in Folge verpassten Pflichtspielen immer in der Startelf, war meist bis zum Schluss dabe und agierte immer im zentralen Mittelfeld und nicht wie früher oft auf der Außenbahn. Dabei ist der 29-Jährige sowohl für das Pressing wichtig, da er oft Druck auf den gegnerischen Sechser ausübt, als auch für das Einleiten des eigenen Angriffsspiels vor der Abwehr. Gleichzeitig ist er auch oft derjenige, der das Tempo bestimmt, indem er sich für den strategischen Rückpass entscheidet. Seine Passquote bei diesen Rückpässen: Fehlerlose 100%. Etwas, das bei keinem Nürnberger Mittelfeldspieler zu Buche steht.

Doch auch wenn die Pässe nicht rückwärts gespielt werden, ist Prib noch ein präziser Passspieler, bringt 70 Prozent aller Vorwärts- und 90 Prozent aller Querpässe an. Gleichzeitig ist er der Mittelfeldspieler mit den meisten abgefangenen Bällen pro Spiel und den zweitmeisten erfolgreichen Defensivaktionen, bildet egal ob neben Bakalorz, Haraguchi oder Aogo das Herz des Spiels von Hannover 96.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 27. September 2019 unter dem Titel „Ein Fürther Junge als Herzstück“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Karlsruhe (H)

Der Trainer…

… ist nach Hecking und Schmidt der dritte gegnerische Coach mit Clubvergangenheit. Alois Schwartz war Nachfolger von René Weiler und Vorgänger von Michael Köllner. Im Gegensatz zu ihnen feierte Schwartz keine Erfolge mit dem Club, wurde nach einem 0:1 gegen Fürth und vier Punkten aus sechs Rückrundenspielen entlassen. Neben der Außendarstellung, die oft so wirkte, als sei Nürnberg Schwartz einfach ein wenig zu groß, war die Hauptkritik am 52-Jährigen tatsächlich fußballerisch: Defensiv, antiquiert, einfallslos, langweilig waren die Adjektive, mit denen die Spielweise des FCN beschrieben wurde.

Zumindest in Sachen „defensiv“ würde Schwartz seinen Kritikern wahrscheinlich nicht widersprechen. Fußball unter Alois Schwartz lebt von der defensiven Stabilität, weswegen er im Gespräch mit der Pforzheimer Zeitung unumwunden zugibt, dass ihn die hohe Zahl an Gegentoren in dieser Saison – nur bei Wiesbaden und Bochum stehen mehr zu Buche – wurmt: „Wir haben zu viele Gegentore hinnehmen müssen. Die Balance zwischen Offensive und Defensive müssen wir wieder verbessern. Aber: Im Moment wird jeder Fehler, der uns unterläuft, bestraft.“

Die Grundformation…

… war in der Liga mit Ausnahme von wenigen Minuten stets ein 4-4-2. Allerdings wechselt Alois Schwartz die Formation je nach Gegner und Spielsituation zwischen einem flachen 4-4-2 und einem 4-4-2 mit Raute. Die Frage, die sich für Alois Schwartz also stellt, ist, ob er gegen das 3-3-2-2 von Damir Canadi auf eine doppelte Besetzung der Außen setzt oder lieber das Zentrum stärkt. Im flachen 4-4-2 würden gegen die Flügelverteidiger des FCN, welche nominell die Seiten allein beackern, zwei Spieler stehen. Im 4-4-2 mit Raute dagegen würde man dem numerisch stark besetzten Mittelfeldzentrum mit eigener Kompaktheit entgegengetreten.  

Das 4-4-2 mit Raute wurde zu Beginn der 2000er Jahre durch die Erfolge von Werder Bremen präsent, wird aber auf Grund dessen, dass es nur mit starken Außenverteidigern nicht flügellahm ist und zusätzlich eines kreativen Spielmachers bedarf, inzwischen nur noch selten von Trainern als primäres System gewählt. Egal mit welcher Grundformation Schwartz auflaufen lässt, ist sein grundsätzlicher Ansatz, dass aus einer kompakten Defensive schnell umgeschaltet und nach vorne gespielt werden soll. Das führt dazu, dass der KSC kein Team ist, das Ballbesitzfußball spielt und in dieser Kategorie ligaweit den vorletzten Platz belegt.

Die letzten Spiele…

… waren eine Sache von Serien: Erst gab es in Pokal und Liga drei Siege am Stück, dann setzte es drei Niederlagen. Im ersten Spiel nach der Länderspielpause gewann der KSC jetzt wieder. Beim 1:0 gegen Sandhausen blieb der KSC erstmals in dieser Zweitligasaison ohne Gegentor. Dennoch zeigte sich die Karlsruher Defensive auch im Nachbarschaftsduell nicht immer sattelfest. Wie in den Spielen zuvor taten sich die Badener mit tief in den Raum vor die Innenverteidiger gespielten Bällen schwer. Egal ob die gegnerischen Angreifer den Ball auf nachrückende Spieler verteilten oder selbst mit Tempo verarbeiteten, hier fehlte Pisot und Gordon im Abwehrzentrum oft die Fähigkeit zum Zugriff. Etwas, das der Club in Form von Michael Frey ausnutzen könnte.

Andererseits waren die Karlsruher bisher in der Offensive nach hohen Hereingaben überdurchschnittlich gefährlich. Sechs der zehn Karlsruher Tore fielen nach hohen Bällen, hinzu kamen eine nicht unerhebliche Zahl an Gelegenheiten nach Standards und Flanken. Ligaweit hat der KSC die beste Quote in Sachen gewonnene Kopfballduelle und zieht einen wesentlichen Teil seiner Offensivstärke aus diesem Fakt. Gerade im Hinblick auf die Probleme, die sich in der Club-Deckung in Darmstadt in Sachen Kopfballspiel offenbarten, wird hier ein Ansatzpunkt der Gäste morgen liegen.

Der Schlüsselspieler…

…  ist mit vier Vorlagen in sechs Spielen derzeit unter den besten Vorbereitern der Liga. Marvin Wanitzek tritt beim KSC die Ecken von rechts und bereitete so Philipp Hofmanns Kopfballtore in Wehen und gegen Dresden vor. Ein Teil der Standardstärke Karlsruhes rührt also aus Wanitzeks Fähigkeiten am ruhenden Ball, denn auch Wanitzeks zweite Vorlage auf Hofmann gegen Dresden war technisch gesehen ein Standard. Allerdings war es ein schnell ausgeführter flacher Freistoß.

Darüber hinaus ist Wanitzek aber auch dann, wenn der Ball rollt, im zentralen Mittelfeld Schaltzentrale des KSC-Spiels. Im flachen 4-4-2 bildet er mit Fröde die Doppel-Acht, im 4-4-2 mit Raute spielt Wanitzek auf der Zehn. Der in Hoffenheim und Stuttgart ausgebildete Badener taucht in fast allen statistischen Kategorien mannschaftsintern an der Spitze auf: Egal ob erfolgreiche Dribblings, gewonnene Offensivzweikämpfe, geschlagene Flanken, gespielte Steckpässe oder eroberte Bälle, Wanitzek ist stets unter den besten drei Karlsruhern. Die Spieler vor ihm sind aber in jeder Kategorie andere.

Viel wird morgen also davon abhängen, wie Johannes Geis den 26-Jährigen in den Griff bekommt und ob der Club wenige Standards zulässt. Denn, wenn Wanitzek von rechts und Marc Lorenz von links genug Ecken und Freistöße schlagen dürfen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein Ball den Kopf von Hofmann, Gordon oder Pisot findet und der von dort den Weg ins Club-Tor.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 20. September 2019 unter dem Titel „Auf der Suche nach der Balance“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Darmstadt (A)

Der Trainer…

… ist in seiner ersten Station als Profitrainer. Dimitrios Grammozis war zuvor fünf Jahre lang in verschiedenen Funktionen beim VfL Bochum tätig, ehe ihn Darmstadt als Nachfolger von Dirk Schuster engagierte. Gleich in der Pressekonferenz zum Amtsantritt legte der 40-Jährige seine Fußballphilosophie dar: „Ich bin ein Trainer, der nicht so gerne in eine Schublade gesteckt wird. Man muss sich immer an die Gegebenheiten anpassen. Aber darüber hinaus ist es am wichtigsten, Lösungen für das nächste Spiel zu finden.“

Dieser eher pragmatische Ansatz zeigte Wirkung. Nachdem unter Schuster in 22 Spielen 23 Punkte geholt wurden, fuhren die Lilien unter Grammozis 2018/19 in elf Spielen 20 Punkte ein. In jenem Zeitraum waren nur Sandhausen und Bielefeld besser. In Grammozis‘ Pragmatismus war auch beinhaltet, dass er nicht versuchte, der Mannschaft den typischen „Dirk-Schuster-Fußball“, d.h. defensive Stabilität, offensiv langer Hafer, auszutreiben, sondern baute darauf auf.

Die Grundordnung…

… soll nun aber so langsam wegführen vom klassischen Fußball wie ihn Schuster in zwei Amtszeiten in Darmstadt mit unterschiedlichem Erfolg spielen ließ. Grammozis legt zwar weiter wert auf die Defensive, versucht aber in der Offensive mehr flaches Passspiel und kontrollierten Aufbau zuzulassen. Dabei ist auffällig, dass das Spiel sehr darauf ausgelegt ist, mit Tempo vor das gegnerische Tor zu kommen. Dadurch, dass auf rechts mit Marcel Heller (siehe Schlüsselspieler) ein Spieler mit hoher Endgeschwindigkeit auf dem Platz steht, wird der Spielaufbau fast zwangsläufig extrem rechtslastig.

In Sachen Grundformation wechselt Grammozis zwischen einem flachen 4-4-2 und dem klassischen 4-2-3-1. Beide Formationen wirken aber durch die Rechtslastigkeit des Spiels oft assymetrisch, da Heller in der Regel deutlich offensiver agiert als Skarke. Abhängig davon wie der Rechtsverteidiger auf den Vorwärtsdrang reagiert, ergeben sich entweder direkt hinter Heller im Mittelfeld – falls der Rechtsverteidiger nicht konsequent nachschiebt, wozu Herrmann neigt – oder hinter dem Rechtsverteidiger – falls er nachschiebt, wozu Egbo neigt – Räume, die man ausnutzen kann.

Gegen Sandhausen spielte Heller überraschend auf der linken Seite. Ob das nur eine Maßnahme war, um den Sandhäuser Rechtsverteidiger Dennis Diekmeier zu binden oder eine dauerhafte Umstellung, bleibt abzuwarten.

Die letzten Spiele…

… blieb der SV Darmstadt 98 torlos. Das letzte der insgesamt nur drei Saisontore fiel am zweiten Spieltag gegen Holstein Kiel per Strafstoß. Ohne Hilfe durch einen schweren Fehler des Gegners haben die Lilien noch gar keinen Treffer erzielt. Sucht man für die Gründe der offensiven Probleme der Hessen findet man sie schnell in den Aufbaustatistiken: Darmstadt hat nicht nur den geringsten Ballbesitz der Liga, es spielt auch die wenigsten und ungenausten Pässe ins letzte Spielfelddrittel.

Hinzu kommt, dass jene Adjektive, auch für die Pässe, die zu substantiellem Raumgewinn führen, zutreffen. Darüber hinaus hat Darmstadt den höchsten Anteil an Ballbesitzphasen, die 5 Sekunden oder kürzer dauern. Sprich: Darmstadt hat den Ball schon nicht sonderlich oft und dann ist er oft auch schnell wieder weg. All das hat zur Folge, dass Darmstadt zu selten in Abschlusssituationen kommt: An den ersten fünf Spieltagen hatte kein Zweitligist weniger Ballberührungen im gegnerischen Strafraum und nur zwei Teams (Regensburg und St. Pauli) schossen seltener aufs Tor.

Zu den offensiven Problemen kommt beim Clubgegner vom Sonntag aber auch eine gewisse defensive Passivität: Darmstadt kommt statistisch auf die geringste Pressingintensität, die schwächste Zweikampfquote bei Defensivzweikämpfen und die wenigsten Balleroberungen, sowohl insgesamt als im Mittelfeld, wo die Balleroberungen für die Spielkontrolle besonders wichtig sind. Es verwundert also nicht, wenn nur ein Verein (Heidenheim) mehr Torschüsse zulassen musste.

Der Schlüsselspieler…

…  hat seinen eigenen Reim: „Keiner ist schneller als Marcel Heller“. Rein faktisch kommt die Aussage der Wahrheit sogar nah: Heller wurde regelmäßig mit mehr als 35 km/h Höchstgeschwindigkeit gemessen. So verwundert es auch nicht, dass viele Aspekte des taktischen Vorgehens von Darmstadt in dieser Spielzeit bisher darauf beruhten, die Schnelligkeit des 33-Jährigen – und seines zehn Jahre jüngeren Pendants auf der Gegenseite, Tim Skarke – auszunutzen.

Das führt dazu, dass Heller, obwohl nominell in der Regel rechter Mittelfeldspieler, in den realtaktischen Aufzeichnungen der Positionen während des Spiels auf Höhe der vordersten Angriffslinie zu finden ist. So ist Heller dann auch mit weitem Abstand der Darmstädter mit den meisten Flanken, den meisten erfolgreichen Dribblings und meisten gelungenen Offensivaktionen. Selbst zum Abschluss kommt der Ex-Frankfurter aber kaum: Es stehen lediglich zwei Torschüsse zu Buche.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 13. September 2019 unter dem Titel „Deutlich rechtslastig“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Nürnberg (Canadi)

Der Trainer…

… hat seine Vorstellung vom Fußball einst in einer Präsentation vor dem Bund Österreichischer Fußballlehrer dargelegt. Dort fallen in der Beschreibung seiner Spielweise bei Atromitos Athen Sätze wie: Es solle nach Ballgewinn „schnell in die Spitze gespielt werden, gegen eine unorganisierte Abwehr“, man müsse „bei Ballgewinn sofort den Weg in die Tiefe suchen“, es gehe um „schnelles Überwinden des freien Raums“ und ein „hohes Tempo des Balles“. Gepaart mit der defensiven Marschroute „aggressiv den Ball jagen, nach vorne verteidigen“ und der eingeforderten „ballorientierten Raumdeckung“ ergibt sich eine recht klare Vorstellung vom Fußball.

Canadi will Tempo und Aggressivität sehen und zielstrebiges Spiel in die Spitze: „Wir wollen immer das Spiel bestimmen, auch wenn der Gegner den Ball hat.“ Auch wenn er sicher nicht alle Ideen wortgleich nach Nürnberg übernommen hat, fällt auf: Zu Saisonbeginn hat sich die Mannschaft mit der Umsetzung der Ideen schwergetan.

Sie hat dabei hat nach fünf Spielen allerdings genauso viele Punkte geholt wie Atromitos bei seinem Start unter Canadi – wenn auch in unterschiedlicher Zusammensetzung. Während es bei Atromitos vier Remis und einen Sieg gab, waren es in Nürnberg zwar doppelt so viele Siege, aber auch zwei Niederlagen. Was an beiden Stationen aber gleich ist: Es dauert, bis sich die Mannschaft an die Spielweise von Damir Canadi gewöhnt hat.

Die Grundordnung…

… wurde lange gesucht: In Dresden stellte man früh von 3-4-3 auf 3-4-1-2 um. Das 5-4-1 gegen Hamburg war nach einer halben Stunde gescheitert, es folgten Versuche mit einem flachen 4-4-2 im Rest des Spiels und einem 4-1-4-1 in Ingolstadt und Sandhausen. Dort kehrte man dann nach 20 Minuten wieder zum 4-4-2 zurück – und spielte dennoch eine der schlechtesten Halbzeiten des letzten Jahrzehnts.

Zum Spiel gegen Osnabrück – und mit der Ankunft von Michael Frey – ließ Damir Canadi die FCN dann in einer Formation auflaufen, die wohl am ehesten als 3-3-2-2 mit dem Ball und 5-3-2 gegen den Ball notiert werden kann: Vor der Dreierreihe agiert Geis als alleiniger Sechser, während die beiden Flügelverteidiger die Außenbahnen nominell alleine besetzen, tatsächlich aber sowohl von den beiden „Achtern“ unterstützt werden.

Auffallend hier, dass Canadi die zentralen Mittelfeldpositionen gegen Osnabrück mit zwei Flügelspielern (Medeiros, Hack) besetzte – und dies ohne Medeiros‘ Verletzung gegen Heidenheim womöglich wieder getan hätte. Durch deren natürlichen Impuls nach Außen zu ziehen erhielten die Flügelverteidiger immer wieder Unterstützung. Phasenweise wurde dies sogar dadurch verstärkt, dass auch Nikola Dovedan, der als hängende Spitze agierte, auf den Flügel begab.

Die letzten Spiele…

… zeigten spielerisch eine Entwicklung näher an Canadis Vorstellung vom Fußball heran. Gerade in den ersten drei Ligaspielen wirkten Trainer und Mannschaft noch wie zwei Menschen, die beide vom Strauß sprechen, doch während der eine einen schnellen Vogel meint, geht es dem anderen um einen toten Politiker. Denn missversteht man Canadis Anweisung, den tiefen Pass als erste Option nämlich so, dass der tiefe Pass die einzige Option ist, kommt dabei– wie in den ersten Saisonspielen – unansehnlicher Fußball heraus: Der Ball wird immer sofort planlos nach vorne gespielt.

Die Folge: Der FCN hatte in den ersten drei Saisonspiele im Schnitt gerade einmal drei tiefe Pässe, die innerhalb eines 20-Meter-Radius um das gegnerische Tor zum Mann kamen und nur 9,33 Ballbesitzphasen im gegnerischen Strafraum. Wie schwer jene Zahlen es machen, zu Abschlüssen zu kommen, zeigt sich darin, dass der Club in den ersten drei Spielen nur 22 Torschüsse hatte. Daraus drei Punkte und drei Tore zu generieren spricht entweder für Glück oder für Abschlussstärke, sicherlich aber nicht für strukturierten Aufbau.

In den folgenden beiden Spielen änderte sich das Bild. Die angekommenen tiefen Pässe vervierfachten sich auf zwölf pro Spiel, die Ballbesitzphasen im Strafraum stiegen auf 17,5 und die Torschüsse nahezu folgerichtig auf 42. Hätte der Club nicht 112 Sekunden Tiefschlaf gegen Heidenheim eingelegt, die Verbesserung in den beiden letzten Spielen hätte sich auch mit der vollen Punktzahl niedergeschlagen.

Die Schlüsselspieler…

…  sind zwei späte Neuzugänge: Michael Frey und Johannes Geis. Beide sind für die Spielweise von Damir Canadi von enormer Wichtigkeit. Geis als Passgeber in die Tiefe und Frey als Passempfänger in der Tiefe. Die Verbesserung beim Spiel in Tornähe lässt sich an den beiden gut festmachen. 

Frey zeigte in den ersten beiden Spielen viel Präsenz, führte viele Zweikämpfe und berührte den Ball in den zwei Spielen fast genauso oft im Sechzehnmeterraum wie der gesamte FCN in den drei Spielen zuvor. Die Vorlage auf Nikola Dovedan gegen Heidenheim kam daher auch nicht von ungefähr, sondern symbolisiert Freys Spielweise: Körperlich, kopfballstark, teamorientiert.

Geis fiel gegen Osnabrück und Heidenheim auf Grund seiner Fernschusstore besonders auf. Seine Qualität liegt aber vor allem in der Ballverteilung. Seit seiner Ankunft beim Club spielte keiner mehr Bälle ins Angriffsdrittel. Aber er spielt sie nicht nur, sie kommen auch in mehr als drei von vier Fällen an, ein hoher Wert für Bälle in die gegnerische Verteidigungszone. Erst recht, wenn man bedenkt, dass Geis die Pässe meist aus der Tiefe spielt.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 6. September 2019 unter dem Titel „Eine Annäherung in sechs Fußballspielen“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Heidenheim (H)

Der Trainer…

… hat sein erstes Spiel als Trainer in Nürnberg mit 6:1 verloren. Im Dezember 2008 trat der Aufsteiger Heidenheim in der Regionalliga Süd bei der Zweitvertretung des FCN an und kam böse unter die Räder. Damals wie heute auf dem Platz: Marc Schnatterer und Enrico Valentini. Damals wie heute neben dem Platz: Frank Schmidt. Seit 2007 betreut Schmidt den FC Heidenheim, stieg dreimal auf und nie ab. Dass der gebürtige Heidenheimer als junger Spieler sogar einen Einsatz für den FCN im DFB-Pokal hatte und zwei Jahre später tatsächlich mit dem TSV Vestenbergsgreuth den FC Bayern aus dem Pokal kegelte, wirkt daher fast unwirklich.

Schmidt hat schließlich seine Nische in Heidenheim gefunden und ist inzwischen der am längsten amtierende Trainer im deutschen Profifußball. Immer wieder hebt Schmidt in Interviews hervor, dass das Fachliche (Taktik, Trainingslehre, Sportwissenschaft) für ihn zwar wichtig sei, das Menschliche und die Kommunikation aber an erster Stelle stehe. Wer Schmidt als Protagonisten des Films „Trainer!“ von Aljoscha Pause erlebt hat, der weiß, dass dies keine Worthülsen sind. Schmidt sucht das Gespräch mit seinen Spielern und Mitarbeitern, versucht die Idee des „familiären Clubs mit professionellen Strukturen“ zu leben.

Diese Einstufung bedeutet nicht, dass Schmidt nicht auch Vorstellungen davon hat, wie der Fußball auszusehen hat, den seine Mannschaft spielt. Er versucht nur, wie eigentlich alle lange Zeit erfolgreichen Trainer, die Balance zwischen Taktik und Motivation, zwischen Herz und Verstand zu finden.

Die Grundformation…

… sucht der bekennende Pragmatiker Schmidt nach zahlreichen prominenten Abgängen noch. Ungewöhnlich oft wechselte Frank Schmidt die Grundformationen, probierte viel aus, setzte in Dresden sogar erstmals seit mehr als drei Jahren bei Anpfiff auf eine Dreierkette. In der Regel aber ist die Grundordnung bei Heidenheim ein 4-4-2, bei welchem dem Gegner mehr Ballbesitz hat und Heidenheim nach Balleroberung schnell kontert. In Sachen Ballbesitz waren die Brenzstädter seit dem Aufstieg 2014/15 stets am Tabellenende zu finden, in der echten Tabelle dagegen nie schlechter als Rang 13.

Schmidt fasst diese Haltung dann gegenüber der „Zeit“ auch selbstreflektiert zusammen: „Mein Fußball ist kein Ballbesitzfußball, es soll bei mir in beide Richtungen so schnell wie möglich gehen. Wir schießen viele Kontertore, generell fallen bei uns viele Tore. Mein Ziel ist es, immer aktiv zu sein, ein Spiel nie nur zu verwalten.“

Die letzten Spiele…

… waren eher ernüchternd. Auf einen Auftaktsieg gegen Osnabrück, der allerdings von einem Platzverweis gegen den Aufsteiger begüngstigt war, folgte ein spätes 2:2 gegen Absteiger Stuttgart. Nach dem 2:0-Sieg gegen Ulm im Pokal setzte es dann aber zwei Niederlagen in Dresden und zu Hause gegen Heidenheim.  Eines der Grundprobleme bisher: Die Formation im Sturm ist noch nicht gefunden. Mit Glatzel (Cardiff City) und Neu-Nürnberger Dovedan hat Heidenheim seine beiden Stammkräfte im Angriff und absolute Leistungsträger verloren.

Diese konnten bislang nicht gleichwertig ersetzt werden. Trainer Schmidt hat im Sturm in den letzten Wochen daher einiges ausprobiert: Thomalla und Schmidt mit 4-4-2-Unterstützung, Thomalla alleine im 4-4-1-1, Otto alleine im 4-2-3-1, Otto und Leipertz als Doppelspitze im 3-5-2, Thomalla, Otto und Schimmer als Dreiersturm im 3-4-3 und Schimmer und Thomalla als Doppelspitze im 4-4-2. Eine bevorzugte Ordnung hat sich daraus bisher nicht ergeben. Auch einer der Gründe, warum Heidenheim in den letzten drei Partien lediglich ein einziges eigenes Tor aus dem Spiel erzielte.

Ebenso auffällig: Von den Gegentoren der Heidenheimer, die nicht aus Elfmeter oder direktem Freistoß entstanden, fielen vier von fünf nach Flanken. Etwas anfälliger erscheint hier die rechte Abwehrseite, insbesondere dann, wenn Innenverteidiger Patrick Mainka herausrücken muss, um die Flanken zu verteidigen. Aber auch Rechtsverteidiger Marnon Busch verteidigt derzeit schwach gegen Flanken und versucht damit das Bonmot von Gianluca Vialli, dass der Rechtsverteidiger stets der schlechteste Fußballer auf dem Platz ist, da ein offensivstärkerer Spieler Rechtsaußen und ein defensivstärkerer Spieler Innenverteidiger wäre, zu beweisen. Mit Angriffen über die eigenen linken Offensivseite hat der Club also womöglich einen Ansatzpunkt für seine Angriffe.

Der Schlüsselspieler…

… ist nicht länger der ewige Marc Schnatterer. Das spielende Urgestein ist zwar immer noch wichtig, ist aber bislang noch nicht so recht in Fahrt gekommen. Vier Torschüsse in vier Spielen, kein Tor, keine Vorlage und verhältnismäßig viele Ballverluste deuten darauf hin, dass sich die 33 Jahre bei Schnatterer inzwischen doch bemerkbar machen. Auch wenn die Angriffe in dieser Saison überproportional über links laufen, ist Schnatterer auf der rechten Seite und in der Hierarchie mit seiner Erfahrung immer noch von enormer Bedeutung. Auf dem Platz jedoch ist ein anderer der wichtigste Akteur: Niklas Dorsch.

Vor einem Jahr auch vom Club umworben, entschied sich der 20-Jährige aus der Bayern-Jugend bewusst für einen Wechsel in die Zweite Liga, um dort Spielzeit und Erfahrung zu sammeln. Inzwischen ist er im zentralen Mittelfeld Lenker und Antreiber des Heidenheimer Spiels. Mit herausragenden Passwerten von um die 90 Prozent, die selbst wenn man Quer- und Rückpässe herausrechnet noch bei 80 Prozent liegen, bestimmt Dorsch das Tempo und die Richtung des Spiels. Darüber hinaus ist er auch noch Heidenheims wichtigster Balleroberer, der viele Zweikämpfe sowohl mit als auch gegen den Ball führt.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 30. August 2019 unter dem Titel „Auf der Suche nach einer Grundordnung“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Osnabrück (H)

Der Trainer…

… bezeichnet sich selbst als „Kind der Stadt“, ist also ein echter Osnabrücker, selbst wenn er wenige Kilometer außerhalb der Stadtgrenzen in Georgsmarienhütte geboren wurde. Der heute 45-Jährige war bereits als Spieler sechs Jahre beim VfL. Im Oktober 2017 war Thioune Nachwuchskoordinator und U19-Trainer des VfL, als ihm die Nachfolge von Urgestein Joe Enochs angetragen wurde.

Der Start war holprig, drei von vier Spielen als Interimstrainer gingen verloren, darunter ein 2:3 gegen den FCN im Pokal. Dennoch machte die Vereinsspitze Thioune zum Chef und ließ davon auch nicht ab, als der VfL die Saison 2017/18 mit dreizehn Pflichtspielen ohne Sieg abschloss. Das Vertrauen machte sich bezahlt: Ein Jahr später stieg Osnabrück als Drittligameister auf. Ex-Spieler Alexander Dercho macht Thioune für den Erfolg verantworlich: „Der Trainer gibt uns viel Input, neue Ideen und fördert und fordert uns in jedem Training. Er hat der Mannschaft von Anfang an eine Siegermentalität eingeimpft.“ Thioune selbst betont vor Saisonstart jene Siegermentalität: „Wir wollen die Liga nicht nur halten, sondern wir wollen sie bereichern. Ich will über den VfL Osnabrück hören: ‚Schön, dass ihr wieder da seid, und es macht Spaß, euch zuzusehen.'“

Die Grundordnung…

… liegt nicht in der Formation. In den ersten vier Pflichtspielen nutzte der VfL fünf verschiedenen Grundformationen mindestens 30 Minuten lang: 5-4-1, 4-2-3-1, 4-4-2, 3-4-3, 3-4-1-2. Was nach Zahlensalat aussieht, stellt sich als einer der Erfolgsfaktoren in Sachen Aufstieg heraus. Osnabrück reagiert sehr oft auf Entwicklungen im Spiel. Nur knapp die Hälfte aller Spiele wurde mit der gleichen Grundordnung durchgespielt.

Thioune liegt mit seiner Flexibilität im Trend. Auch wenn gegen Ende der vergangenen Saison das Umstellen von Formationen und Systemen während eines Spiels von einigen Bundesligaprofis wie Hoffenheims Kramaric („Wir wechseln zu oft das System während des Spiels. Wir sind nicht bereit dafür.“) scharf kritisiert wurde, gehört das Umstellen der Herangehensweise in Reaktion auf den Gegner inzwischen zum Handwerk vieler Trainer. Wichtig ist es dabei, die Balance zu finden zwischen notwendiger Reaktion und Durchsetzung eigener Vorhaben.

Statt einer steten Grundformation gibt es ein anderes Grundprinzip: Das direkte Spiel nach vorne. Der VfL spielte in vielen Partien um die Hälfte seiner Pässe nach vorne. Die meisten Mannschaften kommen hier nur auf Werte um ein Drittel. Mit den vielen Vorwärtspässen eng verbunden: Osnabrück war Ligaspitze in Sachen angekommene Pässe in Tornähe. Dies bedeutet, dass der VfL viele Pässe nah am Tor zum Mann bringt und sich so natürlich auch mehr Abschlusschancen erspielen kann.

Dementsprechend waren die Niedersachsen auch in Sachen Ballkontakte im gegnerischen Strafraum weit vorne zu finden. Beides Kategorien, in denen der FCN in der Bundesliga 2018/19 am Tabellenende stand und dies auch jetzt nach drei Spieltagen in der Zweiten Liga wieder tut, obwohl es Damir Canadis Ziel eigentlich ist, dies zu ändern.

Die letzten Spiele…

… stellten die Flexibilität der Niedersachsen eindrucksvoll unter Beweis. Gegen Heidenheim spielte der VfL auf Augenhöhe mit, verzichtete aber darauf viel zu pressen. Dennoch hatte er in manchen Phasen sogar häufiger den Ball als die Gäste und war oft per individuellen Aktionen auf den Flügeln gefährlich, verlor aber nach einem Platzverweis das Spiel. In Sandhausen dagegen frustrierte Osnabrück die Gastgeber dagegen damit, dass sie eine deutlich passivere Spielanlage wählten und stattdessen den SVS das Spiel machen ließen. Die Idee war aus einer stabilen Abwehr heraus zu kontern und direkt zu spielen. Sie ging auf: Osnabrück kam per Freistoß zum einzigen Tor des Spiels.

Im Pokal gegen Leipzig und am Montag gegen Darmstadt dagegen wählte Thioune eine andere Herangehensweise: Der Gegner wurde viel und früh unter Druck gesetzt. Während es gegen Leipzig lediglich zu einem Achtungserfolg (2:3) reichte, kam der Gast aus Hessen unter die Räder. Beim 4:0 gegen die Lilien beeindruckte Osnabrück durch die Kombination von Pressing und schnellem Spiel in die Spitze.

Die Schlüsselspieler…

… bilden das Doppelherz des VfL: Bei allen Formationsrochaden bilden Ulrich Taffertshofer und David Blacha eine Konstante. Beide sind Prototypen für das, was Daniel Thioune mit „bei uns ist niemand zufrieden mit dem Ist-Zustand“ beschreibt: Fast alle im Kader hatten Hoffnungen auf größere Karrieren, die sich so nicht manifestierten. Blacha wurde mit Borussia Dortmund U19-Vizemeister, schaffte aber beim BVB nie den Durchbruch und versuchte sein Glück danach in Ahlen und Wehen. Für Taffertshofer ging es bei 1860 München nicht weiter. Er kam über Burghausen und Unterhaching zum VfL.

Fast immer bilden die beiden das zentrale Mittelfeld. Sie verbinden Abwehr und Angriff, egal ob als Doppelsechs im 4-2-3-1 oder als Doppelacht im 4-4-2. Blacha übernimmt dabei den marginal offensiveren Part, spielt etwas mehr Pässe, die zu Abschlüssen führen und etwas öfter ins letzte Spielfelddrittel. Taffertshofer agiert etwas defensiver, führt mehr Zweikämpfe und fängt mehr Balle ab. Ein Ansatzpunkt für den FCN muss es also sein, zu versuchen, jenes Herz des Spiels aus dem Rhythmus zu bringen, um so die Struktur des Osnabrücker Spiels zu unterbrechen.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 23. August 2019 unter dem Titel „Flexibilität, die Spaß macht“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Sandhausen (A)

Der Trainer…

… machte erste Erfahrungen beim Basketball, wo er die Frauenmannschaft von Vallendar als Trainer erst in die Drittklassigkeit und dort zum Klassenerhalt führte. Viele Jahre später gelang ihm dies im Fußball mit den Herren von Fortuna Köln. In der Kölner Südstadt war Uwe Koschinat fast sieben Jahre und über 300 Spiele im Amt, ehe er vergangenen Oktober nach Sandhausen wechselte. Dort schaffte er den Klassenerhalt, da der SVS in den letzten zehn Spielen der Saison mehr Punkte als sonst jede andere Zweitligamannschaft holte.

Seine Vorstellungen charakterisiert der 47-Jährige sehr offen mit den Worten: „Ich bin kein großer Freund von Ballbesitz-Fußball. Um damit die kompakten Abwehrreihen in der Zweiten Liga aushebeln zu können, braucht man eine enorme Qualität. Ich liebe es, wenn es schnell nach vorne geht.“ Dementsprechend stand Sandhausen in Sachen Ballbesitz in der vergangenen Saison auch auf dem letzten Platz. In der Regel lässt Koschinat so spielen, dass der Gegner das Spiel machen muss und Sandhausen durch schnelles Umschalten in Richtung Tor spielt.

Die Grundordnung…

… ist bei Koschinat nicht dogmatisch festgelegt. Meist lässt er jedoch bei Anpfiff erst einmal im 4-2-3-1 agieren und setzt dann auf Tempogegenstöße über die Außen mit Fokus auf die rechte Seite. Auch wenn diese Auslegung des 4-2-3-1 Ex-Clubtrainer Michael Köllner in seiner Charakterisierung der Formation als „reaktiv“ Recht gibt, ist dies nicht zwangsläufig der Fall. Wie nahezu jede Grundordnung kann auch das 4-2-3-1 aktiv gespielt werden, es ist in Sachen Ausrichtung wohl sogar etwas flexibler als andere Grundformationen.

Der beste Beweis hierfür waren die Spanier, die um 2010 ihren dominanten Ballbesitzfußball in eben jenem 4-2-3-1 aufzogen. Die Tatsache, dass die Spanier so erfolgreich waren, war einer der Gründe dafür, dass zwischen Mitte des letzten und Mitte dieses Jahrzehnts das 4-2-3-1 die vorherrschende Formation in der Fußballwelt war. Da viele Spieler, die derzeit aktiv sind, in der Hochzeit des 4-2-3-1 ausgebildet wurden und es nahezu schlafwandlerisch herunterspielen können, ist es auch jetzt noch oft die Formation, auf die Trainer zurückfallen.

Die größte Bürde im 4-2-3-1 liegt auf den Außenverteidigern: Einerseits sind sie defensiv besonders gefragt, da die Distanz zwischen ihnen und den eigenen Mittelfeldspielern oft groß ist. Andererseits sollen die Außenverteidiger den Spielaufbau ankurbeln und sich ins Offensivspiel einschalten. Mit Diekmeier und Paqarada hat Sandhausen hier für Zweitligaverhältnisse überdurchschnittlich starke Spieler, was die Umsetzung des 4-2-3-1 begünstigt.

Die letzten Spiele…

… waren nur zum Teil typisch für das, was die Grundvorstellung von Uwe Koschinat ist. Am zweiten Spieltag gegen Osnabrück wurden die Sandhäuser mit den eigenen Mitteln geschlagen. Die Gäste überließen Sandhausen den Ball und warteten selbst auf Konter. Sandhausen versuchte die Aufgabe anzunehmen, schob beide Außenverteidiger im Aufbau tief in die gegnerische Hälfte und bemühte immer wieder auf die Flügel zu kommen. Dabei lief sehr viel über die rechte Seite und Rechtsverteidiger Dennis Diekmeier. Allerdings kamen nur wenige Zuspiele an und so hatte Sandhausen tatsächlich die besten Gelegenheiten aus Umschaltsituationen. Da sie aber keine der Gelegenheiten verwerteten, Osnabrück jedoch per Freistoß traf, stand Sandhausen am Ende ohne Punkte da.

Im ersten Saisonspiel in Kiel dagegen spielte Sandhausen den üblichen Fußball. Da man früh in Führung gegangen war, ließ man Holstein kommen und wartete darauf, mit schnellen Gegenstößen ein zweites Tor zu erzielen. Dies gelang trotz guter Chancen nicht, stattdessen glich Kiel aus und hätte das Spiel danach gewinnen können.

Ähnliches, allerdings ohne eigene Führung, gilt auch für das Pokalspiel gegen Gladbach, wo Sandhausen nach der frühen Gladbacher Führung eine ganze Reihe an Gelegenheiten hatte, das Spiel auszugleichen. Größtes Manko der Sandhäuser in den ersten Saisonspielen also: Die Chancenverwertung. Ersichtlich wird dies auch aus den expected goals (siehe Infokasten): Sandhausen hätte nach Chancenqualität schon 5,4 Tore in dieser Saison erzielen müssen. Es war aber erst eines.

Der Schlüsselspieler …

… passt schon auf Grund des Namens in den Hardtwald. Philipp Förster wurde von Koschinats Vorgänger Kenan Kocak nach einem halben Jahr ohne Einsätze beim FCN nach Sandhausen gelotst. Auch nach Kocaks Entlassung spielt Förster eine wichtige Rolle im Gefüge des SVS. Meist agiert der 24-Jährige als offensiver Mittelfeldspieler hinter der einzigen Spitze, genießt aber viele Freiheiten, um sich den Ball auch tief in der gegnerischen Hälfte zu holen.

Dabei zeichnet Förster sich durch eine hohe Kreativität in den Anspielen aus. In der Saison 2018/19 waren nur zwei Spieler in der Kombination Häufigkeit und Genauigkeit bei den kreativen Pässen besser. Auch bei den Pässen, die zu Abschlüssen führten, landete Förster unter den besten fünf Mittelfeldspielern der Liga. Mit acht Torbeteiligungen war Förster in jener Saison auch unter den wichtigsten Offensivspielern des SVS. Nach den Abgängen von Schleusener (FCN) und Wooten (Philadelphia) ist er nun noch wichtiger geworden.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 16. August 2019 unter dem Titel „Basketball und ein Hauch Spanien“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Ingolstadt (A)

Der Trainer …

… wurde bisweilen schon als „Graf von Luxemburg“ betitelt. Ingolstadt ist nach Arminia Bielefeld Jeff Saibenes zweite Station in Deutschland. Der 50-jährige Luxemburger übernahm die „Schanzer“ nach dem Abstieg aus der Zweiten Liga. Zuvor arbeitete er vor allem in der Schweiz. Sollte man zwei taktische Konstanten an Saibenes Arbeit herausheben, so ist es einerseits das hohe Pressing, das er seinen Teams abverlangt, zum anderen aber auch die hohe Quote an langen Bällen im Spielaufbau.

Das hohe Pressing war vor allem vor Wochenfrist gegen Würzburg zu beobachten, wo die Unterfranken immer wieder sehr früh von einer insgesamt aufgerückten Ingolstädter Mannschaft im Aufbau gestört wurden. Ziel des hohen Pressings ist es, einen kurzen Weg zum Tor zu haben und so schnelle und einfache Abschlusschancen zu schaffen. Ingolstadts 1:0 gegen die Kickers war eine Blaupause für so eine Pressingsituation. Allerdings läuft eine hoch pressende Mannschaft natürlich stets Gefahr mit zu wenig Spielern hinter dem Ball zu sein, wenn der Gegner die Pressinglinien überspielen kann.

Saibene selbst greift im Spielaufbau gern zum langen Schlag durch die Innenverteidiger. In den ersten vier Saisonspielen lag die Quote der langen Bälle zwischen 13 und 17%, selten fällt dieser Wert bei Saibene unter 10%. Der Hauptauslöser für diese Quote sind die langen Bälle aus der Innenverteidigung auf den Stoßstürmer, den Saibene sehr oft als Stilmittel im Repertoire hat und in allen Stationen spielen ließ.

Die Grundordnung…

… ist bei Saibene fast immer 4-4-2 mit flachem Mittelfeld. Jenes „4-4-2 flach“ ist sowas wie das Butterbrot unter den Formationen: Klassisch, einfach, erfüllt seinen Zweck, ist aber auch ein bisschen langweilig. Die Flügel sind im flachen 4-4-2 doppelt besetzt, was heißt, dass man hierüber Druck aufbauen kann. Gleichzeitig hat man im Angriff durch die beiden Spitzen gleich zwei Abnehmer für mögliche Flanken von außen.

In der Regel werden die Stürmer so besetzt, dass einer der beiden Stürmer ein bulliger „Funkturm“ ist, während um ihn herum ein wendigerer Angreifer agiert, auf welchen der größere Stürmer auch Bälle ablegen kann. Saibene spielt dies in Ingolstadt in Reinkultur lässt neben Kutschkemit Kaya oder Bilbija deutlich manövierfähigere Stürmer spielen. Auch in Bielefeld (Klos/Voglsammer) und Thun (Sorgic/Rapp oder Fassnacht) wählte Saibene diese Rollenverteilung.

Gleichzeitig neigt die Grundformation dazu, im Mittelfeldzentrum unterbesetzt zu sein. Einige Trainer kompensieren das, indem sie auf den Außen mit in der Anlage zentralen Mittelfeldspielern besetzen und diese auch nach innen rücken lassen. Bekanntestes Beispiel hierfür ist Diego Simeone, der bei Atletico Madrid auch ein flaches 4-4-2 als Grundordnung wählt. Größtes Manko in der Defensive ist, dass man Probleme mit gegnerischen Spieler bekommt, die „zwischen den Linien“, also nicht klar Mittelfeld oder Angriff zugeordnet werden können, agieren. Positioniert Damir Canadi Robin Hack und/oder Nikola Dovedan dergestalt, könnten sich daraus durchaus Chancen ergeben, auch weil Ingolstadts Innenverteidigung nicht zu den wendigsten gehört.

Die letzten Spiele…

… nach dem Abstieg waren sehr erfolgreich. Nach einem kuriosen 2:1-Auftaktsieg gegen Jena, bei dem Jenas Innenverteidiger Marvin Sarr zwei Eigentore erzielte, holten die Oberbayern weitere sieben Punkte aus den folgenden drei Ligaspielen. Ingolstadt geht als Tabellenführer ins Spiel gegen den Club.

Taktisch sah man in den vier Saisonspielen genau das, was man anhand der Beschreibung von Trainer und Grundordnung erwarten konnte. Saibene ließ ein flaches 4-4-2 spielen, das interessanterweise rechts meist etwas weiter vorgezogen als links agierte, so dass im Anlaufen teilweise fast ein 4-3-3 entstand. Gleichzeitig zeigt der erfolgreiche Saisonstart, dass die blanken Statistiken und die blanken Ergebnisse nicht immer zusammenhängen: Der FCI hatte nach vier Spieltagen die sechstschlechteste Passquote (78%), den drittgeringsten Ballbesitz (42%), lief am zweithäufigsten ins Abseits (11x), aber hatte die meisten Punkte (10).

Der Schlüsselspieler …

… führt die Dritte Liga bei den Fouls an. 17-mal wurde der Körpereinsatz von Stefan Kutschke bereits zurückgepfiffen. Kutschkes harte Gangart, die in seiner Zeit in Nürnberg im Training sogar Raphael Schäfer entnervte, ist aber einer der Gründe, warum er für Saibene wichtig ist. Kutschke ist Kapitän der Schanzer und fungiert mit seiner Art als „aggressive leader“.

Zusätzlich ist er in Saibenes auf lange Bälle ausgerichteten System sehr wichtig. In drei der ersten vier Saisonspielen empfing Kutschke mindestens 17 Pässe, in den vier Jahren zuvor erhielt er insgesamt nur in vier Spielen derart viele Pässe. Kutschke verarbeitet die Bälle, die auf ihn gespielt werden, indem er sie entweder mit dem Rücken zum Tor annimmt und verteilt oder aber selbst den Ball im Lauf annimmt und direkt versucht zum Abschluss zu kommen. Gegen Duisburg war Kutschke an allen drei Toren beteiligt, einmal als Vollstrecker, einmal als Ballverteiler, einmal als Balleroberer. Auch gegen Würzburg traf der gebürtige Dresdner zweimal.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 9. August 2019 unter dem Titel „Wenn Statistiken wenig aussagen“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Hamburg (H)

Der Trainer…

… ist in Nürnberg wohlbekannt: Dieter Hecking. Allerdings hat sich der 54-Jährige seit seiner Zeit beim FCN weiterentwickelt. Galten Hecking und sein Fußball in Nürnberg oftmals als spröde und defensiv, hat sich dies in Wolfsburg und Gladbach – auch dank qualitativ besserer Spieler – gewandelt. In der Hinrunde 2018/19 spielte Gladbach sehenswerten Offensivfußball, auch weil Hecking erkannte, dass das 4-4-2, das er in der Vorsaison hatte spielen lassen, „abgenutzt“ war. „Mit dem neuen 4-3-3-System sind es 50 Prozent mehr, da wird es automatisch gefährlicher“, erklärte er den neuen Ansatz ganz pragmatisch.

Obwohl Hecking immer noch der Ruf des Defensivkünstlers vorauseilt, spielen seine Mannschaften in der Regel kein aggressives Pressing. Als Richtwert für die Pressingintensität gilt der PPDA-Wert (Passes per defensive Action), der die gegnerischen Pässe in Relation zu den eigenen Defensivaktionen setzt. Hier fanden sich die Hecking-Teams stets unter den letzten vier der Tabelle. Heckings Defensivphilosophie kommt also nicht über frühes Stören, wohl aber über Mannorientierung.

Die ist nicht mit fester Manndeckung („Du folgst Deinem Gegenspieler bis aufs Klo“) zu verwechseln. Vielmehr heißt es, dass bei gegnerischem Ballbesitz nicht Passwege oder Räume zugestellt werden, sondern der Gegner selbst. So hat dieser wenig Zeit zur Ballverarbeitung. Klingt anachronistisch, kann aber erfolgreich sein: Mit Mannorientierung holte Jupp Heynckes einst das Triple.

Die Grundordnung…

… war in großen Teilen der Vorbereitung und auch gegen Darmstadt eben jenes 4-3-3, das Hecking schon in Gladbach favorisiert hatte. Zentrale Idee der Formation ist es, durch die doppelte Flügelbesetzung besonderen Druck auszuüben. Mit Jatta und Narey, aber auch den Neuzugängen Kittel und Amaechi, besitzt der HSV auf beiden Außenbahnen Offensivspieler, die für das System besonders geeignet sind.

Sollte der FCN am Montag wieder mit einer Dreierkette agieren, also die Flügel in der Grundordnung nur einfach besetzen, könnte es hier Probleme geben. Erst recht, weil Jatta und Leibold auf der linken Seite gegen die rechte Abwehrseite des FCN (Valentini/Sorg plus Margreitter) enorme Geschwindigkeitsvorteile haben.

Problematisch am 4-3-3 ist – neben der hohen Laufintensität für die drei Mittelfeldspieler – allerdings vor allem die Tatsache, dass der zentrale Stürmer keinen direkten Verbindungsspieler im Mittelfeld hat. So besteht die Gefahr, dass der Stürmer gewissermaßen „in der Luft hängt“. Im ersten Saisonspiel zeigte sich das bereits: Lukas Hinterseer wurde ganze acht Mal angespielt.

Die letzten Spiele…

… gegen Profiteams wurden allesamt nicht gewonnen. In der Vorbereitung verlor der HSV gegen Huddersfield, spielte Remis gegen Anderlecht, Piräus und Arhus. Ebenfalls unentschieden endete das erste Pflichtspiel. Gegen Darmstadt spielten die Rothosen 1:1. Das Hamburger Tor fiel per Elfmeter in der Nachspielzeit.

Hätte der HSV vor der Pause seine zwei Großchancen genutzt, es hätte des späten Ausgleichs gar nicht erst bedurft. Denn vor der Pause agierten die Hamburger sehr zielstrebig bis zum Tor der Gäste, scheiterten dann aber kläglich. Auffällig war, dass sie vor der Pause fast gänzlich auf Flanken verzichteten, sondern stattdessen versuchten mit flachen Pässen von außen in den Strafraum zu kombinieren. Beide Großchancen entstanden auf diese Weise.

Von dieser Marschroute war nach dem Gegentreffer 14 Sekunden nach Wiederanpfiff dann nichts mehr zu sehen. Der HSV agierte verunsichert und fahrig, flankte viel und kam kaum noch zu eigenen Chancen. Wie in der Vorsaison wurden die Hamburger von einem Misserfolg aus der Bahn geworfen und erwiesen sich als psychologisch nicht stabil. Tobias Escher, der Doyen der deutschen Taktikanalyse, überschrieb deshalb seine Spielbetrachtung auch mit „neuer HSV, alte Probleme“.

Für den FCN gilt also: Früh treffen und dann die Verunsicherung ausnutzen. Aber Tore schießen ist ja eigentlich immer ein guter Plan.

Der Schlüsselspieler …

… ist derjenige, als dessen Ersatz der HSV bereits Ewerton verpflichtet hat: Rick van Drongelen. Der 20-jährige Niederländer gilt als heißer Verkaufskandidat in dieser Transferperiode. Noch ist er aber in Hamburg und spielt dort als linker Innenverteidiger. Schon im Vorjahr war er für den Spielaufbau mitverantwortlich, weil er selbst bei langen und tiefen Bällen noch eine herausragende Passquote hat.

Läuft der Aufbau – wie vergangenes Wochenende gegen Darmstadt – über geduldiges Zurechtspielen des Gegners nimmt van Drongelen eine Schlüsselposition ein. 95-mal kam er vergangenen Sonntag an den Ball. Er ist derjenige, der die Bälle zum Starten des Angriffs auf die linke Seite legt. Gegen Darmstadt fanden fast zehn Prozent aller Zuspiele des HSV nur zwischen Jatta, Leibold und van Drongelen statt – und das obwohl Jatta nach 64 Minuten ausgewechselt wurde.

Gelingt es dem FCN van Drongelen unter Druck zu setzen und die Passmaschine ins Stottern geraten zu lassen, könnten sich Möglichkeiten ergeben, gerade weil van Drongelen – wie auch Nebenmann Papadopoulos – beim Aufbau oft schon in der gegnerischen Hälfte steht und nicht als besonders pressingresistent gilt.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 2. August 2019 unter dem Titel „Gefährlich und psychologisch nicht stabil“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Dresden (A)

Der Trainer …

…heißt Cristian Ramon Fiel Casanova und ist Liebhaber von Ballbesitz („Ich bin ein Trainer, der gerne den Ball hat“) und Positionsspiel („Es ist ein Schwerpunkt in unserem Training, noch besser die Position zu finden“). „Fielo“, wie ihn die Menschen in Dresden rufen, ist Spanier. Spanier, Ballbesitzfußball, Positionsspiel. An einer Assoziation mit Pep Guardiola kommt man da fast nicht vorbei, vor allem wenn der eigene Kapitän den Vergleich zieht.

Fiel selbst wehrt sich gegen den Vergleich und versetzt Guardiola in andere Sphären. Dennoch sind die grundsätzlichen Vorstellungen von Fiel durchaus vergleichbar: Das heißt unter anderem möglichst flaches Herausspielen aus der Abwehr, viel Bewegung, Dreiecke bilden, so dass immer zwei Anspielstationen für den Ballführenden vorhanden sind. Die Spieler, so Fiel, sollen sich viel bewegen und „so anbieten, dass man den Ball in der offenen Stellung mitnehmen kann“. Also dergestalt, dass man den Ball sofort mit Geschwindigkeit weiterverarbeiten kann und nicht Zeit darauf verwenden muss, sich erst in Spielrichtung zu drehen.

Ansätze der Idee sah man bereits in der Vorsaison, als Fiel für die letzten elf Spiele an der Seitenlinie stand und Dresden in dieser Phase gegen die drei späteren Aufsteiger sieben Punkte holte. Im Vergleich zu den Vorgängern senkt Fiel die Häufigkeit der langen Bälle um fast ein Fünftel. Gleichzeitig erhöhte er die Intensität des eigenen Pressings. Etwas, das nun noch mehr in den Vordergrund rücken soll, womit man in der Vorbereitung aber noch Probleme hatte.

Die Grundordnung…

… ist bei Fiel meist ein 3-5-2, das gegen den Ball zum 5-3-2 wird. In der Vorbereitung ließ Fiel sowohl die Variante mit einem offensiven Mittelfeldspieler hinter den Spitzen spielen als auch eine Variante mit einem flachen Dreiermittelfeld. Im Spielaufbau rücken in beiden Varianten die Außenverteidiger bis weit vor die Mittellinie vor, während die äußeren Innenverteidiger der Viererkette dann nach außen gehen. Man steht dann also meist „hoch und breit“. Dies birgt eine gewisse Gefahr bei Ballverlusten im Spielaufbau, die dann Konter des Gegners einleiten. Schon in der Vorsaison kassierten nur drei Mannschaften in der Liga anteilig mehr Kontertore als die Dresdner.

Das Ziel im Aufbau ist es, über die Flügel zu spielen. Dynamo versucht dann die Flügel zu überladen, also neben den Flügelverteidigern bewegen sich auch ein Stürmer und ein Mittelfeldspieler auf die Außenbahn, wenn sich der Ball dort befindet. Man versucht dann dort die gegnerische Defensive durch numerische Überlegenheit auszuspielen.

All diese Charakteristiken machen das Spiel für die Außenbahnspieler besonders laufintensiv und anspruchsvoll, da sie sowohl in der Offensive als auch in der Defensive voll gefordert sind. Der Transfer von Chris Löwe von Premier League Absteiger Huddersfield könnte daher zum zentralen Transfer werden, wenn dieser es schafft, seine Rolle auf links gemäß den Vorgaben auszufüllen.

In der Vorbereitung kämpften die Sachsen oft noch mit dem geforderten Tempo in den Bewegungen, Cristian Fiel kritisierte, die Spieler müssen sich mehr „bewegen, weil man im Stand nichts bewirken kann“. Gleichzeitig zeigte Dynamo sich noch relativ anfällig für individuelle Fehler, gerade bei aggressivem Pressing. Ebenso wackelte Dynamo, wenn der Ball vom Gegner per schnellem Seitenwechsel hinter die Mittelfeldreihe gebracht wurde.

Die letzten Spiele…

… waren Testspiele. Darunter ein 1:6 gegen PSG, dem der Club einige Tage später ein 1:1 abtrotzte, ein 2:3 hinter verschlossenen Türen gegen Fürth und ein 1:1 gegen den Ex-Verein von Club-Trainer Canadi, Atromitos Athen. Gerade der indirekte Vergleich über die Spiele gegen Paris könnte zu Optimismus beim FCN einladen, ist aber gefährlich.

Denn die Chancenqualität der Franzosen gegen den Club war zwar geringer als in Dresden, was ein positives Licht auf die Defensive des FCN wirft, in vielen anderen Kategorien hielt Dynamo aber tatsächlich besser mit. Egal ob Ballbesitz, Passgenauigkeit, Offensivzweikämpfe, Pässe für Raumgewinn oder Ballverluste, in allen Kategorien schneidet Dynamo gegen PSG besser ab als der Club.

Dafür gibt es mit dem unterschiedlichen Spielverlauf und den unterschiedlichen taktischen Ansätzen der Trainer sicher gute Erklärungen und letztlich ist ein 1:1 für die Psyche sicher besser als ein 1:6. Einen Automatismus, der den Club zum klaren Sieger macht, stellt der Quervergleich aber nicht dar.

Der Schlüsselspieler …

… heißt Baris Atik. Der 24-Jährige nimmt im 3-5-2 meist eine Rolle im zentralen Mittelfeld ein. Dabei ist der in Hoffenheim ausgebildete Pfälzer mit türkischen Wurzeln offensiv auf vielerlei Weisen eine Gefahr. Mit seiner Dribbel- und Abschlussstärke sorgt er selbst für Gefahr vor dem gegnerischen Tor, kann aber dank seiner Passgenauigkeit selbst auf engem Raum auch die Mitspieler in Abschlusspositionen bringen. Selbst bei Pässen ins letzte Spielfelddrittel, die einer erhöhten Gefahr unterliegen, abgefangen zu werden, kamen noch 4 von 5 Zuspielen von Atik an.

Zusätzlich zählte er in der Vorsaison – in Relation zu den Einsatzminuten – zu den am häufigsten gefoulten Spielern der Liga. Er ist also schwer mit fairen Mitteln vom Ball zu trennen. Nach dem Foul kommt noch eine weitere Stärke Atiks ins Spiel: Die Standards. Da Atik auch als Flankengeber hohe Präzision hat, stellt er gerade bei Freistoßflanken eine Gefahr dar. Eine Schlüsselfrage am Samstag dürfte als darin liegen, wie das defensive Nürnberger Mittelfeld – wahrscheinlich Erras, Behrens, Jäger – Atik aus dem Spiel nimmt.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 26. Juli 2019 unter dem Titel „Guardiola und ein türkischer Pfälzer“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.