Kategorien
Analytics Taktiktafel

Taktiktafel: Dresden (H)

Das Hinspiel …

… war eines der wenigen Spiele in der Vorrunde, die der FCN trotz Unterlegenheit erfolgreich gestalten konnte. Auf Grund der Chancenqualität lag die Siegeswahrscheinlichkeit des Clubs in diesem Spiel nur bei circa 19 Prozent. Eine Defensive, die den Gegner auf zwei Schüsse aufs Tor aus dem Strafraum beschränkte und eine Offensive, die ihrerseits ihren einzigen Abschluss aufs Tor, der innerhalb des Sechzehnmeterraums abgegeben wurde, im Tor unterbrachte, sorgten aber dafür, dass Nürnberg das Spiel gewann.

Schon Ende Juli deutete sich allerdings an, dass beide Teams Probleme bekommen könnten. Dresden, weil es aus hohen Ballbesitzzeiten kaum gefährliche Angriffe kreieren konnte und Nürnberg, weil es im Vorwärtsspiel extrem unpräzise agierte. Die Passgenauigkeit von 65 Prozent bei Pässen für Raumgewinn, 51 Prozent bei Pässen ins Angriffsdrittel und 33 Prozent bei Pässen in den Strafraum, blieben ein dauerndes Phänomen beim FCN.

Anders seitdem ist …

… auf beiden Seiten der Trainer.  Während der Club nach zwölf Spieltagen wechselte, hoffte Dresden noch drei Spieltage länger auf den Turnaround. Inzwischen ist Cristian Fiel durch Markus Kauczinski ersetzt. Das bedeutet unter anderem, dass mit Dresden nun die vorletzte Mannschaft in der Zweiten Liga von einer Grundformation mit Dreierkette abrücken dürfte. Kauczinski ließ in seinem ersten Spiel, der 0:3-Niederlage beim VfL Osnabrück, Dynamo in einem 4-4-2 beginnen. Offensiv brachte Dresden in dieser Formation allerdings keinen einzigen Torschuss zustande.

Kauczinski änderte die Formation auf ein 3-4-3, es folgten immerhin drei Abschlüsse, auch wenn Dynamo im gesamten Spiel keinen Schuss auf das Tor von Osnabrücks Torwart Kühn zustande brachte. Die Probleme, die Dresden bisher hatte, setzten sich in Kauczinskis erster Partie fort. Durchaus eine Parallele zum 1. FC Nürnberg. Beide Teams sind derzeit der Beweis dafür, dass ein Trainerwechsel nicht gleich alles anders macht.

Statistisch auffällig beim Gegner …

… ist, dass er zwar sowohl in Sachen Passzahl als auch Passgenauigkeit ins Angriffsdrittel unter den besten drei Teams der Liga liegt, gleichzeitig aber den zweitniedrigsten Wert in Sachen Ballberührungen im Strafraum verbucht und die wenigsten Schüsse der Liga abgegeben hat. Dynamo spielt also bis an den Strafraum gefällig, verpasst es aber dann im letzten Drittel die Pässe so anzubringen, dass sie für gefährliche Torgelegenheiten sorgen.

Die Sachsen sind damit auch der beste Beweis dafür, dass der reine Ballbesitz allein nicht zielführend ist. Die vier Spiele mit mehr als 60 Prozent Ballbesitz verlor Dynamo allesamt, insgesamt hatte Dynamo in nur vier Spielen unter Cristian Fiel weniger Ballbesitz als der Gegner, der durchschnittliche Ballbesitz lag bei 55 Prozent.

Gleichzeitig gehört Dresden – wie auch der FCN – zu den Mannschaften, die in der Zweiten Liga dem Gegner die höchstwertigen Chancen gewähren, auch ein Grund dafür, dass beide zu den Teams mit den meisten Gegentoren gehören. Überdurchschnittlich viele der Gegentore der Sachsen fielen nach Standards und Kontern. Bei Dresden liegt einer der Gründe für die Anfälligkeit womöglich auch darin, dass man weit unterdurchschnittlich viele Defensivduelle gewinnt.

Der Hipster-Spieler …

… ist die Bezeichnung, die in der Taktikszene – nicht ohne Selbstironie – für einen Akteur gewählt wird, der unter den Taktikexperten gewürdigt wird, der aber in der alltäglichen Berichterstattung wenig Beachtung findet. Der Hipster-Spieler schießt selten viele Tore, Assists gibt er auch nicht in hoher Anzahl, stattdessen fällt er durch anderes auf, z.B. Pressing, Tackling, Aufbauspiel.

Bei Dynamo Dresden ist dieser Hipster-Spieler Jannik Müller. Der 25-Jährige agierte unter Fiel fast immer in der Dreierkette unter Interimstrainer Scholz rückte der beim 1. FC Köln ausgebildete Spieler dann ins defensive Mittelfeld, Markus Kauczinski verzichtete im ersten Spiel ganz auf ihn. Etwas, das sich angesichts des Ergebnisses durchaus hinterfragen lässt. Die Einstufung als Hipster-Spieler erlangt Müller auf Grund seiner hohen Passsicherheit, mit der er das Spiel eröffnet. Kein Spieler Dynamos spielt mehr Pässe ins Angriffsdrittel. Gleichzeitig hat Müller dennoch zusammen mit Ex-Cluberer Florian Ballas die besten Werte im Defensivzweikampf und auch insgesamt die meisten erfolgreichen Defensivaktionen.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 20. Dezember 2019 unter dem Titel „Erstaunlich viele Parallelen“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

Kategorien
Analytics Taktiktafel

Taktiktafel: Dresden (A)

Der Trainer …

…heißt Cristian Ramon Fiel Casanova und ist Liebhaber von Ballbesitz („Ich bin ein Trainer, der gerne den Ball hat“) und Positionsspiel („Es ist ein Schwerpunkt in unserem Training, noch besser die Position zu finden“). „Fielo“, wie ihn die Menschen in Dresden rufen, ist Spanier. Spanier, Ballbesitzfußball, Positionsspiel. An einer Assoziation mit Pep Guardiola kommt man da fast nicht vorbei, vor allem wenn der eigene Kapitän den Vergleich zieht.

Fiel selbst wehrt sich gegen den Vergleich und versetzt Guardiola in andere Sphären. Dennoch sind die grundsätzlichen Vorstellungen von Fiel durchaus vergleichbar: Das heißt unter anderem möglichst flaches Herausspielen aus der Abwehr, viel Bewegung, Dreiecke bilden, so dass immer zwei Anspielstationen für den Ballführenden vorhanden sind. Die Spieler, so Fiel, sollen sich viel bewegen und „so anbieten, dass man den Ball in der offenen Stellung mitnehmen kann“. Also dergestalt, dass man den Ball sofort mit Geschwindigkeit weiterverarbeiten kann und nicht Zeit darauf verwenden muss, sich erst in Spielrichtung zu drehen.

Ansätze der Idee sah man bereits in der Vorsaison, als Fiel für die letzten elf Spiele an der Seitenlinie stand und Dresden in dieser Phase gegen die drei späteren Aufsteiger sieben Punkte holte. Im Vergleich zu den Vorgängern senkt Fiel die Häufigkeit der langen Bälle um fast ein Fünftel. Gleichzeitig erhöhte er die Intensität des eigenen Pressings. Etwas, das nun noch mehr in den Vordergrund rücken soll, womit man in der Vorbereitung aber noch Probleme hatte.

Die Grundordnung…

… ist bei Fiel meist ein 3-5-2, das gegen den Ball zum 5-3-2 wird. In der Vorbereitung ließ Fiel sowohl die Variante mit einem offensiven Mittelfeldspieler hinter den Spitzen spielen als auch eine Variante mit einem flachen Dreiermittelfeld. Im Spielaufbau rücken in beiden Varianten die Außenverteidiger bis weit vor die Mittellinie vor, während die äußeren Innenverteidiger der Viererkette dann nach außen gehen. Man steht dann also meist „hoch und breit“. Dies birgt eine gewisse Gefahr bei Ballverlusten im Spielaufbau, die dann Konter des Gegners einleiten. Schon in der Vorsaison kassierten nur drei Mannschaften in der Liga anteilig mehr Kontertore als die Dresdner.

Das Ziel im Aufbau ist es, über die Flügel zu spielen. Dynamo versucht dann die Flügel zu überladen, also neben den Flügelverteidigern bewegen sich auch ein Stürmer und ein Mittelfeldspieler auf die Außenbahn, wenn sich der Ball dort befindet. Man versucht dann dort die gegnerische Defensive durch numerische Überlegenheit auszuspielen.

All diese Charakteristiken machen das Spiel für die Außenbahnspieler besonders laufintensiv und anspruchsvoll, da sie sowohl in der Offensive als auch in der Defensive voll gefordert sind. Der Transfer von Chris Löwe von Premier League Absteiger Huddersfield könnte daher zum zentralen Transfer werden, wenn dieser es schafft, seine Rolle auf links gemäß den Vorgaben auszufüllen.

In der Vorbereitung kämpften die Sachsen oft noch mit dem geforderten Tempo in den Bewegungen, Cristian Fiel kritisierte, die Spieler müssen sich mehr „bewegen, weil man im Stand nichts bewirken kann“. Gleichzeitig zeigte Dynamo sich noch relativ anfällig für individuelle Fehler, gerade bei aggressivem Pressing. Ebenso wackelte Dynamo, wenn der Ball vom Gegner per schnellem Seitenwechsel hinter die Mittelfeldreihe gebracht wurde.

Die letzten Spiele…

… waren Testspiele. Darunter ein 1:6 gegen PSG, dem der Club einige Tage später ein 1:1 abtrotzte, ein 2:3 hinter verschlossenen Türen gegen Fürth und ein 1:1 gegen den Ex-Verein von Club-Trainer Canadi, Atromitos Athen. Gerade der indirekte Vergleich über die Spiele gegen Paris könnte zu Optimismus beim FCN einladen, ist aber gefährlich.

Denn die Chancenqualität der Franzosen gegen den Club war zwar geringer als in Dresden, was ein positives Licht auf die Defensive des FCN wirft, in vielen anderen Kategorien hielt Dynamo aber tatsächlich besser mit. Egal ob Ballbesitz, Passgenauigkeit, Offensivzweikämpfe, Pässe für Raumgewinn oder Ballverluste, in allen Kategorien schneidet Dynamo gegen PSG besser ab als der Club.

Dafür gibt es mit dem unterschiedlichen Spielverlauf und den unterschiedlichen taktischen Ansätzen der Trainer sicher gute Erklärungen und letztlich ist ein 1:1 für die Psyche sicher besser als ein 1:6. Einen Automatismus, der den Club zum klaren Sieger macht, stellt der Quervergleich aber nicht dar.

Der Schlüsselspieler …

… heißt Baris Atik. Der 24-Jährige nimmt im 3-5-2 meist eine Rolle im zentralen Mittelfeld ein. Dabei ist der in Hoffenheim ausgebildete Pfälzer mit türkischen Wurzeln offensiv auf vielerlei Weisen eine Gefahr. Mit seiner Dribbel- und Abschlussstärke sorgt er selbst für Gefahr vor dem gegnerischen Tor, kann aber dank seiner Passgenauigkeit selbst auf engem Raum auch die Mitspieler in Abschlusspositionen bringen. Selbst bei Pässen ins letzte Spielfelddrittel, die einer erhöhten Gefahr unterliegen, abgefangen zu werden, kamen noch 4 von 5 Zuspielen von Atik an.

Zusätzlich zählte er in der Vorsaison – in Relation zu den Einsatzminuten – zu den am häufigsten gefoulten Spielern der Liga. Er ist also schwer mit fairen Mitteln vom Ball zu trennen. Nach dem Foul kommt noch eine weitere Stärke Atiks ins Spiel: Die Standards. Da Atik auch als Flankengeber hohe Präzision hat, stellt er gerade bei Freistoßflanken eine Gefahr dar. Eine Schlüsselfrage am Samstag dürfte als darin liegen, wie das defensive Nürnberger Mittelfeld – wahrscheinlich Erras, Behrens, Jäger – Atik aus dem Spiel nimmt.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 26. Juli 2019 unter dem Titel „Guardiola und ein türkischer Pfälzer“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.