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Taktiktafel: Sandhausen (A)

Der Trainer…

… machte erste Erfahrungen beim Basketball, wo er die Frauenmannschaft von Vallendar als Trainer erst in die Drittklassigkeit und dort zum Klassenerhalt führte. Viele Jahre später gelang ihm dies im Fußball mit den Herren von Fortuna Köln. In der Kölner Südstadt war Uwe Koschinat fast sieben Jahre und über 300 Spiele im Amt, ehe er vergangenen Oktober nach Sandhausen wechselte. Dort schaffte er den Klassenerhalt, da der SVS in den letzten zehn Spielen der Saison mehr Punkte als sonst jede andere Zweitligamannschaft holte.

Seine Vorstellungen charakterisiert der 47-Jährige sehr offen mit den Worten: „Ich bin kein großer Freund von Ballbesitz-Fußball. Um damit die kompakten Abwehrreihen in der Zweiten Liga aushebeln zu können, braucht man eine enorme Qualität. Ich liebe es, wenn es schnell nach vorne geht.“ Dementsprechend stand Sandhausen in Sachen Ballbesitz in der vergangenen Saison auch auf dem letzten Platz. In der Regel lässt Koschinat so spielen, dass der Gegner das Spiel machen muss und Sandhausen durch schnelles Umschalten in Richtung Tor spielt.

Die Grundordnung…

… ist bei Koschinat nicht dogmatisch festgelegt. Meist lässt er jedoch bei Anpfiff erst einmal im 4-2-3-1 agieren und setzt dann auf Tempogegenstöße über die Außen mit Fokus auf die rechte Seite. Auch wenn diese Auslegung des 4-2-3-1 Ex-Clubtrainer Michael Köllner in seiner Charakterisierung der Formation als „reaktiv“ Recht gibt, ist dies nicht zwangsläufig der Fall. Wie nahezu jede Grundordnung kann auch das 4-2-3-1 aktiv gespielt werden, es ist in Sachen Ausrichtung wohl sogar etwas flexibler als andere Grundformationen.

Der beste Beweis hierfür waren die Spanier, die um 2010 ihren dominanten Ballbesitzfußball in eben jenem 4-2-3-1 aufzogen. Die Tatsache, dass die Spanier so erfolgreich waren, war einer der Gründe dafür, dass zwischen Mitte des letzten und Mitte dieses Jahrzehnts das 4-2-3-1 die vorherrschende Formation in der Fußballwelt war. Da viele Spieler, die derzeit aktiv sind, in der Hochzeit des 4-2-3-1 ausgebildet wurden und es nahezu schlafwandlerisch herunterspielen können, ist es auch jetzt noch oft die Formation, auf die Trainer zurückfallen.

Die größte Bürde im 4-2-3-1 liegt auf den Außenverteidigern: Einerseits sind sie defensiv besonders gefragt, da die Distanz zwischen ihnen und den eigenen Mittelfeldspielern oft groß ist. Andererseits sollen die Außenverteidiger den Spielaufbau ankurbeln und sich ins Offensivspiel einschalten. Mit Diekmeier und Paqarada hat Sandhausen hier für Zweitligaverhältnisse überdurchschnittlich starke Spieler, was die Umsetzung des 4-2-3-1 begünstigt.

Die letzten Spiele…

… waren nur zum Teil typisch für das, was die Grundvorstellung von Uwe Koschinat ist. Am zweiten Spieltag gegen Osnabrück wurden die Sandhäuser mit den eigenen Mitteln geschlagen. Die Gäste überließen Sandhausen den Ball und warteten selbst auf Konter. Sandhausen versuchte die Aufgabe anzunehmen, schob beide Außenverteidiger im Aufbau tief in die gegnerische Hälfte und bemühte immer wieder auf die Flügel zu kommen. Dabei lief sehr viel über die rechte Seite und Rechtsverteidiger Dennis Diekmeier. Allerdings kamen nur wenige Zuspiele an und so hatte Sandhausen tatsächlich die besten Gelegenheiten aus Umschaltsituationen. Da sie aber keine der Gelegenheiten verwerteten, Osnabrück jedoch per Freistoß traf, stand Sandhausen am Ende ohne Punkte da.

Im ersten Saisonspiel in Kiel dagegen spielte Sandhausen den üblichen Fußball. Da man früh in Führung gegangen war, ließ man Holstein kommen und wartete darauf, mit schnellen Gegenstößen ein zweites Tor zu erzielen. Dies gelang trotz guter Chancen nicht, stattdessen glich Kiel aus und hätte das Spiel danach gewinnen können.

Ähnliches, allerdings ohne eigene Führung, gilt auch für das Pokalspiel gegen Gladbach, wo Sandhausen nach der frühen Gladbacher Führung eine ganze Reihe an Gelegenheiten hatte, das Spiel auszugleichen. Größtes Manko der Sandhäuser in den ersten Saisonspielen also: Die Chancenverwertung. Ersichtlich wird dies auch aus den expected goals (siehe Infokasten): Sandhausen hätte nach Chancenqualität schon 5,4 Tore in dieser Saison erzielen müssen. Es war aber erst eines.

Der Schlüsselspieler …

… passt schon auf Grund des Namens in den Hardtwald. Philipp Förster wurde von Koschinats Vorgänger Kenan Kocak nach einem halben Jahr ohne Einsätze beim FCN nach Sandhausen gelotst. Auch nach Kocaks Entlassung spielt Förster eine wichtige Rolle im Gefüge des SVS. Meist agiert der 24-Jährige als offensiver Mittelfeldspieler hinter der einzigen Spitze, genießt aber viele Freiheiten, um sich den Ball auch tief in der gegnerischen Hälfte zu holen.

Dabei zeichnet Förster sich durch eine hohe Kreativität in den Anspielen aus. In der Saison 2018/19 waren nur zwei Spieler in der Kombination Häufigkeit und Genauigkeit bei den kreativen Pässen besser. Auch bei den Pässen, die zu Abschlüssen führten, landete Förster unter den besten fünf Mittelfeldspielern der Liga. Mit acht Torbeteiligungen war Förster in jener Saison auch unter den wichtigsten Offensivspielern des SVS. Nach den Abgängen von Schleusener (FCN) und Wooten (Philadelphia) ist er nun noch wichtiger geworden.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 16. August 2019 unter dem Titel „Basketball und ein Hauch Spanien“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Ingolstadt (A)

Der Trainer …

… wurde bisweilen schon als „Graf von Luxemburg“ betitelt. Ingolstadt ist nach Arminia Bielefeld Jeff Saibenes zweite Station in Deutschland. Der 50-jährige Luxemburger übernahm die „Schanzer“ nach dem Abstieg aus der Zweiten Liga. Zuvor arbeitete er vor allem in der Schweiz. Sollte man zwei taktische Konstanten an Saibenes Arbeit herausheben, so ist es einerseits das hohe Pressing, das er seinen Teams abverlangt, zum anderen aber auch die hohe Quote an langen Bällen im Spielaufbau.

Das hohe Pressing war vor allem vor Wochenfrist gegen Würzburg zu beobachten, wo die Unterfranken immer wieder sehr früh von einer insgesamt aufgerückten Ingolstädter Mannschaft im Aufbau gestört wurden. Ziel des hohen Pressings ist es, einen kurzen Weg zum Tor zu haben und so schnelle und einfache Abschlusschancen zu schaffen. Ingolstadts 1:0 gegen die Kickers war eine Blaupause für so eine Pressingsituation. Allerdings läuft eine hoch pressende Mannschaft natürlich stets Gefahr mit zu wenig Spielern hinter dem Ball zu sein, wenn der Gegner die Pressinglinien überspielen kann.

Saibene selbst greift im Spielaufbau gern zum langen Schlag durch die Innenverteidiger. In den ersten vier Saisonspielen lag die Quote der langen Bälle zwischen 13 und 17%, selten fällt dieser Wert bei Saibene unter 10%. Der Hauptauslöser für diese Quote sind die langen Bälle aus der Innenverteidigung auf den Stoßstürmer, den Saibene sehr oft als Stilmittel im Repertoire hat und in allen Stationen spielen ließ.

Die Grundordnung…

… ist bei Saibene fast immer 4-4-2 mit flachem Mittelfeld. Jenes „4-4-2 flach“ ist sowas wie das Butterbrot unter den Formationen: Klassisch, einfach, erfüllt seinen Zweck, ist aber auch ein bisschen langweilig. Die Flügel sind im flachen 4-4-2 doppelt besetzt, was heißt, dass man hierüber Druck aufbauen kann. Gleichzeitig hat man im Angriff durch die beiden Spitzen gleich zwei Abnehmer für mögliche Flanken von außen.

In der Regel werden die Stürmer so besetzt, dass einer der beiden Stürmer ein bulliger „Funkturm“ ist, während um ihn herum ein wendigerer Angreifer agiert, auf welchen der größere Stürmer auch Bälle ablegen kann. Saibene spielt dies in Ingolstadt in Reinkultur lässt neben Kutschkemit Kaya oder Bilbija deutlich manövierfähigere Stürmer spielen. Auch in Bielefeld (Klos/Voglsammer) und Thun (Sorgic/Rapp oder Fassnacht) wählte Saibene diese Rollenverteilung.

Gleichzeitig neigt die Grundformation dazu, im Mittelfeldzentrum unterbesetzt zu sein. Einige Trainer kompensieren das, indem sie auf den Außen mit in der Anlage zentralen Mittelfeldspielern besetzen und diese auch nach innen rücken lassen. Bekanntestes Beispiel hierfür ist Diego Simeone, der bei Atletico Madrid auch ein flaches 4-4-2 als Grundordnung wählt. Größtes Manko in der Defensive ist, dass man Probleme mit gegnerischen Spieler bekommt, die „zwischen den Linien“, also nicht klar Mittelfeld oder Angriff zugeordnet werden können, agieren. Positioniert Damir Canadi Robin Hack und/oder Nikola Dovedan dergestalt, könnten sich daraus durchaus Chancen ergeben, auch weil Ingolstadts Innenverteidigung nicht zu den wendigsten gehört.

Die letzten Spiele…

… nach dem Abstieg waren sehr erfolgreich. Nach einem kuriosen 2:1-Auftaktsieg gegen Jena, bei dem Jenas Innenverteidiger Marvin Sarr zwei Eigentore erzielte, holten die Oberbayern weitere sieben Punkte aus den folgenden drei Ligaspielen. Ingolstadt geht als Tabellenführer ins Spiel gegen den Club.

Taktisch sah man in den vier Saisonspielen genau das, was man anhand der Beschreibung von Trainer und Grundordnung erwarten konnte. Saibene ließ ein flaches 4-4-2 spielen, das interessanterweise rechts meist etwas weiter vorgezogen als links agierte, so dass im Anlaufen teilweise fast ein 4-3-3 entstand. Gleichzeitig zeigt der erfolgreiche Saisonstart, dass die blanken Statistiken und die blanken Ergebnisse nicht immer zusammenhängen: Der FCI hatte nach vier Spieltagen die sechstschlechteste Passquote (78%), den drittgeringsten Ballbesitz (42%), lief am zweithäufigsten ins Abseits (11x), aber hatte die meisten Punkte (10).

Der Schlüsselspieler …

… führt die Dritte Liga bei den Fouls an. 17-mal wurde der Körpereinsatz von Stefan Kutschke bereits zurückgepfiffen. Kutschkes harte Gangart, die in seiner Zeit in Nürnberg im Training sogar Raphael Schäfer entnervte, ist aber einer der Gründe, warum er für Saibene wichtig ist. Kutschke ist Kapitän der Schanzer und fungiert mit seiner Art als „aggressive leader“.

Zusätzlich ist er in Saibenes auf lange Bälle ausgerichteten System sehr wichtig. In drei der ersten vier Saisonspielen empfing Kutschke mindestens 17 Pässe, in den vier Jahren zuvor erhielt er insgesamt nur in vier Spielen derart viele Pässe. Kutschke verarbeitet die Bälle, die auf ihn gespielt werden, indem er sie entweder mit dem Rücken zum Tor annimmt und verteilt oder aber selbst den Ball im Lauf annimmt und direkt versucht zum Abschluss zu kommen. Gegen Duisburg war Kutschke an allen drei Toren beteiligt, einmal als Vollstrecker, einmal als Ballverteiler, einmal als Balleroberer. Auch gegen Würzburg traf der gebürtige Dresdner zweimal.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 9. August 2019 unter dem Titel „Wenn Statistiken wenig aussagen“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Hamburg (H)

Der Trainer…

… ist in Nürnberg wohlbekannt: Dieter Hecking. Allerdings hat sich der 54-Jährige seit seiner Zeit beim FCN weiterentwickelt. Galten Hecking und sein Fußball in Nürnberg oftmals als spröde und defensiv, hat sich dies in Wolfsburg und Gladbach – auch dank qualitativ besserer Spieler – gewandelt. In der Hinrunde 2018/19 spielte Gladbach sehenswerten Offensivfußball, auch weil Hecking erkannte, dass das 4-4-2, das er in der Vorsaison hatte spielen lassen, „abgenutzt“ war. „Mit dem neuen 4-3-3-System sind es 50 Prozent mehr, da wird es automatisch gefährlicher“, erklärte er den neuen Ansatz ganz pragmatisch.

Obwohl Hecking immer noch der Ruf des Defensivkünstlers vorauseilt, spielen seine Mannschaften in der Regel kein aggressives Pressing. Als Richtwert für die Pressingintensität gilt der PPDA-Wert (Passes per defensive Action), der die gegnerischen Pässe in Relation zu den eigenen Defensivaktionen setzt. Hier fanden sich die Hecking-Teams stets unter den letzten vier der Tabelle. Heckings Defensivphilosophie kommt also nicht über frühes Stören, wohl aber über Mannorientierung.

Die ist nicht mit fester Manndeckung („Du folgst Deinem Gegenspieler bis aufs Klo“) zu verwechseln. Vielmehr heißt es, dass bei gegnerischem Ballbesitz nicht Passwege oder Räume zugestellt werden, sondern der Gegner selbst. So hat dieser wenig Zeit zur Ballverarbeitung. Klingt anachronistisch, kann aber erfolgreich sein: Mit Mannorientierung holte Jupp Heynckes einst das Triple.

Die Grundordnung…

… war in großen Teilen der Vorbereitung und auch gegen Darmstadt eben jenes 4-3-3, das Hecking schon in Gladbach favorisiert hatte. Zentrale Idee der Formation ist es, durch die doppelte Flügelbesetzung besonderen Druck auszuüben. Mit Jatta und Narey, aber auch den Neuzugängen Kittel und Amaechi, besitzt der HSV auf beiden Außenbahnen Offensivspieler, die für das System besonders geeignet sind.

Sollte der FCN am Montag wieder mit einer Dreierkette agieren, also die Flügel in der Grundordnung nur einfach besetzen, könnte es hier Probleme geben. Erst recht, weil Jatta und Leibold auf der linken Seite gegen die rechte Abwehrseite des FCN (Valentini/Sorg plus Margreitter) enorme Geschwindigkeitsvorteile haben.

Problematisch am 4-3-3 ist – neben der hohen Laufintensität für die drei Mittelfeldspieler – allerdings vor allem die Tatsache, dass der zentrale Stürmer keinen direkten Verbindungsspieler im Mittelfeld hat. So besteht die Gefahr, dass der Stürmer gewissermaßen „in der Luft hängt“. Im ersten Saisonspiel zeigte sich das bereits: Lukas Hinterseer wurde ganze acht Mal angespielt.

Die letzten Spiele…

… gegen Profiteams wurden allesamt nicht gewonnen. In der Vorbereitung verlor der HSV gegen Huddersfield, spielte Remis gegen Anderlecht, Piräus und Arhus. Ebenfalls unentschieden endete das erste Pflichtspiel. Gegen Darmstadt spielten die Rothosen 1:1. Das Hamburger Tor fiel per Elfmeter in der Nachspielzeit.

Hätte der HSV vor der Pause seine zwei Großchancen genutzt, es hätte des späten Ausgleichs gar nicht erst bedurft. Denn vor der Pause agierten die Hamburger sehr zielstrebig bis zum Tor der Gäste, scheiterten dann aber kläglich. Auffällig war, dass sie vor der Pause fast gänzlich auf Flanken verzichteten, sondern stattdessen versuchten mit flachen Pässen von außen in den Strafraum zu kombinieren. Beide Großchancen entstanden auf diese Weise.

Von dieser Marschroute war nach dem Gegentreffer 14 Sekunden nach Wiederanpfiff dann nichts mehr zu sehen. Der HSV agierte verunsichert und fahrig, flankte viel und kam kaum noch zu eigenen Chancen. Wie in der Vorsaison wurden die Hamburger von einem Misserfolg aus der Bahn geworfen und erwiesen sich als psychologisch nicht stabil. Tobias Escher, der Doyen der deutschen Taktikanalyse, überschrieb deshalb seine Spielbetrachtung auch mit „neuer HSV, alte Probleme“.

Für den FCN gilt also: Früh treffen und dann die Verunsicherung ausnutzen. Aber Tore schießen ist ja eigentlich immer ein guter Plan.

Der Schlüsselspieler …

… ist derjenige, als dessen Ersatz der HSV bereits Ewerton verpflichtet hat: Rick van Drongelen. Der 20-jährige Niederländer gilt als heißer Verkaufskandidat in dieser Transferperiode. Noch ist er aber in Hamburg und spielt dort als linker Innenverteidiger. Schon im Vorjahr war er für den Spielaufbau mitverantwortlich, weil er selbst bei langen und tiefen Bällen noch eine herausragende Passquote hat.

Läuft der Aufbau – wie vergangenes Wochenende gegen Darmstadt – über geduldiges Zurechtspielen des Gegners nimmt van Drongelen eine Schlüsselposition ein. 95-mal kam er vergangenen Sonntag an den Ball. Er ist derjenige, der die Bälle zum Starten des Angriffs auf die linke Seite legt. Gegen Darmstadt fanden fast zehn Prozent aller Zuspiele des HSV nur zwischen Jatta, Leibold und van Drongelen statt – und das obwohl Jatta nach 64 Minuten ausgewechselt wurde.

Gelingt es dem FCN van Drongelen unter Druck zu setzen und die Passmaschine ins Stottern geraten zu lassen, könnten sich Möglichkeiten ergeben, gerade weil van Drongelen – wie auch Nebenmann Papadopoulos – beim Aufbau oft schon in der gegnerischen Hälfte steht und nicht als besonders pressingresistent gilt.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 2. August 2019 unter dem Titel „Gefährlich und psychologisch nicht stabil“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Dresden (A)

Der Trainer …

…heißt Cristian Ramon Fiel Casanova und ist Liebhaber von Ballbesitz („Ich bin ein Trainer, der gerne den Ball hat“) und Positionsspiel („Es ist ein Schwerpunkt in unserem Training, noch besser die Position zu finden“). „Fielo“, wie ihn die Menschen in Dresden rufen, ist Spanier. Spanier, Ballbesitzfußball, Positionsspiel. An einer Assoziation mit Pep Guardiola kommt man da fast nicht vorbei, vor allem wenn der eigene Kapitän den Vergleich zieht.

Fiel selbst wehrt sich gegen den Vergleich und versetzt Guardiola in andere Sphären. Dennoch sind die grundsätzlichen Vorstellungen von Fiel durchaus vergleichbar: Das heißt unter anderem möglichst flaches Herausspielen aus der Abwehr, viel Bewegung, Dreiecke bilden, so dass immer zwei Anspielstationen für den Ballführenden vorhanden sind. Die Spieler, so Fiel, sollen sich viel bewegen und „so anbieten, dass man den Ball in der offenen Stellung mitnehmen kann“. Also dergestalt, dass man den Ball sofort mit Geschwindigkeit weiterverarbeiten kann und nicht Zeit darauf verwenden muss, sich erst in Spielrichtung zu drehen.

Ansätze der Idee sah man bereits in der Vorsaison, als Fiel für die letzten elf Spiele an der Seitenlinie stand und Dresden in dieser Phase gegen die drei späteren Aufsteiger sieben Punkte holte. Im Vergleich zu den Vorgängern senkt Fiel die Häufigkeit der langen Bälle um fast ein Fünftel. Gleichzeitig erhöhte er die Intensität des eigenen Pressings. Etwas, das nun noch mehr in den Vordergrund rücken soll, womit man in der Vorbereitung aber noch Probleme hatte.

Die Grundordnung…

… ist bei Fiel meist ein 3-5-2, das gegen den Ball zum 5-3-2 wird. In der Vorbereitung ließ Fiel sowohl die Variante mit einem offensiven Mittelfeldspieler hinter den Spitzen spielen als auch eine Variante mit einem flachen Dreiermittelfeld. Im Spielaufbau rücken in beiden Varianten die Außenverteidiger bis weit vor die Mittellinie vor, während die äußeren Innenverteidiger der Viererkette dann nach außen gehen. Man steht dann also meist „hoch und breit“. Dies birgt eine gewisse Gefahr bei Ballverlusten im Spielaufbau, die dann Konter des Gegners einleiten. Schon in der Vorsaison kassierten nur drei Mannschaften in der Liga anteilig mehr Kontertore als die Dresdner.

Das Ziel im Aufbau ist es, über die Flügel zu spielen. Dynamo versucht dann die Flügel zu überladen, also neben den Flügelverteidigern bewegen sich auch ein Stürmer und ein Mittelfeldspieler auf die Außenbahn, wenn sich der Ball dort befindet. Man versucht dann dort die gegnerische Defensive durch numerische Überlegenheit auszuspielen.

All diese Charakteristiken machen das Spiel für die Außenbahnspieler besonders laufintensiv und anspruchsvoll, da sie sowohl in der Offensive als auch in der Defensive voll gefordert sind. Der Transfer von Chris Löwe von Premier League Absteiger Huddersfield könnte daher zum zentralen Transfer werden, wenn dieser es schafft, seine Rolle auf links gemäß den Vorgaben auszufüllen.

In der Vorbereitung kämpften die Sachsen oft noch mit dem geforderten Tempo in den Bewegungen, Cristian Fiel kritisierte, die Spieler müssen sich mehr „bewegen, weil man im Stand nichts bewirken kann“. Gleichzeitig zeigte Dynamo sich noch relativ anfällig für individuelle Fehler, gerade bei aggressivem Pressing. Ebenso wackelte Dynamo, wenn der Ball vom Gegner per schnellem Seitenwechsel hinter die Mittelfeldreihe gebracht wurde.

Die letzten Spiele…

… waren Testspiele. Darunter ein 1:6 gegen PSG, dem der Club einige Tage später ein 1:1 abtrotzte, ein 2:3 hinter verschlossenen Türen gegen Fürth und ein 1:1 gegen den Ex-Verein von Club-Trainer Canadi, Atromitos Athen. Gerade der indirekte Vergleich über die Spiele gegen Paris könnte zu Optimismus beim FCN einladen, ist aber gefährlich.

Denn die Chancenqualität der Franzosen gegen den Club war zwar geringer als in Dresden, was ein positives Licht auf die Defensive des FCN wirft, in vielen anderen Kategorien hielt Dynamo aber tatsächlich besser mit. Egal ob Ballbesitz, Passgenauigkeit, Offensivzweikämpfe, Pässe für Raumgewinn oder Ballverluste, in allen Kategorien schneidet Dynamo gegen PSG besser ab als der Club.

Dafür gibt es mit dem unterschiedlichen Spielverlauf und den unterschiedlichen taktischen Ansätzen der Trainer sicher gute Erklärungen und letztlich ist ein 1:1 für die Psyche sicher besser als ein 1:6. Einen Automatismus, der den Club zum klaren Sieger macht, stellt der Quervergleich aber nicht dar.

Der Schlüsselspieler …

… heißt Baris Atik. Der 24-Jährige nimmt im 3-5-2 meist eine Rolle im zentralen Mittelfeld ein. Dabei ist der in Hoffenheim ausgebildete Pfälzer mit türkischen Wurzeln offensiv auf vielerlei Weisen eine Gefahr. Mit seiner Dribbel- und Abschlussstärke sorgt er selbst für Gefahr vor dem gegnerischen Tor, kann aber dank seiner Passgenauigkeit selbst auf engem Raum auch die Mitspieler in Abschlusspositionen bringen. Selbst bei Pässen ins letzte Spielfelddrittel, die einer erhöhten Gefahr unterliegen, abgefangen zu werden, kamen noch 4 von 5 Zuspielen von Atik an.

Zusätzlich zählte er in der Vorsaison – in Relation zu den Einsatzminuten – zu den am häufigsten gefoulten Spielern der Liga. Er ist also schwer mit fairen Mitteln vom Ball zu trennen. Nach dem Foul kommt noch eine weitere Stärke Atiks ins Spiel: Die Standards. Da Atik auch als Flankengeber hohe Präzision hat, stellt er gerade bei Freistoßflanken eine Gefahr dar. Eine Schlüsselfrage am Samstag dürfte als darin liegen, wie das defensive Nürnberger Mittelfeld – wahrscheinlich Erras, Behrens, Jäger – Atik aus dem Spiel nimmt.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 26. Juli 2019 unter dem Titel „Guardiola und ein türkischer Pfälzer“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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You have to win Zweikampf?

Wer gewinnt eher ein Fußballspiel? Die Mannschaft mit mehr oder die mit weniger gewonnenen Zweikämpfen?

Intuitiv neigt jeder Zuschauer wahrscheinlich dazu, zu sagen: Wer mehr Zweikämpfe gewinnt, gewinnt das Spiel. Ein Blick in die Daten verrät aber: Es gibt keinerlei Korrelation zwischen Zweikampfquote und Punkteausbeute. Exemplarisch an den letzten zwei Spieltagen der Zweiten Liga vor der Winterpause 2019/20 heißt das: Legt man die Zahlen des führenden Datenanbieters Opta zu Grunde holten die Teams, die mehr Zweikämpfe gewannen, 19 Punkte, die Teams, die mehr Zweikämpfe verloren, 28. Nimmt man die Daten von Konkurrent Wyscout, holten die unterlegenen Teams 22 Punkte, die, welche mehr Duelle gewannen 26.

Sollten sich nun Fragezeichen auf der Stirn bilden, warum nicht bei beiden Anbietern dasselbe Ergebnis zu Buche steht, ist das verständlich, aber erklärbar: Bei keiner Statistik divergieren die verschiedenen Datenanbieter so sehr wie bei den Zweikämpfen. Ein Beispiel vom 18. Spieltag der Zweitligasaison 2019/20. Das Spiel Hannover 96 – VfB Stuttgart stand bei Opta mit 59%:41% zu Gunsten von Hannover zu Buche, bei Sportec, einer Tochterfirma der DFL, dagegen ging das Spiel 49%:51% für Stuttgart aus, die Italiener von Wyscout führen 55%:40% ins Feld – und bewerten 5 Prozent der Duelle als „neutral“, also ein Zweikampf, der zwar erfolgreich war, aber nicht zu einem Ballbesitzwechsel geführt hat, zum Beispiel, weil der Ball ins Aus ging.

Das ist kein Einzelfall, sondern vielmehr die Regel. In nahezu jedem Spiel unterscheiden sich die Anbieter und das auch zum Teil erheblich. Das hat dann auch Auswirkungen auf die allgemeinen Werte der Mannschaften. Besonders eklatant fällt dies beim VfB Stuttgart auf, der bei Sportec mit 52% gewonnenen Duellen zum Jahreswechsel 2019/20 Spitzenreiter war, bei Wyscout mit 47% deutlich schwächer war und bei Opta mit 50% in der Mitte lag. Zur Einordnung: Der FCN wurde bei Opta mit 48% Zweikampfquote, bei Sportec mit 47% und bei Wyscout mit 49% geführt.

Warum also sind die Werte so unterschiedlich? Stefan Placht von Opta macht darauf aufmerksam, dass sich „aus unterschiedlichen Definitionen unterschiedliche Zahlen ergeben.“ Gemein haben alle Anbieter, dass die Erfassung durch einen Menschen erfolgt, der Ereignisse in eine Datenbank auf Grundlage einer Definition kodiert. Ein Blick in das Handbuch das Opta zeigt, dass die Firma die Aktionen, die als gewonnener Zweikampf zählen, so dargelegt hat: Spieler erreicht Ball im Kopfballduell, Spieler umspielt Gegner mit Ball am Fuß, Verteidiger nimmt dem Angreifer den Ball vom Fuß, Spieler wird gefoult.

Bei Sportec dagegen gibt es eine lange semantische Definition: „Eine Spieleraktion, in der zwei Spieler verschiedener Mannschaften die physische Möglichkeit besitzen, Ballkontrolle entweder zu erlangen oder zu erhalten und dieses auch versuchen. Ein Zweikampf setzt eine Ballberührung durch einen der beteiligten Spieler oder ein Foul am Gegner voraus. Bei jedem Zweikampf gibt es einen Verlierer und einen Gewinner. Der Gewinner ist derjenige Spieler, der am Ende des Zweikampfes die Richtung des Balles bestimmt.“

Wyscout indes unterteilt die Duelle in Offensivzweikampf (Spieler hat den Ball und versucht den Verteidiger zu umspielen), Defensivzweikampf (Spieler hat den Ball nicht und versucht ihn zu erlangen), Luftzweikampf (zwei Spieler gehen zum in der Luft gespielten Ball) und Bodenzweikampf um den freien Ball (zwei Spieler gehen auf einen frei gewordenen Ball am Boden). Diese Unterteilung hat den Vorteil, dass sie genauere Aussagen darüber trifft, welche Art von Duell gewonnen oder verloren wurde, was in der Bewertung durchaus einen Unterschied macht. Ein Innenverteidiger, der vier Duelle im gegnerischen Strafraum verliert, ist anders zu bewerten als einer, der vier Duelle im eigenen Sechzehner verliert. Der FCN

Man erkennt: Opta eine etwas enger gefasste, weil mit klaren Ereignissen umrissene Definition von Zweikampf als Sportec und Wyscout. Das erklärt zum Teil die Ergebnisse. Der Faktor Mensch erklärt sie ebenfalls: Bei allen Firmen sitzen zur Codierung der Zweikämpfe Menschen vor einem Bildschirm und kommen zu unterschiedlichen Einschätzungen.

Generell zeigt eine genauere Befassung mit den Definitionen und Daten, dass die globale Zweikampfquote kaum Rückschlüsse auf Erfolgsaussichten oder auch nur Mannschaftsverhalten zulässt. Viel wichtiger als die Zahl oder die Quote der Duelle, ist der Ort und Art der Zweikämpfe. Ein verlorener Zweikampf mit Ball auf dem Flügel am gegnerischen Strafraum ist meist weniger schwerwiegend als einer ohne Ball zehn Meter vor dem eigenen Tor. Die Quoten sind daher sowohl für Mannschaften als auch für Spieler mit extremer Vorsicht zu genießen. Sie sind wie Taktikautor Tobias Escher meinte wie das alte Klischee über die Wurst: „Man will gar nicht wissen, was alles reinkommt.“

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 10. Januar unter dem Titel „Vom Wesen der Zweikämpfe“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung.