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Rezension: Eishockey – Alles, was man wissen muss

Der Titel ist ein Versprechen: Alles, was man wissen muss! Ein Versprechen, an dem sich Sebastian Böhms Buch messen lassen muss. Ein Versprechen, das es natürlich nicht halten kann. Und dennoch: Es ist ein lesenswertes Buch.

Das liegt zum einen daran, dass Böhm so flüssig und lesbar schreibt, dass man vergisst, dass man plötzlich mehrere Absätze über Carbonfasern gelesen hat und diese sogar interessant fand, obwohl Kohlestoff bisher nur dahingehend für einen relevant war, weil man selbst zu großen Teilen daraus besteht. Zum anderen liegt es aber daran, dass der Autor sich eine Struktur für sein Buch überlegt hat, die weg geht vom klassischen Aufbau eines Erklärwerks. Es wird sich nicht chronologisch oder thematisch an der Geschichte des Eishockeys und seiner Regeln abgearbeitet, sondern sich an Szenen des olympischen Eishockeyfinals 2018, bei dem die deutsche Mannschaft Silber gewann, aber Gold verlor, entlang gearbeitet.

So wechseln sich Grundsätzliches (Zwei-Minuten-Strafe, Unterzahl) und Taktisches (Forecheck, Verteidigung), Philosophisches (Kunst, Verletzungen) und Nerdiges (Glück, Zahlen) ab und spiegeln im Lesen die Tempowechsel des Eishockeys wieder. Am Ende der meisten Abschnitte werden immer drei zum Thema des Kapitels passende Spieler vorgestellt. Lediglich am Ende des Blocks zur Kunst steht nur einer: Wayne Gretzky.

In den Drittelpausen geht es dann um alles, was man wissen muss, was sich aber nicht mit Spielszenen abbilden lässt: Sei es Eishockey in der NHL, große Spiele oder die Beschreibung des Gestanks in der Kabine einer Eishockeymannschaft. Sebastian Böhm spart in diesen Drittelpausen, wenn es um den Faktor Gewalt im Eishockey (die Beschreibung des Werdegangs von Derek Boogaard und seines Tods an einer Überdosis Alkohol und Schmerzmittel, die er zu sich nahm nach vielen Verletzungen auf Grund seiner letztlich brutalen Spielweise, hinterlässt mehr als nur einen fahlen Geschmack im Mund) oder den Zustand des Eishockeys in Deutschland („Iserlohn gegen Wolfsburg, für die jenseits von Gifhorn und Grafhorst niemand mehr sein Tablet einschaltet, weil in Iserlohn die Eishockeyfans ja schon in der Halle stehen“) geht, nicht an Realismus und deutlichen Worten. Diese Aspekte gehören eben auch zu allem, was man wissen muss.

In der Gesamtschau wird klar, „Eishockey – Alles, was man wissen muss“ ist kein „Eishockey für Dummies“, kein „Beginner’s Guide to Hockey“, sondern ein Buch für Fortgeschrittene. Für jene, die ab und zu schon Eishockey schauen, aber eben nicht alles wissen. Gerade die vielen Anekdoten – von der Aufstellung des allerersten Eishockeyspiels bis zum Potpourri an tollen Frisuren beim High School Eishockey in Minnesota – machen den Sport lebendig und vertiefen den Einblick in das Innenleben der ganz eigenen Eishockeywelt.

Zwar hätte dem Buch an einigen Stellen sorgfältigeres Lektorat gut getan – so steht der richtig ins Deutsche übertragene Titel des Blogs „Irreverent Oilers Fans“, der als Ausgangspunkt der Hockey-Analytics gelten darf, plötzlich einem falschen Original („Irrelevant Oilers Fans“) gegenüber und George Best, nach dem in Belfast ein Flughafen benannt ist, wird zum Londoner – es ist aber doch ein rundum gelungenes Werk. Auch wenn es am Ende natürlich sein Versprechen bricht: Alles, was man wissen muss, weiß man nicht. Aber doch eine ganze Menge mehr.

„Eishockey – Alles, was man wissen muss“ ist im Meyer&Meyer Verlag erschienen, kostet 14,95€ und kann in jeder lokalen Buchhandlung erworben werden.

Disclaimer: Sebastian Böhm, der Autor des Buchs, arbeitet als Redakteur für die Nürnberger Nachrichten, für die ich auch ab und zu schreibe. Er hat mich dennoch nicht um diese Rezension gebeten und mir auch das Buch nicht geschenkt. Es ist eine ehrliche Besprechung. Ich find’s wirklich richtig gut und das nicht nur, weil die drei großen NHL-Spieler alle von den Pittsburgh Penguins kommen.

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Drei Bücher, die ein Team begleiten

1. Tim Parks: Eine Saison mit Verona

Fast schon die Mutter dieses Genres. Einer, der etliche Nachahmer fand, der sogar den Sidekick von Harald Schmidt dazu veranlasste, über den 1. FC Köln zu schreiben.

Parks, bis 2019 Literaturprofessor in Mailand, begleitet Hellas Verona durch die Saison 2000/01. Er zeichnet dabei nicht nur ein Bild des italienischen Fußballs vor zwanzig Jahren, sondern auch eines von Italien um die Jahrtausendwende.

Parks bestreitet seine Auswärtsreisen mit der brigate gialloblú und beschönigt dabei keinen Aspekt dessen, was die Hellas-Anhänger da singen, sagen und tun. Gleichzeitig merkt man im Laufe des Buchs, dass Parks immer mehr aufgeht in der Gruppe, immer weniger Draufsicht und immer mehr Innensicht wird.

Ein Klassiker, der auch heute noch nichts an seiner Wirkung verloren hat.

2. Charlie Connelly: Stamping Grounds

Liechtenstein mag ein abseitiger Ort für Fußball sein. Es ist aber der Ort für eine gute Geschichte. Charlie Connelly, eigentlich Reisejournalist, verfolgt die zum Scheitern verurteilte Qualifikationsrunde des liechtensteinischen Nationalteams für die WM 2002.

Die Tatsache, dass Connelly einer ist, der viel über seine Reisen schreibt, ist von Vorteil, denn die Spielberichte sind selbstverständlich sehr einseitig und triefen niemals vor Spannung. Zu unterlegen sind die Liechtensteiner. Doch die Beschreibung des Lands allein lässt den Leser spüren, wie es ist, in so einem Mikrostaat zu leben.

Auch hier gilt, je länger der Autor sich mit dem Sujet beschäftigt, desto mehr taucht er ein, desto mehr wird er vom stillen Beobachter zum glühenden Anhänger. Bei Connelly kommt hinzu, dass er viel Zeit mit den Verantwortlichen des Liechtensteiner Verbands verbringt. So bekommt das stets unmögliche Unterfangen für Liechtenstein, Erfolge im internationalen Fußball zu feiern, einen menschlichen Anstrich.

3. Aidan Smith: Heartfelt

Aidan Smith ist Fan von Hibernian, doch in diesem Buch geht es nicht um die Hibs, es geht um den Lokalrivalen. Denn Smith begleitet ein Jahr lang nicht seinen Lieblingsverein, sondern den Erzfeind: Hearts of Midlothian. Trainspotting-Autor Irvine Welsh wird auf dem Buch damit zitiert, dass es das beste Buch sei, das er je über Fußball gelesen habe.

Womöglich hat Welsh nicht so viele Bücher über Fußball gelesen, ein gutes Buch ist „Heartfelt“ aber allemal. So seltsam die Prämisse ist, so sehr entwickelt das Buch dann genau deshalb seine Deutungsmacht. Denn am Ende ist Fußball eben doch überall gleich und Smith stellt das dann auch ziemlich schnell fest.

Das ist die große Leistung des Buchs. Ein Buch, das mit großen Animositäten aufmacht, endet mit vielen Gemeinsamkeiten und ganz ohne Hass. Smith auf dieser Reise zu begleiten ist spannend und man fragt sich selbst: Würde es mir auch so gehen?