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Taktiktafel: Osnabrück (H)

Der Trainer…

… bezeichnet sich selbst als „Kind der Stadt“, ist also ein echter Osnabrücker, selbst wenn er wenige Kilometer außerhalb der Stadtgrenzen in Georgsmarienhütte geboren wurde. Der heute 45-Jährige war bereits als Spieler sechs Jahre beim VfL. Im Oktober 2017 war Thioune Nachwuchskoordinator und U19-Trainer des VfL, als ihm die Nachfolge von Urgestein Joe Enochs angetragen wurde.

Der Start war holprig, drei von vier Spielen als Interimstrainer gingen verloren, darunter ein 2:3 gegen den FCN im Pokal. Dennoch machte die Vereinsspitze Thioune zum Chef und ließ davon auch nicht ab, als der VfL die Saison 2017/18 mit dreizehn Pflichtspielen ohne Sieg abschloss. Das Vertrauen machte sich bezahlt: Ein Jahr später stieg Osnabrück als Drittligameister auf. Ex-Spieler Alexander Dercho macht Thioune für den Erfolg verantworlich: „Der Trainer gibt uns viel Input, neue Ideen und fördert und fordert uns in jedem Training. Er hat der Mannschaft von Anfang an eine Siegermentalität eingeimpft.“ Thioune selbst betont vor Saisonstart jene Siegermentalität: „Wir wollen die Liga nicht nur halten, sondern wir wollen sie bereichern. Ich will über den VfL Osnabrück hören: ‚Schön, dass ihr wieder da seid, und es macht Spaß, euch zuzusehen.'“

Die Grundordnung…

… liegt nicht in der Formation. In den ersten vier Pflichtspielen nutzte der VfL fünf verschiedenen Grundformationen mindestens 30 Minuten lang: 5-4-1, 4-2-3-1, 4-4-2, 3-4-3, 3-4-1-2. Was nach Zahlensalat aussieht, stellt sich als einer der Erfolgsfaktoren in Sachen Aufstieg heraus. Osnabrück reagiert sehr oft auf Entwicklungen im Spiel. Nur knapp die Hälfte aller Spiele wurde mit der gleichen Grundordnung durchgespielt.

Thioune liegt mit seiner Flexibilität im Trend. Auch wenn gegen Ende der vergangenen Saison das Umstellen von Formationen und Systemen während eines Spiels von einigen Bundesligaprofis wie Hoffenheims Kramaric („Wir wechseln zu oft das System während des Spiels. Wir sind nicht bereit dafür.“) scharf kritisiert wurde, gehört das Umstellen der Herangehensweise in Reaktion auf den Gegner inzwischen zum Handwerk vieler Trainer. Wichtig ist es dabei, die Balance zu finden zwischen notwendiger Reaktion und Durchsetzung eigener Vorhaben.

Statt einer steten Grundformation gibt es ein anderes Grundprinzip: Das direkte Spiel nach vorne. Der VfL spielte in vielen Partien um die Hälfte seiner Pässe nach vorne. Die meisten Mannschaften kommen hier nur auf Werte um ein Drittel. Mit den vielen Vorwärtspässen eng verbunden: Osnabrück war Ligaspitze in Sachen angekommene Pässe in Tornähe. Dies bedeutet, dass der VfL viele Pässe nah am Tor zum Mann bringt und sich so natürlich auch mehr Abschlusschancen erspielen kann.

Dementsprechend waren die Niedersachsen auch in Sachen Ballkontakte im gegnerischen Strafraum weit vorne zu finden. Beides Kategorien, in denen der FCN in der Bundesliga 2018/19 am Tabellenende stand und dies auch jetzt nach drei Spieltagen in der Zweiten Liga wieder tut, obwohl es Damir Canadis Ziel eigentlich ist, dies zu ändern.

Die letzten Spiele…

… stellten die Flexibilität der Niedersachsen eindrucksvoll unter Beweis. Gegen Heidenheim spielte der VfL auf Augenhöhe mit, verzichtete aber darauf viel zu pressen. Dennoch hatte er in manchen Phasen sogar häufiger den Ball als die Gäste und war oft per individuellen Aktionen auf den Flügeln gefährlich, verlor aber nach einem Platzverweis das Spiel. In Sandhausen dagegen frustrierte Osnabrück die Gastgeber dagegen damit, dass sie eine deutlich passivere Spielanlage wählten und stattdessen den SVS das Spiel machen ließen. Die Idee war aus einer stabilen Abwehr heraus zu kontern und direkt zu spielen. Sie ging auf: Osnabrück kam per Freistoß zum einzigen Tor des Spiels.

Im Pokal gegen Leipzig und am Montag gegen Darmstadt dagegen wählte Thioune eine andere Herangehensweise: Der Gegner wurde viel und früh unter Druck gesetzt. Während es gegen Leipzig lediglich zu einem Achtungserfolg (2:3) reichte, kam der Gast aus Hessen unter die Räder. Beim 4:0 gegen die Lilien beeindruckte Osnabrück durch die Kombination von Pressing und schnellem Spiel in die Spitze.

Die Schlüsselspieler…

… bilden das Doppelherz des VfL: Bei allen Formationsrochaden bilden Ulrich Taffertshofer und David Blacha eine Konstante. Beide sind Prototypen für das, was Daniel Thioune mit „bei uns ist niemand zufrieden mit dem Ist-Zustand“ beschreibt: Fast alle im Kader hatten Hoffnungen auf größere Karrieren, die sich so nicht manifestierten. Blacha wurde mit Borussia Dortmund U19-Vizemeister, schaffte aber beim BVB nie den Durchbruch und versuchte sein Glück danach in Ahlen und Wehen. Für Taffertshofer ging es bei 1860 München nicht weiter. Er kam über Burghausen und Unterhaching zum VfL.

Fast immer bilden die beiden das zentrale Mittelfeld. Sie verbinden Abwehr und Angriff, egal ob als Doppelsechs im 4-2-3-1 oder als Doppelacht im 4-4-2. Blacha übernimmt dabei den marginal offensiveren Part, spielt etwas mehr Pässe, die zu Abschlüssen führen und etwas öfter ins letzte Spielfelddrittel. Taffertshofer agiert etwas defensiver, führt mehr Zweikämpfe und fängt mehr Balle ab. Ein Ansatzpunkt für den FCN muss es also sein, zu versuchen, jenes Herz des Spiels aus dem Rhythmus zu bringen, um so die Struktur des Osnabrücker Spiels zu unterbrechen.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 23. August 2019 unter dem Titel „Flexibilität, die Spaß macht“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Sandhausen (A)

Der Trainer…

… machte erste Erfahrungen beim Basketball, wo er die Frauenmannschaft von Vallendar als Trainer erst in die Drittklassigkeit und dort zum Klassenerhalt führte. Viele Jahre später gelang ihm dies im Fußball mit den Herren von Fortuna Köln. In der Kölner Südstadt war Uwe Koschinat fast sieben Jahre und über 300 Spiele im Amt, ehe er vergangenen Oktober nach Sandhausen wechselte. Dort schaffte er den Klassenerhalt, da der SVS in den letzten zehn Spielen der Saison mehr Punkte als sonst jede andere Zweitligamannschaft holte.

Seine Vorstellungen charakterisiert der 47-Jährige sehr offen mit den Worten: „Ich bin kein großer Freund von Ballbesitz-Fußball. Um damit die kompakten Abwehrreihen in der Zweiten Liga aushebeln zu können, braucht man eine enorme Qualität. Ich liebe es, wenn es schnell nach vorne geht.“ Dementsprechend stand Sandhausen in Sachen Ballbesitz in der vergangenen Saison auch auf dem letzten Platz. In der Regel lässt Koschinat so spielen, dass der Gegner das Spiel machen muss und Sandhausen durch schnelles Umschalten in Richtung Tor spielt.

Die Grundordnung…

… ist bei Koschinat nicht dogmatisch festgelegt. Meist lässt er jedoch bei Anpfiff erst einmal im 4-2-3-1 agieren und setzt dann auf Tempogegenstöße über die Außen mit Fokus auf die rechte Seite. Auch wenn diese Auslegung des 4-2-3-1 Ex-Clubtrainer Michael Köllner in seiner Charakterisierung der Formation als „reaktiv“ Recht gibt, ist dies nicht zwangsläufig der Fall. Wie nahezu jede Grundordnung kann auch das 4-2-3-1 aktiv gespielt werden, es ist in Sachen Ausrichtung wohl sogar etwas flexibler als andere Grundformationen.

Der beste Beweis hierfür waren die Spanier, die um 2010 ihren dominanten Ballbesitzfußball in eben jenem 4-2-3-1 aufzogen. Die Tatsache, dass die Spanier so erfolgreich waren, war einer der Gründe dafür, dass zwischen Mitte des letzten und Mitte dieses Jahrzehnts das 4-2-3-1 die vorherrschende Formation in der Fußballwelt war. Da viele Spieler, die derzeit aktiv sind, in der Hochzeit des 4-2-3-1 ausgebildet wurden und es nahezu schlafwandlerisch herunterspielen können, ist es auch jetzt noch oft die Formation, auf die Trainer zurückfallen.

Die größte Bürde im 4-2-3-1 liegt auf den Außenverteidigern: Einerseits sind sie defensiv besonders gefragt, da die Distanz zwischen ihnen und den eigenen Mittelfeldspielern oft groß ist. Andererseits sollen die Außenverteidiger den Spielaufbau ankurbeln und sich ins Offensivspiel einschalten. Mit Diekmeier und Paqarada hat Sandhausen hier für Zweitligaverhältnisse überdurchschnittlich starke Spieler, was die Umsetzung des 4-2-3-1 begünstigt.

Die letzten Spiele…

… waren nur zum Teil typisch für das, was die Grundvorstellung von Uwe Koschinat ist. Am zweiten Spieltag gegen Osnabrück wurden die Sandhäuser mit den eigenen Mitteln geschlagen. Die Gäste überließen Sandhausen den Ball und warteten selbst auf Konter. Sandhausen versuchte die Aufgabe anzunehmen, schob beide Außenverteidiger im Aufbau tief in die gegnerische Hälfte und bemühte immer wieder auf die Flügel zu kommen. Dabei lief sehr viel über die rechte Seite und Rechtsverteidiger Dennis Diekmeier. Allerdings kamen nur wenige Zuspiele an und so hatte Sandhausen tatsächlich die besten Gelegenheiten aus Umschaltsituationen. Da sie aber keine der Gelegenheiten verwerteten, Osnabrück jedoch per Freistoß traf, stand Sandhausen am Ende ohne Punkte da.

Im ersten Saisonspiel in Kiel dagegen spielte Sandhausen den üblichen Fußball. Da man früh in Führung gegangen war, ließ man Holstein kommen und wartete darauf, mit schnellen Gegenstößen ein zweites Tor zu erzielen. Dies gelang trotz guter Chancen nicht, stattdessen glich Kiel aus und hätte das Spiel danach gewinnen können.

Ähnliches, allerdings ohne eigene Führung, gilt auch für das Pokalspiel gegen Gladbach, wo Sandhausen nach der frühen Gladbacher Führung eine ganze Reihe an Gelegenheiten hatte, das Spiel auszugleichen. Größtes Manko der Sandhäuser in den ersten Saisonspielen also: Die Chancenverwertung. Ersichtlich wird dies auch aus den expected goals (siehe Infokasten): Sandhausen hätte nach Chancenqualität schon 5,4 Tore in dieser Saison erzielen müssen. Es war aber erst eines.

Der Schlüsselspieler …

… passt schon auf Grund des Namens in den Hardtwald. Philipp Förster wurde von Koschinats Vorgänger Kenan Kocak nach einem halben Jahr ohne Einsätze beim FCN nach Sandhausen gelotst. Auch nach Kocaks Entlassung spielt Förster eine wichtige Rolle im Gefüge des SVS. Meist agiert der 24-Jährige als offensiver Mittelfeldspieler hinter der einzigen Spitze, genießt aber viele Freiheiten, um sich den Ball auch tief in der gegnerischen Hälfte zu holen.

Dabei zeichnet Förster sich durch eine hohe Kreativität in den Anspielen aus. In der Saison 2018/19 waren nur zwei Spieler in der Kombination Häufigkeit und Genauigkeit bei den kreativen Pässen besser. Auch bei den Pässen, die zu Abschlüssen führten, landete Förster unter den besten fünf Mittelfeldspielern der Liga. Mit acht Torbeteiligungen war Förster in jener Saison auch unter den wichtigsten Offensivspielern des SVS. Nach den Abgängen von Schleusener (FCN) und Wooten (Philadelphia) ist er nun noch wichtiger geworden.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 16. August 2019 unter dem Titel „Basketball und ein Hauch Spanien“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Ingolstadt (A)

Der Trainer …

… wurde bisweilen schon als „Graf von Luxemburg“ betitelt. Ingolstadt ist nach Arminia Bielefeld Jeff Saibenes zweite Station in Deutschland. Der 50-jährige Luxemburger übernahm die „Schanzer“ nach dem Abstieg aus der Zweiten Liga. Zuvor arbeitete er vor allem in der Schweiz. Sollte man zwei taktische Konstanten an Saibenes Arbeit herausheben, so ist es einerseits das hohe Pressing, das er seinen Teams abverlangt, zum anderen aber auch die hohe Quote an langen Bällen im Spielaufbau.

Das hohe Pressing war vor allem vor Wochenfrist gegen Würzburg zu beobachten, wo die Unterfranken immer wieder sehr früh von einer insgesamt aufgerückten Ingolstädter Mannschaft im Aufbau gestört wurden. Ziel des hohen Pressings ist es, einen kurzen Weg zum Tor zu haben und so schnelle und einfache Abschlusschancen zu schaffen. Ingolstadts 1:0 gegen die Kickers war eine Blaupause für so eine Pressingsituation. Allerdings läuft eine hoch pressende Mannschaft natürlich stets Gefahr mit zu wenig Spielern hinter dem Ball zu sein, wenn der Gegner die Pressinglinien überspielen kann.

Saibene selbst greift im Spielaufbau gern zum langen Schlag durch die Innenverteidiger. In den ersten vier Saisonspielen lag die Quote der langen Bälle zwischen 13 und 17%, selten fällt dieser Wert bei Saibene unter 10%. Der Hauptauslöser für diese Quote sind die langen Bälle aus der Innenverteidigung auf den Stoßstürmer, den Saibene sehr oft als Stilmittel im Repertoire hat und in allen Stationen spielen ließ.

Die Grundordnung…

… ist bei Saibene fast immer 4-4-2 mit flachem Mittelfeld. Jenes „4-4-2 flach“ ist sowas wie das Butterbrot unter den Formationen: Klassisch, einfach, erfüllt seinen Zweck, ist aber auch ein bisschen langweilig. Die Flügel sind im flachen 4-4-2 doppelt besetzt, was heißt, dass man hierüber Druck aufbauen kann. Gleichzeitig hat man im Angriff durch die beiden Spitzen gleich zwei Abnehmer für mögliche Flanken von außen.

In der Regel werden die Stürmer so besetzt, dass einer der beiden Stürmer ein bulliger „Funkturm“ ist, während um ihn herum ein wendigerer Angreifer agiert, auf welchen der größere Stürmer auch Bälle ablegen kann. Saibene spielt dies in Ingolstadt in Reinkultur lässt neben Kutschkemit Kaya oder Bilbija deutlich manövierfähigere Stürmer spielen. Auch in Bielefeld (Klos/Voglsammer) und Thun (Sorgic/Rapp oder Fassnacht) wählte Saibene diese Rollenverteilung.

Gleichzeitig neigt die Grundformation dazu, im Mittelfeldzentrum unterbesetzt zu sein. Einige Trainer kompensieren das, indem sie auf den Außen mit in der Anlage zentralen Mittelfeldspielern besetzen und diese auch nach innen rücken lassen. Bekanntestes Beispiel hierfür ist Diego Simeone, der bei Atletico Madrid auch ein flaches 4-4-2 als Grundordnung wählt. Größtes Manko in der Defensive ist, dass man Probleme mit gegnerischen Spieler bekommt, die „zwischen den Linien“, also nicht klar Mittelfeld oder Angriff zugeordnet werden können, agieren. Positioniert Damir Canadi Robin Hack und/oder Nikola Dovedan dergestalt, könnten sich daraus durchaus Chancen ergeben, auch weil Ingolstadts Innenverteidigung nicht zu den wendigsten gehört.

Die letzten Spiele…

… nach dem Abstieg waren sehr erfolgreich. Nach einem kuriosen 2:1-Auftaktsieg gegen Jena, bei dem Jenas Innenverteidiger Marvin Sarr zwei Eigentore erzielte, holten die Oberbayern weitere sieben Punkte aus den folgenden drei Ligaspielen. Ingolstadt geht als Tabellenführer ins Spiel gegen den Club.

Taktisch sah man in den vier Saisonspielen genau das, was man anhand der Beschreibung von Trainer und Grundordnung erwarten konnte. Saibene ließ ein flaches 4-4-2 spielen, das interessanterweise rechts meist etwas weiter vorgezogen als links agierte, so dass im Anlaufen teilweise fast ein 4-3-3 entstand. Gleichzeitig zeigt der erfolgreiche Saisonstart, dass die blanken Statistiken und die blanken Ergebnisse nicht immer zusammenhängen: Der FCI hatte nach vier Spieltagen die sechstschlechteste Passquote (78%), den drittgeringsten Ballbesitz (42%), lief am zweithäufigsten ins Abseits (11x), aber hatte die meisten Punkte (10).

Der Schlüsselspieler …

… führt die Dritte Liga bei den Fouls an. 17-mal wurde der Körpereinsatz von Stefan Kutschke bereits zurückgepfiffen. Kutschkes harte Gangart, die in seiner Zeit in Nürnberg im Training sogar Raphael Schäfer entnervte, ist aber einer der Gründe, warum er für Saibene wichtig ist. Kutschke ist Kapitän der Schanzer und fungiert mit seiner Art als „aggressive leader“.

Zusätzlich ist er in Saibenes auf lange Bälle ausgerichteten System sehr wichtig. In drei der ersten vier Saisonspielen empfing Kutschke mindestens 17 Pässe, in den vier Jahren zuvor erhielt er insgesamt nur in vier Spielen derart viele Pässe. Kutschke verarbeitet die Bälle, die auf ihn gespielt werden, indem er sie entweder mit dem Rücken zum Tor annimmt und verteilt oder aber selbst den Ball im Lauf annimmt und direkt versucht zum Abschluss zu kommen. Gegen Duisburg war Kutschke an allen drei Toren beteiligt, einmal als Vollstrecker, einmal als Ballverteiler, einmal als Balleroberer. Auch gegen Würzburg traf der gebürtige Dresdner zweimal.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 9. August 2019 unter dem Titel „Wenn Statistiken wenig aussagen“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Hamburg (H)

Der Trainer…

… ist in Nürnberg wohlbekannt: Dieter Hecking. Allerdings hat sich der 54-Jährige seit seiner Zeit beim FCN weiterentwickelt. Galten Hecking und sein Fußball in Nürnberg oftmals als spröde und defensiv, hat sich dies in Wolfsburg und Gladbach – auch dank qualitativ besserer Spieler – gewandelt. In der Hinrunde 2018/19 spielte Gladbach sehenswerten Offensivfußball, auch weil Hecking erkannte, dass das 4-4-2, das er in der Vorsaison hatte spielen lassen, „abgenutzt“ war. „Mit dem neuen 4-3-3-System sind es 50 Prozent mehr, da wird es automatisch gefährlicher“, erklärte er den neuen Ansatz ganz pragmatisch.

Obwohl Hecking immer noch der Ruf des Defensivkünstlers vorauseilt, spielen seine Mannschaften in der Regel kein aggressives Pressing. Als Richtwert für die Pressingintensität gilt der PPDA-Wert (Passes per defensive Action), der die gegnerischen Pässe in Relation zu den eigenen Defensivaktionen setzt. Hier fanden sich die Hecking-Teams stets unter den letzten vier der Tabelle. Heckings Defensivphilosophie kommt also nicht über frühes Stören, wohl aber über Mannorientierung.

Die ist nicht mit fester Manndeckung („Du folgst Deinem Gegenspieler bis aufs Klo“) zu verwechseln. Vielmehr heißt es, dass bei gegnerischem Ballbesitz nicht Passwege oder Räume zugestellt werden, sondern der Gegner selbst. So hat dieser wenig Zeit zur Ballverarbeitung. Klingt anachronistisch, kann aber erfolgreich sein: Mit Mannorientierung holte Jupp Heynckes einst das Triple.

Die Grundordnung…

… war in großen Teilen der Vorbereitung und auch gegen Darmstadt eben jenes 4-3-3, das Hecking schon in Gladbach favorisiert hatte. Zentrale Idee der Formation ist es, durch die doppelte Flügelbesetzung besonderen Druck auszuüben. Mit Jatta und Narey, aber auch den Neuzugängen Kittel und Amaechi, besitzt der HSV auf beiden Außenbahnen Offensivspieler, die für das System besonders geeignet sind.

Sollte der FCN am Montag wieder mit einer Dreierkette agieren, also die Flügel in der Grundordnung nur einfach besetzen, könnte es hier Probleme geben. Erst recht, weil Jatta und Leibold auf der linken Seite gegen die rechte Abwehrseite des FCN (Valentini/Sorg plus Margreitter) enorme Geschwindigkeitsvorteile haben.

Problematisch am 4-3-3 ist – neben der hohen Laufintensität für die drei Mittelfeldspieler – allerdings vor allem die Tatsache, dass der zentrale Stürmer keinen direkten Verbindungsspieler im Mittelfeld hat. So besteht die Gefahr, dass der Stürmer gewissermaßen „in der Luft hängt“. Im ersten Saisonspiel zeigte sich das bereits: Lukas Hinterseer wurde ganze acht Mal angespielt.

Die letzten Spiele…

… gegen Profiteams wurden allesamt nicht gewonnen. In der Vorbereitung verlor der HSV gegen Huddersfield, spielte Remis gegen Anderlecht, Piräus und Arhus. Ebenfalls unentschieden endete das erste Pflichtspiel. Gegen Darmstadt spielten die Rothosen 1:1. Das Hamburger Tor fiel per Elfmeter in der Nachspielzeit.

Hätte der HSV vor der Pause seine zwei Großchancen genutzt, es hätte des späten Ausgleichs gar nicht erst bedurft. Denn vor der Pause agierten die Hamburger sehr zielstrebig bis zum Tor der Gäste, scheiterten dann aber kläglich. Auffällig war, dass sie vor der Pause fast gänzlich auf Flanken verzichteten, sondern stattdessen versuchten mit flachen Pässen von außen in den Strafraum zu kombinieren. Beide Großchancen entstanden auf diese Weise.

Von dieser Marschroute war nach dem Gegentreffer 14 Sekunden nach Wiederanpfiff dann nichts mehr zu sehen. Der HSV agierte verunsichert und fahrig, flankte viel und kam kaum noch zu eigenen Chancen. Wie in der Vorsaison wurden die Hamburger von einem Misserfolg aus der Bahn geworfen und erwiesen sich als psychologisch nicht stabil. Tobias Escher, der Doyen der deutschen Taktikanalyse, überschrieb deshalb seine Spielbetrachtung auch mit „neuer HSV, alte Probleme“.

Für den FCN gilt also: Früh treffen und dann die Verunsicherung ausnutzen. Aber Tore schießen ist ja eigentlich immer ein guter Plan.

Der Schlüsselspieler …

… ist derjenige, als dessen Ersatz der HSV bereits Ewerton verpflichtet hat: Rick van Drongelen. Der 20-jährige Niederländer gilt als heißer Verkaufskandidat in dieser Transferperiode. Noch ist er aber in Hamburg und spielt dort als linker Innenverteidiger. Schon im Vorjahr war er für den Spielaufbau mitverantwortlich, weil er selbst bei langen und tiefen Bällen noch eine herausragende Passquote hat.

Läuft der Aufbau – wie vergangenes Wochenende gegen Darmstadt – über geduldiges Zurechtspielen des Gegners nimmt van Drongelen eine Schlüsselposition ein. 95-mal kam er vergangenen Sonntag an den Ball. Er ist derjenige, der die Bälle zum Starten des Angriffs auf die linke Seite legt. Gegen Darmstadt fanden fast zehn Prozent aller Zuspiele des HSV nur zwischen Jatta, Leibold und van Drongelen statt – und das obwohl Jatta nach 64 Minuten ausgewechselt wurde.

Gelingt es dem FCN van Drongelen unter Druck zu setzen und die Passmaschine ins Stottern geraten zu lassen, könnten sich Möglichkeiten ergeben, gerade weil van Drongelen – wie auch Nebenmann Papadopoulos – beim Aufbau oft schon in der gegnerischen Hälfte steht und nicht als besonders pressingresistent gilt.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 2. August 2019 unter dem Titel „Gefährlich und psychologisch nicht stabil“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Dresden (A)

Der Trainer …

…heißt Cristian Ramon Fiel Casanova und ist Liebhaber von Ballbesitz („Ich bin ein Trainer, der gerne den Ball hat“) und Positionsspiel („Es ist ein Schwerpunkt in unserem Training, noch besser die Position zu finden“). „Fielo“, wie ihn die Menschen in Dresden rufen, ist Spanier. Spanier, Ballbesitzfußball, Positionsspiel. An einer Assoziation mit Pep Guardiola kommt man da fast nicht vorbei, vor allem wenn der eigene Kapitän den Vergleich zieht.

Fiel selbst wehrt sich gegen den Vergleich und versetzt Guardiola in andere Sphären. Dennoch sind die grundsätzlichen Vorstellungen von Fiel durchaus vergleichbar: Das heißt unter anderem möglichst flaches Herausspielen aus der Abwehr, viel Bewegung, Dreiecke bilden, so dass immer zwei Anspielstationen für den Ballführenden vorhanden sind. Die Spieler, so Fiel, sollen sich viel bewegen und „so anbieten, dass man den Ball in der offenen Stellung mitnehmen kann“. Also dergestalt, dass man den Ball sofort mit Geschwindigkeit weiterverarbeiten kann und nicht Zeit darauf verwenden muss, sich erst in Spielrichtung zu drehen.

Ansätze der Idee sah man bereits in der Vorsaison, als Fiel für die letzten elf Spiele an der Seitenlinie stand und Dresden in dieser Phase gegen die drei späteren Aufsteiger sieben Punkte holte. Im Vergleich zu den Vorgängern senkt Fiel die Häufigkeit der langen Bälle um fast ein Fünftel. Gleichzeitig erhöhte er die Intensität des eigenen Pressings. Etwas, das nun noch mehr in den Vordergrund rücken soll, womit man in der Vorbereitung aber noch Probleme hatte.

Die Grundordnung…

… ist bei Fiel meist ein 3-5-2, das gegen den Ball zum 5-3-2 wird. In der Vorbereitung ließ Fiel sowohl die Variante mit einem offensiven Mittelfeldspieler hinter den Spitzen spielen als auch eine Variante mit einem flachen Dreiermittelfeld. Im Spielaufbau rücken in beiden Varianten die Außenverteidiger bis weit vor die Mittellinie vor, während die äußeren Innenverteidiger der Viererkette dann nach außen gehen. Man steht dann also meist „hoch und breit“. Dies birgt eine gewisse Gefahr bei Ballverlusten im Spielaufbau, die dann Konter des Gegners einleiten. Schon in der Vorsaison kassierten nur drei Mannschaften in der Liga anteilig mehr Kontertore als die Dresdner.

Das Ziel im Aufbau ist es, über die Flügel zu spielen. Dynamo versucht dann die Flügel zu überladen, also neben den Flügelverteidigern bewegen sich auch ein Stürmer und ein Mittelfeldspieler auf die Außenbahn, wenn sich der Ball dort befindet. Man versucht dann dort die gegnerische Defensive durch numerische Überlegenheit auszuspielen.

All diese Charakteristiken machen das Spiel für die Außenbahnspieler besonders laufintensiv und anspruchsvoll, da sie sowohl in der Offensive als auch in der Defensive voll gefordert sind. Der Transfer von Chris Löwe von Premier League Absteiger Huddersfield könnte daher zum zentralen Transfer werden, wenn dieser es schafft, seine Rolle auf links gemäß den Vorgaben auszufüllen.

In der Vorbereitung kämpften die Sachsen oft noch mit dem geforderten Tempo in den Bewegungen, Cristian Fiel kritisierte, die Spieler müssen sich mehr „bewegen, weil man im Stand nichts bewirken kann“. Gleichzeitig zeigte Dynamo sich noch relativ anfällig für individuelle Fehler, gerade bei aggressivem Pressing. Ebenso wackelte Dynamo, wenn der Ball vom Gegner per schnellem Seitenwechsel hinter die Mittelfeldreihe gebracht wurde.

Die letzten Spiele…

… waren Testspiele. Darunter ein 1:6 gegen PSG, dem der Club einige Tage später ein 1:1 abtrotzte, ein 2:3 hinter verschlossenen Türen gegen Fürth und ein 1:1 gegen den Ex-Verein von Club-Trainer Canadi, Atromitos Athen. Gerade der indirekte Vergleich über die Spiele gegen Paris könnte zu Optimismus beim FCN einladen, ist aber gefährlich.

Denn die Chancenqualität der Franzosen gegen den Club war zwar geringer als in Dresden, was ein positives Licht auf die Defensive des FCN wirft, in vielen anderen Kategorien hielt Dynamo aber tatsächlich besser mit. Egal ob Ballbesitz, Passgenauigkeit, Offensivzweikämpfe, Pässe für Raumgewinn oder Ballverluste, in allen Kategorien schneidet Dynamo gegen PSG besser ab als der Club.

Dafür gibt es mit dem unterschiedlichen Spielverlauf und den unterschiedlichen taktischen Ansätzen der Trainer sicher gute Erklärungen und letztlich ist ein 1:1 für die Psyche sicher besser als ein 1:6. Einen Automatismus, der den Club zum klaren Sieger macht, stellt der Quervergleich aber nicht dar.

Der Schlüsselspieler …

… heißt Baris Atik. Der 24-Jährige nimmt im 3-5-2 meist eine Rolle im zentralen Mittelfeld ein. Dabei ist der in Hoffenheim ausgebildete Pfälzer mit türkischen Wurzeln offensiv auf vielerlei Weisen eine Gefahr. Mit seiner Dribbel- und Abschlussstärke sorgt er selbst für Gefahr vor dem gegnerischen Tor, kann aber dank seiner Passgenauigkeit selbst auf engem Raum auch die Mitspieler in Abschlusspositionen bringen. Selbst bei Pässen ins letzte Spielfelddrittel, die einer erhöhten Gefahr unterliegen, abgefangen zu werden, kamen noch 4 von 5 Zuspielen von Atik an.

Zusätzlich zählte er in der Vorsaison – in Relation zu den Einsatzminuten – zu den am häufigsten gefoulten Spielern der Liga. Er ist also schwer mit fairen Mitteln vom Ball zu trennen. Nach dem Foul kommt noch eine weitere Stärke Atiks ins Spiel: Die Standards. Da Atik auch als Flankengeber hohe Präzision hat, stellt er gerade bei Freistoßflanken eine Gefahr dar. Eine Schlüsselfrage am Samstag dürfte als darin liegen, wie das defensive Nürnberger Mittelfeld – wahrscheinlich Erras, Behrens, Jäger – Atik aus dem Spiel nimmt.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 26. Juli 2019 unter dem Titel „Guardiola und ein türkischer Pfälzer“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Gesellschaft

Covid-19 – Auch im Sport ist der Fußball nur ein kleines Opfer

Die DEL hat als erste den Schritt gewagt, die BBL berät, weitere Ligen werden mit Sicherheit folgen. Die Entwicklungen um CoVid19 werden in vielen, wenn nicht allen, Sportligen zu abgebrochenen Spielzeiten führen. Obwohl mit Timo Hübers der erste Fußballprofi positiv auf den Virus getestet wurde, obwohl sein Verein, Hannover 96, wie auch der 1. FC Nürnberg, der Gegner vom vergangenen Freitag, Tests für alle Beteiligten angeordnet hat, denkt – außer Aues Präsident Leonhardt – keiner im Fußball an einen Abbruch der Saison.

Dabei ist der Fußball die einzige Sportart, die einen Saisonabbruch sicher überleben würde. Freilich würden Fans von Arminia Bielefeld rebellieren, Anhänger von Werder Bremen aufatmen, wenn die Saison 2019/20 annulliert würde. Natürlich hätten die Vereine finanzielle Einbußen. Zumindest im Profibereich würden sie aber wahrscheinlich überleben.

Anders in den Sportarten jenseits des Fußballs. Der Präsident der Telekom Baskets, Wolfgang Wiedlich, bringt es auf den Punkt: „Ich behaupte einmal, dass kein Nicht-Fußballclub es wirtschaftlich durchsteht, die restliche Bundesliga-Saison ohne Ticketerlöse zu bestreiten“. Die Folge der „Corona-Krise“ könnte also ein radikaler Kahlschlag in der Sportlandschaft jenseits des Fußballs sein. Die Folgen dessen wären tatsächlich kaum abzusehen.

Schon jetzt ist Deutschland in Sachen Medienpräsenz und Aufmerksamkeit ein Land, in dem Fußball das Monopol hat. Die Fußballstadien sind „unsere Tempel“ (Oliver Fritsch), und „Fußball scheint, im wahrsten Sinne des Wortes, die sozialen und emotionalen Orte der Religion zu besetzen“ (Christoph Bausenwein, Geheimnis Fußball, S. 446). Das ist an sich nicht verwerflich, es wäre fast widersprüchlich auf einer Seite, die dem Fußball und seiner Wirkung gewidmet ist, das zu behaupten.

Es führt aber dazu, dass die anderen Sportarten ein Schattendasein fristen. Nicht nur medial, nicht nur in der Berichterstattung, auch in der finanziellen Unterstützung. Jenseits des Fußballs halten sich viele Vereine nur durch Mäzenatentum oder große finanzielle Anstrengungen. Ein Saisonaus in Sportarten, die wie das Eishockey zu 70 bis 80 Prozent von Ticketeinnahmen leben (MOPO), stellt also einen so tiefgreifenden Eingriff dar, dass ihn wahrscheinlich nicht alle Vereine überleben werden.

Aus dieser Warte betrachtet sind Spielabsagen und Geisterspiele im Fußball ein kleines Übel und darüber hinaus gesamtgesellschaftlich unabdingbar. Gleichzeitig ist es aber vielleicht Motivation nach dem Ende der Krise rauszugehen und nicht nur Fußball zu schauen.

Weiterführendes zu COVID19 und warum Geisterspiele keine Hysterie sind:

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You have to win Zweikampf?

Wer gewinnt eher ein Fußballspiel? Die Mannschaft mit mehr oder die mit weniger gewonnenen Zweikämpfen?

Intuitiv neigt jeder Zuschauer wahrscheinlich dazu, zu sagen: Wer mehr Zweikämpfe gewinnt, gewinnt das Spiel. Ein Blick in die Daten verrät aber: Es gibt keinerlei Korrelation zwischen Zweikampfquote und Punkteausbeute. Exemplarisch an den letzten zwei Spieltagen der Zweiten Liga vor der Winterpause 2019/20 heißt das: Legt man die Zahlen des führenden Datenanbieters Opta zu Grunde holten die Teams, die mehr Zweikämpfe gewannen, 19 Punkte, die Teams, die mehr Zweikämpfe verloren, 28. Nimmt man die Daten von Konkurrent Wyscout, holten die unterlegenen Teams 22 Punkte, die, welche mehr Duelle gewannen 26.

Sollten sich nun Fragezeichen auf der Stirn bilden, warum nicht bei beiden Anbietern dasselbe Ergebnis zu Buche steht, ist das verständlich, aber erklärbar: Bei keiner Statistik divergieren die verschiedenen Datenanbieter so sehr wie bei den Zweikämpfen. Ein Beispiel vom 18. Spieltag der Zweitligasaison 2019/20. Das Spiel Hannover 96 – VfB Stuttgart stand bei Opta mit 59%:41% zu Gunsten von Hannover zu Buche, bei Sportec, einer Tochterfirma der DFL, dagegen ging das Spiel 49%:51% für Stuttgart aus, die Italiener von Wyscout führen 55%:40% ins Feld – und bewerten 5 Prozent der Duelle als „neutral“, also ein Zweikampf, der zwar erfolgreich war, aber nicht zu einem Ballbesitzwechsel geführt hat, zum Beispiel, weil der Ball ins Aus ging.

Das ist kein Einzelfall, sondern vielmehr die Regel. In nahezu jedem Spiel unterscheiden sich die Anbieter und das auch zum Teil erheblich. Das hat dann auch Auswirkungen auf die allgemeinen Werte der Mannschaften. Besonders eklatant fällt dies beim VfB Stuttgart auf, der bei Sportec mit 52% gewonnenen Duellen zum Jahreswechsel 2019/20 Spitzenreiter war, bei Wyscout mit 47% deutlich schwächer war und bei Opta mit 50% in der Mitte lag. Zur Einordnung: Der FCN wurde bei Opta mit 48% Zweikampfquote, bei Sportec mit 47% und bei Wyscout mit 49% geführt.

Warum also sind die Werte so unterschiedlich? Stefan Placht von Opta macht darauf aufmerksam, dass sich „aus unterschiedlichen Definitionen unterschiedliche Zahlen ergeben.“ Gemein haben alle Anbieter, dass die Erfassung durch einen Menschen erfolgt, der Ereignisse in eine Datenbank auf Grundlage einer Definition kodiert. Ein Blick in das Handbuch das Opta zeigt, dass die Firma die Aktionen, die als gewonnener Zweikampf zählen, so dargelegt hat: Spieler erreicht Ball im Kopfballduell, Spieler umspielt Gegner mit Ball am Fuß, Verteidiger nimmt dem Angreifer den Ball vom Fuß, Spieler wird gefoult.

Bei Sportec dagegen gibt es eine lange semantische Definition: „Eine Spieleraktion, in der zwei Spieler verschiedener Mannschaften die physische Möglichkeit besitzen, Ballkontrolle entweder zu erlangen oder zu erhalten und dieses auch versuchen. Ein Zweikampf setzt eine Ballberührung durch einen der beteiligten Spieler oder ein Foul am Gegner voraus. Bei jedem Zweikampf gibt es einen Verlierer und einen Gewinner. Der Gewinner ist derjenige Spieler, der am Ende des Zweikampfes die Richtung des Balles bestimmt.“

Wyscout indes unterteilt die Duelle in Offensivzweikampf (Spieler hat den Ball und versucht den Verteidiger zu umspielen), Defensivzweikampf (Spieler hat den Ball nicht und versucht ihn zu erlangen), Luftzweikampf (zwei Spieler gehen zum in der Luft gespielten Ball) und Bodenzweikampf um den freien Ball (zwei Spieler gehen auf einen frei gewordenen Ball am Boden). Diese Unterteilung hat den Vorteil, dass sie genauere Aussagen darüber trifft, welche Art von Duell gewonnen oder verloren wurde, was in der Bewertung durchaus einen Unterschied macht. Ein Innenverteidiger, der vier Duelle im gegnerischen Strafraum verliert, ist anders zu bewerten als einer, der vier Duelle im eigenen Sechzehner verliert. Der FCN

Man erkennt: Opta eine etwas enger gefasste, weil mit klaren Ereignissen umrissene Definition von Zweikampf als Sportec und Wyscout. Das erklärt zum Teil die Ergebnisse. Der Faktor Mensch erklärt sie ebenfalls: Bei allen Firmen sitzen zur Codierung der Zweikämpfe Menschen vor einem Bildschirm und kommen zu unterschiedlichen Einschätzungen.

Generell zeigt eine genauere Befassung mit den Definitionen und Daten, dass die globale Zweikampfquote kaum Rückschlüsse auf Erfolgsaussichten oder auch nur Mannschaftsverhalten zulässt. Viel wichtiger als die Zahl oder die Quote der Duelle, ist der Ort und Art der Zweikämpfe. Ein verlorener Zweikampf mit Ball auf dem Flügel am gegnerischen Strafraum ist meist weniger schwerwiegend als einer ohne Ball zehn Meter vor dem eigenen Tor. Die Quoten sind daher sowohl für Mannschaften als auch für Spieler mit extremer Vorsicht zu genießen. Sie sind wie Taktikautor Tobias Escher meinte wie das alte Klischee über die Wurst: „Man will gar nicht wissen, was alles reinkommt.“

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 10. Januar unter dem Titel „Vom Wesen der Zweikämpfe“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung.

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Literatur

Drei Bücher, die ein Team begleiten

1. Tim Parks: Eine Saison mit Verona

Fast schon die Mutter dieses Genres. Einer, der etliche Nachahmer fand, der sogar den Sidekick von Harald Schmidt dazu veranlasste, über den 1. FC Köln zu schreiben.

Parks, bis 2019 Literaturprofessor in Mailand, begleitet Hellas Verona durch die Saison 2000/01. Er zeichnet dabei nicht nur ein Bild des italienischen Fußballs vor zwanzig Jahren, sondern auch eines von Italien um die Jahrtausendwende.

Parks bestreitet seine Auswärtsreisen mit der brigate gialloblú und beschönigt dabei keinen Aspekt dessen, was die Hellas-Anhänger da singen, sagen und tun. Gleichzeitig merkt man im Laufe des Buchs, dass Parks immer mehr aufgeht in der Gruppe, immer weniger Draufsicht und immer mehr Innensicht wird.

Ein Klassiker, der auch heute noch nichts an seiner Wirkung verloren hat.

2. Charlie Connelly: Stamping Grounds

Liechtenstein mag ein abseitiger Ort für Fußball sein. Es ist aber der Ort für eine gute Geschichte. Charlie Connelly, eigentlich Reisejournalist, verfolgt die zum Scheitern verurteilte Qualifikationsrunde des liechtensteinischen Nationalteams für die WM 2002.

Die Tatsache, dass Connelly einer ist, der viel über seine Reisen schreibt, ist von Vorteil, denn die Spielberichte sind selbstverständlich sehr einseitig und triefen niemals vor Spannung. Zu unterlegen sind die Liechtensteiner. Doch die Beschreibung des Lands allein lässt den Leser spüren, wie es ist, in so einem Mikrostaat zu leben.

Auch hier gilt, je länger der Autor sich mit dem Sujet beschäftigt, desto mehr taucht er ein, desto mehr wird er vom stillen Beobachter zum glühenden Anhänger. Bei Connelly kommt hinzu, dass er viel Zeit mit den Verantwortlichen des Liechtensteiner Verbands verbringt. So bekommt das stets unmögliche Unterfangen für Liechtenstein, Erfolge im internationalen Fußball zu feiern, einen menschlichen Anstrich.

3. Aidan Smith: Heartfelt

Aidan Smith ist Fan von Hibernian, doch in diesem Buch geht es nicht um die Hibs, es geht um den Lokalrivalen. Denn Smith begleitet ein Jahr lang nicht seinen Lieblingsverein, sondern den Erzfeind: Hearts of Midlothian. Trainspotting-Autor Irvine Welsh wird auf dem Buch damit zitiert, dass es das beste Buch sei, das er je über Fußball gelesen habe.

Womöglich hat Welsh nicht so viele Bücher über Fußball gelesen, ein gutes Buch ist „Heartfelt“ aber allemal. So seltsam die Prämisse ist, so sehr entwickelt das Buch dann genau deshalb seine Deutungsmacht. Denn am Ende ist Fußball eben doch überall gleich und Smith stellt das dann auch ziemlich schnell fest.

Das ist die große Leistung des Buchs. Ein Buch, das mit großen Animositäten aufmacht, endet mit vielen Gemeinsamkeiten und ganz ohne Hass. Smith auf dieser Reise zu begleiten ist spannend und man fragt sich selbst: Würde es mir auch so gehen?

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Sonstiges

Wortikalpass?

Die Idee hinter dem Vertikalpass im Fußball ist, dass er das Spiel schnell macht, dass man schnörkellos in Richtung Ziel kommt und möglichst zum Abschluss kommt. Die Idee hinter dem Wortikalpass ist die Umsetzung dieser Ideen in den Bereich des Schreibens: Schnell, schnörkellos und am besten überraschend. Der Illusion, dass man eine Debatte im Fußball zu Ende bringen kann, gebe ich mich nicht hin.

Tatsächlich soll im Wortikalpass vor allem das landen, was ein wenig abseitig ist. Das sind die Fragen zu Analytics im Fußball, also zu all dem, was mit Datenerfassung passiert. Da steckt der Fußball zur Zeit noch in den Kinderschuhen und da ist weite Expansion möglich. Es soll aber auch um Fußballbücher gehen, sowohl um Literatur als auch um Sachbücher, die den Horizont des Betrachters erweitern können. Darüber hinaus ist der Fußball Teil der Gesellschaft und Spiegel der Gesellschaft. Auch das soll hier thematisiert werden.

Und der FCN? Jeder, der weiß, wer hier schreibt, weiß, dass Fußball bei mir immer auch der 1. FC Nürnberg heißt. Das meiste, was zum Tagesgeschäft anfällt, findet sich weiter unter Clubfans United, die Vorschau-Artikel zu den Gegnern des FCN finden sich in den Nürnberger Nachrichten und der Nürnberger Zeitung und ab und zu rede ich in Podcast-Formaten über den FCN. Hier geht es eher ums größere Ganze, aber ganz ohne Club geht’s nicht.