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Taktiktafel: St. Pauli (A)

Das Hinspiel …

… läutete in der Schlussminute den Anfang der Torwartmisere beim 1. FC Nürnberg ein. Nach einem Crash mit Boris Tashchy brach sich Christian Mathenia die Kniescheibe, es folgten Einsätze von vier verschiedenen anderen Torhütern ehe der Stammkeeper seit Januar wieder im Kasten steht. Mathenia rettete in der Aktion, in der die Kniescheibe brach, das Remis. Die in der letzten Minute der Nachspielzeit abgewehrte Chance war die höchstwertige Gelegenheit im ganzen Spiel.

An sich war das 1:1 Anfang Oktober in Nürnberg ein leicht unglückliches Ergebnis für den FCN. So fiel der Führungstreffer der Hamburger auf sehr unglückliche Weise, als der Linienrichter ein Abseits anzeigte, der FCN das Spielen einstellte, St. Pauli traf und sich nach Überprüfung herausstellte, dass kein Abseits vorlag. Der Club kam öfter in den Strafraum der Braun-Weißen, schoss doppelt so oft aufs Tor und vollendete doppelt so viele Pässe in der gefährlichen Zone um das gegnerische Tor. Allerdings waren die Chancen des FCN weitaus weniger gefährlich als die der Gäste. Trotz wesentlich geringerer Schusszahl gingen die Teams am Ende mit fast identischen expected Goals aus der Partie.

Anders seitdem ist …

… die Tabellenposition der beiden Kontrahenten. Nach dem Spiel im Oktober standen St. Pauli und der Club punktgleich auf Platz 5 und 6 der Tabelle. Vor dem Rückspiel trennt sie ein Punkt und sie sind auf Rang 11 bzw. 14. Für St. Pauli folgten auf das Unentschieden in Nürnberg acht weitere sieglose Spiele, aus denen sie gerade mal zwei Punkte holten. Der Club holte nach dem Spiel gegen die Kiezkicker sogar nur drei Punkte aus neun Spielen, ehe der nächste Sieg folgte. Im Gegensatz zum Club trennte sich der FC St. Pauli nicht von seinem Trainer. Wirklich überraschend ist es allerdings nicht, dass Jos Luhukay noch an der Linie steht. Die Aversion von St. Paulis Sportvorstand Andreas Bornemann Trainerwechsel zu vollziehen ist aus seinen Nürnberger Zeiten wohlbekannt.

Luhukay hat St. Pauli in den letzten Monaten in Sachen Grundformation noch einmal flexibler gemacht. Neben 4-1-4-1 und 4-2-3-1 spielen die Hansestädter nun auch ab und zu mit Dreierkette, sind insgesamt etwas flexibler geworden. Die letzten vier Spiele hat St. Pauli dann auch nicht verloren. Möglicherweise hat der Abgang von Mats Møller Dæhli den Hamburgern sogar gutgetan. Der Norweger wechselte im Januar zum belgischen Meister KRC Genk, seitdem ist das Spiel weniger auf eine Person zugeschnitten, die Last des Gestaltens auf mehrere Schultern verteilt.

Statistisch auffällig beim Gegner…

… ist, dass er selten schießt, aber gefährliche Abschlüsse hat. So gesehen war das Hinspiel kein Ausreißer, sondern die Norm. St. Pauli hat die drittkleinste Anzahl an abgegebenen Schüssen, aber den zweihöchsten Wert in den expected Goals pro Schuss. Das liegt sicher daran, dass nur drei Mannschaften (Wehen, Hannover, Stuttgart) anteilig noch weniger von außerhalb des Strafraums schießen. St. Pauli versucht erst in den Strafraum zu kommen, ehe der Abschluss gesucht wird. Das erkennt man auch an den statistischen Werten wie Ballberührungen im Strafraum und angekommene Pässe in Tornähe, wo St. Pauli weitaus bessere Werte hat als es der Tabellenstand vermuten lässt.

Warum also steht St. Pauli nur fünf Punkte vor der Abstiegsrelegation? Zum einen spricht die geringe Schusszahl trotz hoher Zahl der Ballberührungen im gegnerischen Sechzehner eben auch dafür, dass man nicht oft genug zum Abschluss kommt. Tatsächliche Tore und expected Goals liegen auch ungefähr auf gleichem Level, man ist also weder besonders mit Glück noch Pech vor dem Tor gesegnet, sondern schließt einfach zu selten ab.

Zum anderen ist das Verhältnis zwischen Ballbesitz und Ballverlusten relativ hoch. So hat der FC St. Pauli den Ball nur knapp 47 Prozent des Spiels, ist damit auf Platz 11 im Ranking in der Zweiten Liga, bei den Ballverlusten aber auf Platz 6. Die fünf Mannschaften, die vor St. Pauli liegen, haben aber deutlich mehr Ballbesitz, also auch mehr Gelegenheiten, den Ball zu verlieren. Besonders auffällig, niemand verliert anteilig häufiger den Ball im direkten Duell wie die Kiezkicker.

Der Hipster-Spieler …

… ist trotz Bart und Geburtsort Berlin nicht Marvin Knoll. Auch wenn der Standardspezialist für das Spiel der Hanseaten unbestritten wichtig ist, und die Torjäger Diamantakos, Gyökeres und Veerman mehr Aufmerksamkeit bekommen da sie zu dritt zwei Drittel aller Tor erzielt haben, ist der versteckte Schlüsselspieler ein anderer: Ryo Miyaichi. Der 27-Jährige kam 2011 aus Japan zu Arsenal, spielte aber ganze 17 Minuten in der Premier League für die Gunners, stattdessen wurde Rechtsaußen immer wieder verliehen: Zu Wigan, Bolton, Feyenoord und Twente. 2015 ging es dann fest zu St. Pauli und zunächst schien es so, als wäre die Karriere des 2012 zweimal für die Nationalelf eingesetzten Japaners zu Ende. Gleich zweimal riss er sich das Kreuzband, Im Laufe der letzten Saison kam er nach anfänglichem Trainingsrückstand zurück, glänzte da noch eher als Vollstrecker. Im Laufe dieser Saison hat sich Miyaichi nun zum Stammspieler entwickelt. Dabei hat sich der Flügelspieler vom Vollstrecker zum Wegbereiter entwickelt: Keiner hat mehr Torvorlagen, keiner spielt so viele Pässe, die zu Abschlüssen führen, keiner schafft aussichtsreichere Chancen für die Mitspieler wie er. Darüber hinaus ist Miyaichi der beste Zweikämpfer gegen den Ball unter den Offensivspielern. Er holt sich also oft genug den Ball, um ihn dann gleich zu verteilen. Ihn in den Griff zu bekommen dürfte eine der Hauptaufgaben für den FCN sein, von den 17 Spielen mit Torbeteiligung von Miyaichi hat St. Pauli nur zwei verloren.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 13. März 2020 unter dem Titel „Einfach zu wenige Schüsse“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Literatur

Rezension: Eishockey – Alles, was man wissen muss

Der Titel ist ein Versprechen: Alles, was man wissen muss! Ein Versprechen, an dem sich Sebastian Böhms Buch messen lassen muss. Ein Versprechen, das es natürlich nicht halten kann. Und dennoch: Es ist ein lesenswertes Buch.

Das liegt zum einen daran, dass Böhm so flüssig und lesbar schreibt, dass man vergisst, dass man plötzlich mehrere Absätze über Carbonfasern gelesen hat und diese sogar interessant fand, obwohl Kohlestoff bisher nur dahingehend für einen relevant war, weil man selbst zu großen Teilen daraus besteht. Zum anderen liegt es aber daran, dass der Autor sich eine Struktur für sein Buch überlegt hat, die weg geht vom klassischen Aufbau eines Erklärwerks. Es wird sich nicht chronologisch oder thematisch an der Geschichte des Eishockeys und seiner Regeln abgearbeitet, sondern sich an Szenen des olympischen Eishockeyfinals 2018, bei dem die deutsche Mannschaft Silber gewann, aber Gold verlor, entlang gearbeitet.

So wechseln sich Grundsätzliches (Zwei-Minuten-Strafe, Unterzahl) und Taktisches (Forecheck, Verteidigung), Philosophisches (Kunst, Verletzungen) und Nerdiges (Glück, Zahlen) ab und spiegeln im Lesen die Tempowechsel des Eishockeys wieder. Am Ende der meisten Abschnitte werden immer drei zum Thema des Kapitels passende Spieler vorgestellt. Lediglich am Ende des Blocks zur Kunst steht nur einer: Wayne Gretzky.

In den Drittelpausen geht es dann um alles, was man wissen muss, was sich aber nicht mit Spielszenen abbilden lässt: Sei es Eishockey in der NHL, große Spiele oder die Beschreibung des Gestanks in der Kabine einer Eishockeymannschaft. Sebastian Böhm spart in diesen Drittelpausen, wenn es um den Faktor Gewalt im Eishockey (die Beschreibung des Werdegangs von Derek Boogaard und seines Tods an einer Überdosis Alkohol und Schmerzmittel, die er zu sich nahm nach vielen Verletzungen auf Grund seiner letztlich brutalen Spielweise, hinterlässt mehr als nur einen fahlen Geschmack im Mund) oder den Zustand des Eishockeys in Deutschland („Iserlohn gegen Wolfsburg, für die jenseits von Gifhorn und Grafhorst niemand mehr sein Tablet einschaltet, weil in Iserlohn die Eishockeyfans ja schon in der Halle stehen“) geht, nicht an Realismus und deutlichen Worten. Diese Aspekte gehören eben auch zu allem, was man wissen muss.

In der Gesamtschau wird klar, „Eishockey – Alles, was man wissen muss“ ist kein „Eishockey für Dummies“, kein „Beginner’s Guide to Hockey“, sondern ein Buch für Fortgeschrittene. Für jene, die ab und zu schon Eishockey schauen, aber eben nicht alles wissen. Gerade die vielen Anekdoten – von der Aufstellung des allerersten Eishockeyspiels bis zum Potpourri an tollen Frisuren beim High School Eishockey in Minnesota – machen den Sport lebendig und vertiefen den Einblick in das Innenleben der ganz eigenen Eishockeywelt.

Zwar hätte dem Buch an einigen Stellen sorgfältigeres Lektorat gut getan – so steht der richtig ins Deutsche übertragene Titel des Blogs „Irreverent Oilers Fans“, der als Ausgangspunkt der Hockey-Analytics gelten darf, plötzlich einem falschen Original („Irrelevant Oilers Fans“) gegenüber und George Best, nach dem in Belfast ein Flughafen benannt ist, wird zum Londoner – es ist aber doch ein rundum gelungenes Werk. Auch wenn es am Ende natürlich sein Versprechen bricht: Alles, was man wissen muss, weiß man nicht. Aber doch eine ganze Menge mehr.

„Eishockey – Alles, was man wissen muss“ ist im Meyer&Meyer Verlag erschienen, kostet 14,95€ und kann in jeder lokalen Buchhandlung erworben werden.

Disclaimer: Sebastian Böhm, der Autor des Buchs, arbeitet als Redakteur für die Nürnberger Nachrichten, für die ich auch ab und zu schreibe. Er hat mich dennoch nicht um diese Rezension gebeten und mir auch das Buch nicht geschenkt. Es ist eine ehrliche Besprechung. Ich find’s wirklich richtig gut und das nicht nur, weil die drei großen NHL-Spieler alle von den Pittsburgh Penguins kommen.

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Analytics

Der Ball ruht – das ist gar nicht so ungewöhnlich

Der Ball ruht. In ganz Deutschland, in ganz Europa, auf der ganzen Welt (außer in Weißrussland) ist der Fußball zum Erliegen gekommen. So ungewohnt die Situation auch ist, die Tatsache, dass der Ball nicht im Spiel ist, ist eigentlich keine seltene. Der Ball ruht schließlich sogar während eines Spiels. Manchmal sogar mehr als die Hälfte der Spielzeit. So war der Ball in den Spielen des 1. FC Nürnberg in dieser Saison im Schnitt fast 46 Minuten aus dem Spiel. Das ergibt bei einer durchschnittlichen Spieldauer von 95 Minuten knapp 48 Prozent der Spieldauer, in welcher der Ball nicht im Spiel war.  Anteilig am längsten ruhte der Ball beim Hinspiel in Darmstadt, fast 58% der Spieldauer wurde mit Spielunterbrechungen zugebracht.

Der Club ist damit kein statistischer Ausreißer. In einer Studie des CIES Football Observatory wurde festgestellt, dass in allen Ligen effektive Spielzeit nur zwischen 59,7 Prozent (Schweden) und 50,2 Prozent (Tschechien) liegt. Für Deutschland sind die Werte mit 57,1 Prozent (Bundesliga) und 55,4% (Zweite Liga) notiert. Im Übrigen lässt sich hier ein weiteres Charakteristikum für „Zweitligafußballigkeit“ ablesen: In jeder zweiten Liga ist die anteilige Spielzeit deutlich geringer als in der zugehörigen ersten Liga.

Gleichzeitig bedeutet die Erkenntnis, dass der Ball selbst im Spielbetrieb teilweise fast eine Stunde ruht auch, dass die landläufigen Ballbesitzwerte eigentlich nur die halbe Wahrheit erzählen. Selbst im Spiel des FCN, in dem Ball anteilig am längsten im Spiel war, dem letzten Spiel vor der jetzigen Unterbrechung, war weder der die Ballbesitzzeit des Clubs (33:35 Minuten) noch die von Hannover (23:36 Minuten) länger als die Zeit, in der das Spiel unterbrochen war (35:49 Minuten).  Das heißt, der Ballbesitzwert des FCN, der mit 44,8 Prozent angegeben wird, stimmt so eigentlich gar nicht. Denn eigentlich hat der Club den Ball in der Saison 2019/20 nur 23,3 Prozent der Spielzeit in seinem Besitz gehabt.

Wie wenig Rückschlüsse Ballbesitzzeit dann aber auf das einzelne Ergebnis zulässt, zeigen gerade die beiden Spiele gegen Hannover eindrücklich. Während der Club das Rückspiel mit 0:3 verlor, dabei aber die längste Ballbesitzzeit und den höchsten Ballbesitzanteil (58,8 Prozent) der Saison verzeichnete, gewann er das Hinspiel mit 4:0, obwohl er in der niedersächsischen Landeshauptstadt sowohl anteilig (14,1 Prozent der Spielzeit, 26 Prozent bei herausgerechneten Spielpausen) als auch absolut (12:39 Minuten) die geringsten Werte in Sachen Ballbesitz verzeichnen konnte.

Was für das einzelne Spiel gilt, gilt allerdings nicht unbedingt für den Saisonverlauf als solches: So sind in den ersten Ligen von Tschechien, Belgien, Deutschland, Frankreich, Portugal, Griechenland, Holland und Spanien die Teams mit dem meisten Ballbesitz Tabellenführer, in Österreich, Schottland, Russland, Italien und England hat der Tabellenführer den zweimeisten Ballbesitz. Allerdings ist die Frage, inwiefern man in der Betrachtung hier Ursache und Wirkung verdreht, durchaus berechtigt: Sind die Mannschaften in ihrer Liga vorne, weil sie so viel Ballbesitz haben? Oder haben sie so viel Ballbesitz, weil sie Erster sind und die Gegner sich damit eher am eigenen Strafraum verbarrikadieren und den Ball hergeben?

Dass Ballbesitz alleine nicht glücklich macht, zeigen einige Beispiele aus ganz Europa: So ist Dynamo Dresden mit 52,3 Prozent Ballbesitz in dieser Wertung unter den Top 6 der Zweiten Liga, aber in der Tabelle dennoch Letzter, gleiches gilt für Barnsley (53 Prozent) in der zweiten englischen Liga. Brighton Hove Albion ist in der Premier League Fünfter nach Ballbesitz (55,5  Prozent), aber Fünfzehnter in der Tabelle und Girondins Bordeaux ist Frankreichs Ligue 1 Zwölfter in der Tabelle, aber hat den drittmeisten Ballbesitz. Dabei zeigen Bordeaux und Dresden, dass Ballbesitz der nicht zu Abschlüssen führt wirklich wertlos ist: Beide sind in Sachen Torschüsse weit hinten in ihren Ligen. Barnsley und Brighton dagegen sind ein Indiz dafür, dass das expected Goals Modell nicht völlig sinnbefreit ist: Beide sind in ihren Ligen die Teams mit dem schlechtesten Wert für expected Goals pro Schuss. Sie schließen ihren Ballbesitz zu oft aus ungünstigen Positionen ab.

Die angegebenen Ballanteile vom italienischen Anbieter Wyscout zeigen auch ein anderes Problem in der Einordnung von Ballbesitzwerten auf. Sie unterscheiden sich von Anbieter zu Anbieter. Nicht so extrem wie bei den Zweikampfwerten, aber dennoch sind die Methodiken unterschiedlich. Denn während Wyscout tatsächlich die Ballbesitzzeiten stoppt und sekundengenau angibt, verwendet Konkurrent Opta, dessen Daten u.a. vom Fachmagazin Kicker und TV-Sender Sky verwendet werden, eine andere Methodik. Hier wird einfach die Anzahl der Pässe einer Mannschaft durch die Anzahl aller Pässe im Spiel geteilt. Das belohnt Mannschaften, die viele kurze Pässe spielen, mit noch mehr Ballbesitz und erklärt, warum Manchester Citys Ballbesitz je nach Anbieter zwischen 69 und 62 Prozent notiert wird.

Es wird sicher dauern, bis wieder etwas notiert wird, doch auch dann wird der Ball immer noch öfter ruhen, auch im Spiel. Am seltensten im schwedischen Sundsvall. Der örtliche Erstligist hat europaweit die geringsten Ruhephasen für den Ball, nur 36,8 Prozent der Spielzeit ruht der Ball. Am häufigsten tut er das im spanischen Alcoron. Doch selbst die 54,2 Prozent Ruhepausen werden alle Fußballfans nach der jetzigen Zwangspause gern ertragen.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 25. März 2020 unter dem Titel „Fußball ohne Ball“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 27.

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Taktiktafel: Hannover (H)

Das Hinspiel …

… endete mit dem höchsten Clubsieg in den letzten zwei Jahren. 4:0 stand es am Ende für den FCN nach zwei Treffern von Margreitter und je einem von Behrens und Hack. Dabei lässt ein Blick auf die reinen Kennzahlen gar nicht vermuten, dass der Club so klar gewonnen hat: 26 Prozent Ballbesitz, 67 Prozent Passquote, 629:172 Pässe, phasenweise bis zu 30 Prozent lange Bälle. Selbst in Sachen Torschüssen lag Hannover vorn. Doch ein Blick hinter diese großflächigen Zahlen zeigt: Die 74 Prozent Ballbesitz der Niedersachsen waren größtenteils unproduktiv, so genannter „leerer Ballbesitz“.

So schaffte es Hannover trotz wesentlich höheren Spielanteilen nur einmal häufiger als der Club im gegnerischen Strafraum an den Ball zu kommen. In 90 Minuten ging nur ein einziger Schuss Hannovers aufs Tor von Christian Mathenia. Der expected Goals Wert der Gastgeber lag nach der Pause bei 0,02. Es war eines der wenigen Spiele, in der Damir Canadis Strategie des schnellen Umschaltens und Tempos in Richtung Spitze wirklich aufging, was auch an den frühen Toren lag, die Sicherheit gaben.

Anders seitdem ist, …

… wieder einmal, auf beiden Seiten der Trainer. Dabei verbindet Hannover und Nürnberg nicht nur, dass sie als Bundesligaabsteiger gegen den Abstieg aus der Zweiten Liga kämpfen, sondern auch, der Zeitpunkt der Trainerentlassung. Mirko Slomka ging auch nach dem 12. Spieltag, der Nachfolger, Kenan Kocak, gab – wie Jens Keller – sein Debüt am 14. Spieltag. Kocak hat sich in der Grundformation weitgehend auf einer Dreierabwehr festgelegt, streut aber – wie beim Sieg in Fürth oder in der zweiten Halbzeit gegen Kiel – ab und zu auch Viererabwehrformationen ein.

Auffällig beim Videostudium ist, dass die Ketten, egal ob in Dreier- oder Viererreihe, im Zentrum oft nicht auf einer Höhe agieren, sondern ein Spieler etwas tiefer steht. In den vergangenen beiden Spielen war es Timo Hübers, der sich als mittlerer Spieler der Dreierkette oft tiefer fallen ließ als die Mitspieler. Für die Angreifer ergibt sich daher eine Möglichkeit diesen Umstand auszunutzen, da Abseitssituationen schwerer herzustellen sind.

Die meisten Torchancen gegen Hannover entstehen allerdings nicht durch die Mitte, sondern durch Angriffe über die Flügel, sechs der letzten acht Gegentore fielen über Außen, die anderen beiden waren ein Eigentor und ein Elfmeter. Obwohl Hannover weiterhin im Schnitt mehr Ballbesitz hat als der Gegner, ist der Anteil unter Kocak spürbar geringer geworden. Fast 80 Pässe weniger pro Spiel spielen die Niedersachsen seit Kocak das Kommando hat.

Statistisch auffällig beim Gegner…

… sind die Dribblings. Kein Team in der Liga schließt mehr Dribblings ohne Ballverlust ab als Hannover. Mit Muslija, Albornoz, Haraguchi und Maina spielen gleich vier der 15 erfolgreichsten Dribbler des deutschen Unterhauses in Hannover. Keine andere Mannschaft stellt mehr als zwei Spieler in dieser Liste. Hannover greift auch verhältnismäßig oft zu diesem Mittel, gehört bei der Anzahl der Dribblings zum oberen Drittel.

Auch in vielen anderen offensiven Kategorien gehören die Niedersachsen zu den besten Mannschaften in der Zweiten Liga: Ballberührungen im Strafraum, Steckpässe, Pässe zu Abschlusschancen, Pässe ins Angriffsdrittel. In all diesen Bereichen gehören die Sechsundneunziger mindestens zu den besten sechs Teams der Liga. Dass Hannover in Sachen tatsächliche Tore wie auch in Sachen expected Goals aber zu den schlechtesten Mannschaften der Liga gehört, scheint daher nicht so recht ins Bild zu passen.

Doch Hannover schafft es nicht, all diese guten statistischen Werte in Torschüsse umzumünzen. Nur sechs Teams in Liga Zwei haben weniger oft aufs Tor geschossen. In Sachen expected Goals pro Schuss sind sogar nur der KSC und der FCN schlechter als Hannover. Das heißt Hannover schießt nicht nur relativ selten, sondern auch meist aus wenig aussichtsreichen Positionen.

Der Hipster-Spieler …

… ist wie Karlsruhes Änis Ben-Hatira in der Vorwoche gebürtiger Berliner. Er ist auch wie jener Ben-Hatira ein Flügelspieler, allerdings auf der rechten offensiven Außenbahn. Linton Maina ist jedoch erst 20 Jahre alt und steht damit im Gegensatz zu Ben-Hatira am Beginn seiner Karriere. Was Maina auszeichnet sind seine Geschwindigkeit und seine Dribblings.

Der Mann, der seine Karriere beim SV Pfefferwerk in Berlin begann, gehört in Sachen versuchte Dribblings wie auch erfolgreiche Dribblings zu den Top 15 der Zweiten Liga. Seit der Winterpause ist Maina der Hannoveraner mit den meisten Pässen zu Abschlüssen, den meisten Duellen um den Ball und den meisten Balleroberungen im eigenen Angriffsdrittel. Maina ist zur Zeit der offensive Fixpunkt bei Hannover und könnte Tim Handwerker und Robin Hack auf der linken Seite des FCN damit vor Probleme stellen.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 6. März 2020 unter dem Titel „Nur statistisch eine Spitzenmannschaft“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 40.

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Taktiktafel: Karlsruhe (A)

Das Hinspiel …

… war gleichermaßen ein typisches wie ein untypisches Spiel des FCN unter Damir Canadi. Denn viele zwingende Chancen erspielte sich der Club beim 1:1 gegen den KSC im vergangenen September nicht. Nürnberg schoss zwar oft aufs Tor, gefährlich waren aber nur wenige Aktionen, so dass der eigene Treffer durch einen Elfmeter fiel. Ebenfalls typisch war, dass der Club nach einer Führung Punkte verspielte. Gegen Karlsruhe war es das dritte Spiel in Folge, in dem der FCN in Front lag, aber am Ende nur Remis spielte. Inzwischen hat der FCN bereits 21 Punkte nach Führung abgegeben.

Untypisch war dagegen, dass der Club mehr als 62 Prozent Ballbesitz hatte. Es war der Höchstwert in der Saison, ebenso wie die fast 86 Prozent angekommene Pässe. Auch der PPDA-Wert von 6,72 und die 4,62 Pässe pro Ballbesitzphase waren nahe an den Saisonbestwerten, genauso wie die knapp neun Prozent langen Pässe. Seltener als im Hinspiel gegen den KSC griff der Club nie zum langen Schlag. Es war also in Sachen Spielanlage ein völlig untypisches Spiel, das aber dennoch einen gewohnten Ausgang nahm.

Anders seitdem ist …

… auf beiden Seiten der Trainer. Nicht nur Damir Canadi musste seinen Trainerstuhl räumen, sondern auch sein Gegenüber aus dem Hinspiel: Alois Schwartz. Der Ex-Clubtrainer wurde Anfang Februar entlassen, sein bisheriger Co-Trainer Christian Eichner befördert. Dessen Bilanz: Nach dem Pokalaus gegen Regionalligist Saarbrücken holte der KSC aus drei Spielen vier Punkte, so viele wie in den letzten sieben Spielen unter Schwartz.

Noch sucht Eichner nach der passenden Grundformation, experimentierte mit Varianten des 4-4-2 und des 4-3-3. Letzteres war am vergangenen Wochenende in Sandhausen erfolgreich, als der KSC den ersten Sieg seit Ende November einfahren konnte. Erhebliche Rückschlüsse auf Eichners Spielweise lassen die vier Pflichtspiele allerdings nicht zu, da jedes der Spiele seine Eigenheiten hatte, welche Daten und Eindrücke verzerren.

Insbesondere das Remis gegen Osnabrück, bei dem der KSC über eine Stunde in Überzahl spielte, war mit 60 Prozent Ballbesitz und 23 Torschüssen völlig untypisch für Karlsruher Verhältnisse.  Das Gegentor in der dritten Minute der Nachspielzeit dagegen nicht: Der KSC ist nach dem FCN die Mannschaft mit den meisten Gegentoren in der Schlussviertelstunde.

Statistisch auffällig beim Gegner…

… sind natürlich die vielen Gegentore. Mit je 42 Gegentoren treffen heute Abend die beiden anfälligsten Abwehrreihen aufeinander. Doch während der FCN ligaweit die drittwenigsten gegnerischen Torschüsse zulässt, bekommt Benjamin Uphoff im Karlsruher Tor die meisten Bälle auf sein Tor. Fast 14 Schüsse pro Spiel lässt der KSC zu, in den zweiten Ligen der europäischen Top 5 gibt es nur zwei italienischen Zweitligisten (Ascoli, Juve Stabia), die noch mehr unter Beschuss stehen.

Der KSC ist darüber hinaus keine Ballbesitzmannschaft 41,3 Prozent stehen als durchschnittlicher Anteil zu Buche, nur Wehen Wiesbaden (38,7 Prozent) hat das Spielgerät noch seltener als die Badener. Karlsruhe ist auch – nach Regensburg – die Mannschaft in der Zweiten Liga mit der höchsten Anzahl an Ballbesitzphasen unter 5 Sekunden und nach den Oberpfälzern und Wiesbaden auch das Team mit der kürzesten durchschnittlichen Ballbesitzzphase (10,9 Sekunden).

Es passt daher auch ins Bild, dass der KSC nach den beiden anderen genannten Vereinen sowohl die schlechteste Passquote allgemein als auch bei Vorwärtspässen hat und die wenigsten Pässe spielt, die zu Torabschlüssen führen. Ligaspitze ist der KSC dagegen bei Flanken. Niemand jagt mehr Bälle in von den Flügeln in den Strafraum als die Badener. Die acht Kopfballtore, die daraus entstanden sind, sind der drittbeste Wert der Liga hinter Bielefeld (neun) und dem Club (elf). Dass der KSC mit 13 Toren nach Standardsituationen die beste Mannschaft der Zweiten Liga nach ruhenden Bällen ist, liegt auch an der Kopfballstärke des Teams. Niemand gewinnt mehr Kopfballduelle als der KSC.

Der Hipster-Spieler …

… fällt aus. Marc Lorenz hat sich einen Rippenbruch zugezogen und muss pausieren. Gerechnet auf die Einsatzzeit ist der 31-Jährige der beste Vorbereiter des KSC, hat die meisten Vorlagen zu Torvorlagen gegeben, die meisten offensiven Steckpässe gespielt und gehört ligaweit zu den häufigsten Flankengebern. Ersetzt wurde Lorenz gegen Sandhausen durch Änis Ben Hatira. Das ging auf, der Winterneuzugang bereitete ein Tor vor, erzielte eins selbst.

Der ebenfalls 31 Jahre alte Linksaußen war im Winter zum KSC gewechselt. Es stellte die Rückkehr in den deutschen Fußball dar, nachdem Darmstadt 98 im Januar 2017 seinen Vertrag aufgelöst hatte, da Ben Hatira sich nicht von einer von ihm unterstützten Hilfsorganisation, die als „als extremistisch-salafistisch eingestuft“ wurde, distanzieren wollte. Es folgten Stationen in der Türkei (Gaziantepspor), Tunesien (Esperance Tunis) und Ungarn (Honved Budapest). Betrachtet man seine Daten aus der Zeit in Budapest könnte man auf Grund seiner vielen Pässe, die zu Abschlüssen führten, auch Ben Hatira als potenziellen Hipster ansehen – durchaus passend für einen gebürtigen Berliner.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 28. Februar 2020 unter dem Titel „Bedingt abwehrbereit“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Darmstadt (H)

Das Hinspiel …

… war ein wildes Fußballspiel, das am Ende 3:3 endete. 26 Torschüsse gab der Club an diesem Sonntag in Richtung Tor ab, allein 17 davon von außerhalb des Strafraums. Darmstadt dagegen schoss nur elfmal aufs Tor, aber nur einmal von außerhalb des Sechzehnmeterraums.  

Skurril war Mitte September am Böllenfalltor, dass die Torfolge gegenläufig zu den Spielanteilen war. Während Darmstadt vor der Pause mehr Ballbesitz und bessere Chancen hatte, der Club aber zwei Tore machte, drehte sich das Verhältnis nach der Pause um. Die Partie war der beste Beweis dafür, dass statistische Indikatoren eben nicht immer alles erklären können.

Vor der Pause hatte der FCN auch erhebliche Probleme mit Marcel Heller, Darmstadts Rechtsaußen schlug neun Flanken in den Clubstrafraum, schaffte es immer wieder in den Rücken der Abwehr. Erst als Damir Canadi den inzwischen nach Österreich zurückgekehrte Lukas Jäger einwechselte und als linken Innenverteidiger in der Dreierkette brachte, kam Heller nicht mehr so zur Geltung.

Anders seitdem ist …

… keinesfalls die Rechtslastigkeit der Lilien. Von dort fliegen immer noch wesentlich mehr Flanken (8,1 pro 90 Minuten) in den gegnerischen Strafraum als von links (5,7). Auch die Fähigkeit gegnerische Schüsse zu verhindern, hat Darmstadt seit dem Hinspiel nicht erlangt: Fast 14 Schüsse pro Spiel lassen die Südhessen zu, nur der KSC kommt auf einen vergleichbaren Wert.

Auf der anderen Seite war auch die Zahl der Fernschüsse auf das Lilien-Tor typisch. Die durchschnittliche Schussentfernung auf den Darmstädter Kasten ist fast 20 Meter, so weit weg vom eigenen Tor wie bei keinem anderen Team in der Zweiten Liga. Selbst schießen die Darmstädter aber in der Regel deutlich häufiger aus der Distanz aufs Tor als im Hinspiel: Nur die beiden fränkischen Zweitligisten haben mehr Fernschüsse in Richtung gegnerisches Tor abgegeben. Auf Grund dieser Parameter sollte man am Sonntag eigentlich ein Fernschussfestival erwarten.

(Trainer Dimitrios Grammozis rotiert seine Grundformationen auch weiterhin, wechselt recht frei zwischen einem 4-2-3-1, einem flachen 4-4-2 und einer Variante die einen Hybrid zwischen den beiden Formationen darstellt, bei der eine Art “hängende Spitze” nicht als Zehner in der Mittelfeldreihe, aber auch nicht als klare zweite Spitze agiert. Notiert wird das dann meist als 4-4-1-1.)

Statistisch auffällig beim Gegner…

Darmstadt trifft früh und spät: 15 Tore haben die Hessen in der ersten oder letzten Viertelstunde des Spiels erzielt, in den restlichen 60 Minuten des Spiels lediglich zwölf. Ebenfalls auffällig: Trotz Spielern wie Marcel Heller, die viel Geschwindigkeit auf den Platz bringen hat der SVD nur ein einziges Tor per Konter erzielt.

Interessant ist auch, dass Darmstadt mehr als 40 Prozent seiner Eckbälle an den kurzen Pfosten spielt. Nur Heidenheim spielt anteilig mehr Ecken an den ersten Pfosten, was vergangenen Freitag auch zum Späten Ausgleich gegen den FCN führte. Gepaart mit der Tatsache, dass die Lilien überdurchschnittlich viele Tore durch Standards erzielen, zeigt das eine mögliche Schwierigkeit für den FCN am Sonntag an.

Darüber hinaus charakterisiert ein Gegensatz das Darmstädter Spiel: Einerseits haben die Lilien nur einen durchschnittlichen Ballbesitz von 44 Prozent, gehören damit zu den vier Teams mit dem geringsten Wert in dieser Kategorie. Andererseits spielt Darmstadt, wenn sie einmal den Ball haben, die meisten Pässe pro Minute. Das heißt Darmstadt wartet auf den Ballbesitz, überlässt dem Gegner auch gern die Kugel, presst nicht stark, hat den zweithöchsten PPDA-Wert der Liga, den geringsten Anteil an Defensivaktionen pro Minute gegnerischer Ballbesitz) und erobert auch wenig Bälle. Sobald der Ball aber erobert ist, wird der Ball schnell gepasst und über viele Stationen gespielt.

Der Hipster-Spieler …

… ist nicht mehr länger der echte Hipster Marco Sailer, der mit veganer Ernährung und Zottelbart tatsächlich als Hipster durchgegangen wäre. Doch der 34-Jährige hat nach einiger Zeit bei Wacker Nordhausen seine Karriere beendet. Dabei stellt sich die Suche nach einem würdigen Nachfolger relativ schwer dar. Der naheliegendste Kandidat für den versteckten Schlüsselspieler ist gesperrt: Innenverteidiger Immanuel Höhn ist der passsicherste Darmstädter (94 Prozent), gestaltet den Aufbau, schoss letzte Woche den Siegtreffer gegen Sandhausen, flog aber kurz danach vom Platz.

Spieler wie Marvin Mehlem oder Serdar Dursun dagegen sind offensichtliche Schlüsselspieler. Als Hipster-Spieler qualifiziert sich daher am ehesten Seung-Ho Paik. Der Südkoreaner war mit 13 Jahren aus der Heimat zum FC Barcelona gewechselt, hat dort alle Jugendmannschaften durchlaufen, schaffte aber am Ende den Durchbruch nicht und spielte zwei Jahre in der zweiten Mannschaft des katalanischen Zweitligisten Girona, ehe er nach Deutschland wechselte.

In Darmstadt ist Paik der stille Tonangeber. Er spielt von allen Darmstädtern die meisten und genauesten Pässe ins letzte Drittel, spielt von allen Stammkräften im Mittelfeld die genauesten Vorwärtspässe und nach Mehlem die meisten Steckpässe. Wie wichtig Paik ist, zeigt sich auch hieran: Der Punkteschnitt mit Paik in der Startelf ist 1,44 Punkte pro Spiel, ohne ihn liegt er bei 1,0.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 21. Februar 2020 unter dem Titel „Mit einem Hauch von Barcelona“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Heidenheim (A)

Das Hinspiel …

… war so etwas wie das Schlüsselspiel der Hinrunde. Der FCN hatte die Heidenheimer über knapp 80 Minuten kontrolliert, führte durch zwei Tore von Dovedan und Geis mit 2:0, 24:7 Torschüsse standen bis dahin zu Buche und der Club war auf dem Weg zum dritten Sieg im fünften Spiel. Vier Minuten und zwei Heidenheimer Torschüsse durch Dorsch und Schimmer später stand es 2:2 und der Club hatte im zweiten Spiel in Folge durch ein spätes Gegentor Punkte verspielt, ein Muster, das im Rest der Saison immer wiederkehren sollte.

So oft wie in diesem Hinspiel – am Ende waren es 27 Abschlüsse – hat der FCN in dieser Saison nie wieder aufs gegnerische Tor geschossen, eine so hohe Quote an Positionsangriffen, die zu Schüssen führten (41 Prozent), hatte der Club auch nicht mehr in dieser Spielzeit. Das lag auch daran, dass die Passgenauigkeit der Mannschaft bei Pässen ins Angriffsdrittel nie wieder so hoch war wie an diesem Abend spät im August.

Anders seitdem ist, …

… dass der FCN in diesen Kategorien seitdem nicht wieder in diese Höhen gekommen ist, während sich der Gegner hinter der Tabellenspitze festgespielt hat. Vor dem Spiel in Nürnberg hatte Heidenheim nur eins der ersten vier Saisonspiele gewonnen, es folgten acht Spiele, in denen der FCH nur eins verlor. Das Comeback im Max-Morlock-Stadion war so etwas wie eine Inititalzündung für Frank Schmidt und seine Mannschaft. In den sechzehn Spielen seitdem hat nur Bielefeld mehr Punkte geholt als Heidenheim, das jetzt als Vierter vier Punkte hinter dem Aufstiegsrelegationsrang sitzt.

Geschafft hat das Team das vor allem durch seine Defensive. Seit dem Hinspiel hat Heidenheim nur noch zwölf Gegentore kassiert, so wenig wie kein anderes Team der Liga. Der Wert des FCN in dieser Phase: 29. Das liegt zum einen an der hohen personellen Konstanz in der Abwehr, seit Anfang Oktober spielt die Viererkette mit konstant mit demselben Personal: Marnon Busch, Oliver Hüsing, Patrick Mainka und Norman Theuerkauf. Letzterer ist der einzige, der ab und zu durch Jonas Föhrenbach ersetzt wird, wenn er im zentralen Mittelfeld gebraucht wird.

Dass Theuerkauf ab und zu im Mittelfeld aushelfen muss, liegt auch daran, dass Frank Schmidt inzwischen weitgehend vom 4-4-2 mit Raute, das er noch im Hinspiel spielen ließ, abgekommen ist. Stattdessen wechselt der FCH zwischen einem 4-1-4-1 und einem 4-2-3-1, agiert also ähnlich wie der Club in den Spielen seit der Winterpause.

Statistisch auffällig beim Gegner …

… ist eigentlich nichts außerhalb der geringen Anzahl der Gegentore. Der FCH ist der beste Beweis, dass sich nicht alles statistisch messen lässt und dass im Fußball Erfolg am Ende an den Toren gemessen wird. Fast alle relevanten Kategorien besetzt Heidenheim nämlich im mittleren Bereich. Man presst nicht besonders aggressiv, spielt nicht besonders viele tiefe Pässe, schießt nicht besonders oft aufs Tor, hat nicht besonders viele Ballkontakte im Strafraum.

Das einzige was, sofern man sich auf Zahlen aus dem Analyticsbereich verlassen will, auffällt, ist dass Heidenheim deutlich weniger Tore kassiert hat, als man gemessen an der Chancenqualität der Gegner hätte kassieren sollen. Das liegt zum Teil daran, dass man den Gegner zu schlechten Abschlüssen zwingt – nur bei zwei Mannschaften ist die Abschlussqualität der gegnerischen Schüsse noch schlechter – das liegt aber auch an Torwartleistungen und – ganz prosaisch – daran, dass man etwas mehr Glück hatte als andere Mannschaften.

Der Hipster-Spieler …

… versteckt sich in der Heidenheimer Defensive. Patrick Mainka kam im Sommer 2018 von Borussia Dortmunds Zweitvertretung und ist seitdem nahezu unumstrittene Stammkraft an der Brenz. Dabei sticht er nicht nur daraus heraus, dass er als Innenverteidiger in 57 Pflichtspielen erst eine Gelbe Karte kassiert hat. Mit 0,6 Fouls pro 90 Einsatzminuten ist Mainka der fairste Verteidiger des FCH, obwohl er pro Spiel mehr als 17 Zweikämpfe führt. Er gewinnt trotz der fairen Spielweise über 70 Prozent seiner Zweikämpfe gegen einen ballführenden Spieler, teaminterner Bestwert.

Mainka fängt aber nicht nur Bälle im Duell oder durch Positionsspiel ab, er verteilt sie auch. Kein Feldspieler im Team hat eine bessere Quote bei den Vorwärtspässen als Mainka (85 Prozent). Mainka ist der Aufbauspieler im Team, spielt mehr Pässe als jeder andere und im Gegensatz zu vielen anderen Innenverteidigern besteht sein Passrepertoire sogar zu ungefähr der Hälfte aus Vorwärtspässen. Der 25-Jährige ist unauffällig, gehört aber mit seiner ruhigen Art zu den zentralen Figuren des Heidenheimer Erfolgs

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 14. Februar 2020 unter dem Titel „Schwaben im Glück“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Analytics Taktiktafel

Taktiktafel: Osnabrück (A)

Das Hinspiel …

… war der einzige Heimsieg unter Damir Canadi. Ein spätes Tor von Johannes Geis sorgte Ende August für den zweiten Sieg im vierten Spiel. Osnabrücks Trainer Daniel Thioune fasste es nach dem Spiel passend zusammen, als er sagte, dass der Sieg für den FCN verdient, die Niederlage wegen des späten Gegentors für sein Team aber unglücklich gewesen sei. Dieses war ins fünfte Pflichtspiel der Saison mit der vierten unterschiedlichen Grundformation gestartet. So war es eines der ganz wenigen Spiele der Hinrunde in der Zweiten Bundesliga, in dem beide Mannschaften mit Dreierkette agierten.

Es war insgesamt eines der wenigen Spiele in der Hinrunde, bei dem der FCN es geschafft hatte, den Gegner seiner Stärken zu berauben. Der VfL kam kaum zu Zuspielen in Tornähe und schoss selten aufs Tor. Ganz im Gegensatz zum FCN: Der hatte zahlreiche tiefe Zuspiele und schaffte es auch das Pressing, das Osnabrück situativ spielt, auszuhebeln. Dass der Erfolg dennoch knapp war und Osnabrück auch auf Grund eines vom VAR annullierten Treffers nicht in Führung ging, zeigt, wie brüchig das spielerische Konstrukt des 1. FC Nürnberg in dieser Spielzeit ist.

Anders seitdem ist …

… dass Osnabrück inzwischen zumindest eine Formation gefunden hat, die man häufiger einsetzt. Daniel Thioune lässt die Mannschaft oft im 4-2-3-1 auflaufen, tut das aber vor allem auswärts. An der Bremer Brücke variiert der Aufsteiger seine Grundformationen immer noch sehr oft: 3-3-3-1, 4-3-3, 3-4-1-2, 4-4-2 mit Raute waren in den letzten Spielen vor eigenem Publikum die Startformationen. In diesen Spielen wurden unter anderem der VfB Stuttgart und der Hamburger SV geschlagen.

Der VfL kann also vor allem im engen heimischen Stadion überzeugen. Fünf der sieben Saisonsiege erlangte der VfL zuhause. Sieben Siege heißt auch, dass Osnabrück insgesamt eine solide Runde spielt, sich eigentlich die gesamte Saison im Mittelfeld aufhielt. Nach der Niederlage im Hinspiel waren sie Siebter, vor dem Rückspiel sind sie Achter.

Statistisch auffällig beim Gegner …

… ist die geringe Zahl der langen Pässe. Während der Club sowohl unter Canadi als auch unter Keller langen Hafer zum Spielaufbau einsetzt, verzichtet Osnabrück weitgehend auf dieses Mittel zum Spielaufbau. Nur Stuttgart und Hamburg spielen noch seltener den langen Ball. Damit kausal einher geht, dass die Niedersachsen nach Hamburg und Bielefeld das Team mit den wenigsten Ballverlusten sind. Das Aufbauspiel des VfL ist konzentriert und darauf bedacht, den Ball möglichst in den eigenen Reihen zu halten. Das heißt allerdings nicht, dass Osnabrück klassischen Ballbesitzfußball spielt, der durchschnittliche Ballbesitz liegt bei liegt nur bei 47 Prozent.

Ebenfalls auffällig: In Osnabrück ist der Luftraum weniger voll als anderswo. Der Vorjahresmeister der Dritten Liga schlägt die drittwenigsten Flanken in der Liga, von links schlägt sogar niemand weniger Bälle in den Strafraum als die Lila-Weißen. Ein Grund dafür könnte darin zu finden sein, dass der VfL nicht besonders gut in den Luftduellen ist. Kein Team in der gesamten Liga gewinnt einen geringeren Anteil seiner Kopfballduelle. Es ist daher fast verwunderlich, dass Osnabrück derzeit das Team mit den wenigsten Standardgegentoren in der Liga ist. Besonders gut ist der Clubgegner vom Samstag dagegen in den Duellen mit dem Ball am Fuß, Osnabrück hat die höchste Quote an gewonnenen Offensivduellen (44 Prozent) in der gesamten Liga.

Der Hipster-Spieler …

… kam im Sommer 2016 von der SG Sonnenhof Großaspach, ist in Schweden geboren, hat einen deutschen und einen kosovarischen Pass und wurde aber in der Jugend von Arminia Bielefeld ausgebildet. Es geht also quasi nicht mehr Hipster als Bashkim Ajdini. Der 27-Jährige ist Rechtsverteidiger beim VfL Osnabrück und trotz der Flankenaversion seiner Mannschaft unter den besten zehn Flankengebern der Liga.

Damit aber nicht genug: Ajdini ist spielt die meisten Pässe die zu Abschlüssen führen, was natürlich zum Teil daran liegt, dass er häufig flankt. Flanken führen häufiger als Pässe zu direkten Abschlüssen. Auch gehört Ajdini, obwohl er Verteidiger ist zu den Top 5 der Osnabrücker in Sachen „erfolgreiche Offensivaktionen pro Spiel“. Ein echter Antreiber, der allerdings in der Rückwärtsbewegung manchmal wackelt.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 7. Februar 2020 unter dem Titel „Leere im Luftraum“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Analytics Taktiktafel

Taktiktafel: Sandhausen (H)

Das Hinspiel …

… war ein wildes Fußballspiel, bei dem der FCN nach einer schwachen ersten Halbzeit wieder ins Spiel kam, nur um dann das erste in einer Reihe von späten Gegentoren zu kassieren und mit 3:2 zu verlieren. Auffällig war bei der Nachbetrachtung zum einen, dass der Club zum zweiten und nicht zum letzten Mal deutlich mehr Tore kassierte, als er per xG hätte kassieren sollen. Der statistische Erwartungswert der Chancen der Sandhäuser war lediglich 0,75 gewesen. Großen Anteil an dieser hohen Diskrepanz hatte der Führungstreffer durch Mario Engels, der per Freistoß aus erheblicher Distanz fiel und durch einen Fehler von Christian Mathenia begünstigt war.

Ebenfalls bemerkenswert war, wie hoch der Anteil der langen Bälle in diesem Spiel war. Phasenweise war jeder dritte Pass ein langer Ball, der Club hatte auf das ganze Spiel gerechnet immerhin eine Quote von 25 Prozent. Je länger ein Pass, desto unpräziser ist er, deshalb stand am Ende auch eine Passquote von lediglich 60 Prozent bei den Vorwärtspässen zu Buche. Es war das erste in einer Reihe von Spielen, bei denen man das Gefühl hatte, die Mannschaft habe Damir Canadis Idee, den Ball schnell in die Spitze zu spielen so interpretiert, dass das Spielgerät möglichst unkontrolliert Richtung gegnerisches Tor geschlagen werden sollte.  

Anders seitdem ist …

… in mancherlei Hinsicht wenig. Der Club hat auch seitdem deutlich mehr Tore kassiert, als er eigentlich hätte sollen. Sandhausen dagegen deutlich weniger als die Chancenqualität des Gegners es vermuten ließe. Der FCN gehört immer noch zu den Teams mit den meisten langen Bällen und mit relativ geringer Präzision in den Zuspielen.

Seit dem Hinspiel hat Sandhausen allerdings seinen Schlüsselspieler abgegeben. Philipp Förster wurde an den VfB Stuttgart verkauft. Stattdessen verpflichtete man einen anderen Ex-Cluberer. Seit dem 2.9. steht Besar Halimi am Hardtwald unter Vertrag. Der Deutsch-Kosovare kam aus Dänemark von Bröndby IF und hat sich in den Wochen vor der Winterpause in der Stammelf festgespielt.

Dass er dies konnte, hängt auch damit zusammen, dass Trainer Uwe Koschinat seine Grundformation von 4-2-3-1 auf ein 4-4-2 mit Raute umgestellt hat. In der Kombination Raute mit Halimi auf der Position hinter den Spitzen hat Sandhausen noch nicht verloren, allerdings von den sechs Partien auch nur zwei gewonnen. Das unterstreicht: Die Sandhäuser sind mit neun Unentschieden zusammen nach Darmstadt die Remis-Könige der Liga.

Statistisch auffällig beim Gegner …

… sind vor allem Kleinigkeiten. So geht der SVS von allen Teams am seltensten ins Dribbling und hat die geringste Anzahl von Steckpässen gespielt, zählt aber dennoch in Sachen Ballkontakte im Strafraum, abgegebene Schüsse und Pässe in Tornähe zur Spitzengruppe der Liga.  Das hat viel damit zu tun, dass Sandhausen überdurchschnittlich häufig Flanken einsetzt. Sandhausens Außenverteidiger Dennis Diekmeier (122 Flanken) und Leart Paqarada (83) liegen in der Zweiten Liga auf Platz eins und vier des Rankings.

Viel wichtiger aber ist, dass sie in Sachen Zielgenauigkeit mit 42% bzw. 40% angekommenen Flanken auch beide unter den Top 5 der Liga sind. Die hohe Zahl ist sicher zum Teil damit zu erklären, dass im 4-4-2 mit Raute die äußeren Mittelfeldspieler fehlen und die Außenverteidiger noch mehr auf die offensiven Flügel vorstoßen können, um dort zu flanken, die Genauigkeit in den Zuspielen ist aber den Fähigkeiten der Spieler geschuldet.

Angesichts dieser Werte überrascht es nicht, dass der Spieler mit den meisten Kopfballduellen der Liga auch beim SV Sandhausen spielt: Kevin Behrens kommt auf fast drei Duelle mehr der nächste in Liste. Da er auch der Stürmer mit der zweitbesten Kopfballduellquote (53%) ist, wundert es nicht, dass niemand in der Zweiten Liga mehr Kopfballtore als Kevin Behrens erzielt hat, eins davon im Hinspiel gegen den FCN, zwei vorgestern in Osnabrück.

Der Hipster-Spieler …

… ist der Torwart. Martin Fraisl kam zu Saisonbeginn vom FC Botosani aus Rumänien. Dort war er vom Florisdorfer AC aus Wien, einem Zweitligisten hingewechselt und hatte, nachdem er sich den Stammplatz erkämpft hatte, unter anderem dadurch ausgezeichnet, dass er in 15 Einsätzen acht Mal zu Null gespielt hatte und fünf Tore weniger kassiert hatte, als es die Chancenwahrscheinlichkeit vermuten hätte lassen. In Sandhausen deutet der Keeper nun an, dass diese Zahl kein Zufall ist. Eigentlich hätte Fraisl fast 27 Tore kassieren müssen, es waren aber bisher nur deren 20. Es ist damit das dritte Mal in vier Spielzeiten, dass er den xG-Wert schlägt.

Wie gut diese Zahlen sind, unterstreicht die Tatsache, dass seine Quote an gehaltenen Schüssen bei 75% liegt, eine Quote, die in den drei deutschen Profiligen kaum ein Torwart übertrifft, in der ersten Liga hat nur Gladbachs Yann Sommer (76%) einen leicht besseren Wert. Was bei Fraisl hinzukommt, ist die Tatsache, dass er von allen Torhütern mit signifikanten Einsatzzeiten eine der besten Passquoten hat. Besonders bei langen Bällen sticht diese heraus: 73% seiner langen Zuspiele kommen an, obwohl sein durchschnittlicher langer Pass mehr als 51 Meter Distanz zurücklegt. Der Niederösterreicher ist also nicht nur schwer zu überwinden, sondern auch ein wichtiger Faktor im Spielaufbau.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 31. Januar 2020 unter dem Titel „Eine kleine Spitzenmannschaft“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Analytics Taktiktafel

Taktiktafel: Hamburg (A)

Das Hinspiel …

… war das einzige Spiel im bisherigen Saisonverlauf, bei dem der FCN es nicht schaffte, auch nur einen einzigen Schuss aufs Tor des Gegners abzugeben: Vier der neun abgegebenen Schüsse wurden geblockt, vier gingen neben den Kasten, einer über das Tor. Beim HSV dagegen gingen acht der 15 Versuche aufs Tor, vier Mal landete der Ball dann im von Christian Mathenia gehüteten Gehäuse. Das war auch das Ergebnis eines deutlich zielstrebigeren Spiels der Gäste. Zwar hatten beide Teams 25 Angriffsphasen aus dem Spiel heraus, doch während der FCN nur vier davon mit einem Schuss abschloss, kamen die Hamburger auf die doppelte Anzahl.

Wenn eine Mannschaft vier Gegentore bekommt, dann müssen natürlich defensive Schwächen erkennbar sein, selbst wenn die vier Treffer deutlich über dem xG-Wert von 1,7 lagen, was schon darauf hindeutet, dass Christian Mathenia bei den Toren nicht immer gut aussah. Doch auch andere defensive Mängel waren an jenem Montagabend im August zu erkennen: So hatte der FCN den drittschwächsten Saisonwert in Sachen Balleroberungen, hatte sehr viele Ballverluste, auch weil man nur jeden vierten seiner Zweikämpfe mit dem Ball am eigenen Fuß gewinnen konnte. Das stellte ebenfalls einen Saisontiefstwert dar wie die lediglich 27 Prozent gewonnene Kopfballduelle. Insgesamt sah das Spiel so aus, als gäbe es einen Klassenunterschied zwischen den Mannschaften.

Anders seitdem ist …

… nicht wirklich viel. Der HSV steht auf einem Aufstiegsplatz, spielt über weite Strecken ansehnlichen Fußball, selbst wenn er gegen Ende der Hinrunde ins Straucheln geriet, auch weil er seine Chancen nicht verwertete. In den letzten fünf Spielen bleiben die Hanseaten in Sachen geschossene Tore unter ihrem xG-Wert und von den letzten acht Pflichtspielen gewann man nur das Duell gegen Dynamo Dresden. Letztere Aussage trifft in gleicher Weise auch auf den FCN zu. Allerdings hatte der FCN davor nur drei Ligaspiele gewonnen, der HSV sieben.

In Sachen Ausrichtung hat Dieter Hecking dagegen wenig verändert, die Grundformation ist ein 4-1-4-1, das Anfang September durch den Transfer von Martin Harnik in seine Geburtsstadt noch zusätzliche Flexibilität erhalten hat. Harnik, Jatta und Kittel sind allesamt in vielen offensiven Kategorien statistisch weit vorne und sorgen auch augenscheinlich für sehr viel Gefahr. 

Statistisch auffällig beim Gegner …

… ist, dass der HSV in vielen offensiven Kategorien Ligaspitze ist. So spielen die Hamburger die meisten Pässe, die in Tornähe ankommen und liegen mit 13,52 Pässen pro 90 Minuten ungefähr um den Faktor 1,75 vor dem FCN, der mit 7,81 solcher Zuspiele im Ligamittelfeld liegt. Der klare Vorteil dieser Zuspiele liegt darin, dass sie dort passieren, wo es für den Gegner gefährlich wird, da es wahrscheinlich ist, dass aus dem Zuspiel ein Torschuss erwächst. Da (fast) nur aus eigenen Torschüssen Tore entstehen können, ist ein Zuspiel in dieser Zone – Tornähe wird als ein Halbkreis im Radius von 20 Metern um die Tormitte definiert – besonders gefährlich.

Nahezu folgerichtig ist es deshalb, dass der HSV in Sachen Ballkontakte im Strafraum hinter dem VfB Stuttgart auf Rang Zwei in der Zweiten Liga liegt. Auch die Genauigkeit der Steckpässe, also Bälle in die Schnittstelle der Abwehr, ist ligaweit die höchste, obwohl Hamburg die zweitmeisten dieser Zuspiele vollzieht. Kombiniert man all dies mit der Erkenntnis, dass die Erfolgsaussichten eines Schusses größer werden, je näher am Tor er passiert, ist es auch nicht verwunderlich, dass der HSV den höchsten durchschnittlichen xG-Wert pro Schuss in der gesamten Liga hat und die Rothosen auch tatsächlich die meisten Tore geschossen haben.

Der Hipster-Spieler …

… kann eigentlich nur Adrian Fein sein. Der Leihspieler von Bayern München ist der Spieler im deutschen Unterhaus, der am häufigsten mit dem Ball am Fuß Raumgewinn erzielt. Darüber hinaus versucht er nicht nur oft jene Läufe, sondern erzielt pro Spiel mit Ball am Fuß etwa einen Ballgewinn von 105 Metern. Das stellt den höchsten Wert für einen zentralen Mittelfeldspieler im deutschen Profifußball dar. Alle Spieler mit höheren Zahlen sind entweder Innenverteidiger oder Außenbahnspieler, die nicht so früh attackiert werden und daher mehr Zeit zum Laufen mit dem Ball bekommen.

Doch auch im Passspiel ist Fein einer der besten der Liga. Der 20-jährige hat die höchste Quote an kreativen Pässen im Spiel (2,29/90 Minuten) und ist in den Kategorien Pässe, die zu einem Torabschluss führen, Pässe, die in Tornähe ankommen und Pässe ins Angriffsdrittel jeweils unter den besten zehn Spielern der Zweiten Liga. All das wohlgemerkt aus der Position im defensiven Mittelfeld heraus. Es ist also nicht verwunderlich, dass der FC Bayern zwischen Weihnachten und Neujahr den Vertrag seiner Leihgabe an die Elbe um drei Jahre bis Sommer 2023 verlängerte und alle Beobachter davon ausgehen, dass der U21-Nationalspieler im kommenden Sommer eine Chance im Profikader des Rekordmeisters bekommen wird.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 29. Januar 2020 unter dem Titel „Mit der höchsten Steckpass-Genauigkeit im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 34.