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Taktiktafel: Kiel (H)

Der Trainer …

… ist jünger als einige seiner Spieler. OIe Werner ist Jahrgang 1988 und dennoch bereits seit sechs Jahren Trainer im Stab von Holstein Kiel. Auch als Spieler war er bei den Störchen, allerdings musste er bereits 20-jährig seine Karriere wegen Hüftproblemen beenden.  Mit 26 Jahren übernahm Werner die zweite Mannschaft des Vereins, führte sie aus der Oberliga in die Regionalliga und trainierte sie bis im September 2019.  Dann übernahm er den Job als Trainer der Profis von Andre Schubert, obwohl er parallel noch den Lehrgang zum Fußballlehrer durchläuft.

Schubert, der erst in der Sommerpause von Eintracht Braunschweig geholt worden war, war nicht allein wegen ausbleibender Ergebnisse entlassen worden oder weil es menschlich zwischen Verein und Trainer erhebliche Reibung gab, sondern vor allem auch, weil Schuberts Spielstil so völlig konträr zu dem war, was die Mannschaft zuvor unter Tim Walter gespielt hatte.

Der hatte seinen „Walterball“, den er nun in Stuttgart spielen lässt, auch in Kiel gespielt, Schubert das Rad dann radikal zurückgedreht: Keine Positionswechsel der Spieler, dafür viele Formationswechsel der Mannschaft, kaum Tempo, Anpassung an den Gegner. Werner drehte, nachdem er von Schubert übernahm, an einigen dieser Stellschrauben.

Die Grundordnung …

… trägt diesen Veränderungen Rechnung. Werner lässt die meiste Zeit im 4-3-3 spielen, versucht wieder dem Gegner das Spiel aufzuzwängen und versucht vieles spielerisch zu lösen. Erkennbar ist das zum Beispiel an einem interessanten statistischen Wert. Holstein Kiel schließt Angriffe selten mit Fernschüssen ab. Nur knapp 36 Prozent der Schüsse der Störche werden außerhalb des Strafraums abgegeben, einzig der VfB Stuttgart hat eine noch geringere Quote.

Eine sinnvolle Einschränkung, da Fernschüsse deutlich seltener den Weg ins Tor finden als Abschlüsse von innerhalb des Strafraums. Der 1. FC Nürnberg kommt bei Fernschüssen auf eine Quote von fast 50 Prozent. Obwohl Kiel nur selten von außerhalb abzieht, steht es in Sachen Schussanzahl unter den Top 5 der Liga. Dies gilt auch für die Kategorien Ballbesitz, Anzahl der Pässe, Dribblings, Ballkontakte im Strafraum, Pässe ins Angriffsdrittel und Pässe in Tornähe.

Aus diesen statistischen Werten ergibt sich ein sehr gutes Bild der offensiven Ausprägung des Spiels unter Werner. Man versucht mit vielen eher kurzen Bällen sich in den Strafraum zu kombinieren, scheut sich aber nicht davor, das Dribbling zu suchen. Abschlüsse sucht man dann aber erst, wenn man in Tornähe gekommen ist. Es ist ein geduldiges Spiel, das aber ertragreich ist. 21 Treffer von Kiel fielen aus dem Positionsspiel heraus, also nicht aus Konter, Standard, Eigentor oder Elfmeter. Kein Zweitligist hat mehr Tore dieser Art erzielt.

Die letzten Spiele …

… waren mit wenigen Ausnahmen erfolgreich. Betrachtet man nur die sieben Spiele seit dem 10. Spieltag, holten nur Bielefeld und Heidenheim mehr Punkte als Holstein – und niemand weniger als der FCN. Dennoch kassierten in dieser Phase nur Karlsruhe (15) und Nürnberg (18) mehr Gegentore als die Störche (12). Vier dieser Gegentore kamen in der letzten Woche im Heimspiel gegen Osnabrück, drei beim 6:3-Sieg gegen Wiesbaden zwei Wochen zuvor.

Die Defensive der Gäste kann am Sonntag also durchaus geknackt werden. Besonders auffällig bei den zugelassenen Chancen in den letzten Wochen war, dass sie sich häufig aus Situationen ergaben, in denen die Kieler im eigenen Aufbau unter Druck gesetzt wurden. Darunter waren sowohl Pressingsituationen im geordneten Aufbau, meist waren es aber Gegenpressingsituationen, bei denen die Kieler gerade den Ball erobert hatten. Ebenso wurden sie relativ oft durch Angriffe über den Flügel unter Druck gesetzt.

Der Schlüsselspieler …

… ist der Grund dafür, dass das Spiel der Kieler so linkslastig ist wie keinem anderen Zweitligisten außer Hannover 96. 41 Prozent aller Angriffe laufen über links und damit über Jae-Sung Lee. Der Südkoreaner ist mit sechs Toren Kiels bester Torschütze, leitet viele Angriffe ein und gehört in Sachen kreative Anspiele, Erfolgsquote von Dribblings, Pässe in Tornähe und Läufe für Raumgewinn zu den besten der Liga.

Das Besondere an Holstein Kiel ist jedoch, dass Lee keineswegs der Alleinunterhalter im Angriffsspiel der Störche ist. Neben Lee hat Kiel mit Makana Baku noch einen weiteren Top 10 Dribbler in seinen Reihen, der auch in Sachen Ballkontakte im gegnerischen Strafraum und Pässe in Tornähe spitze ist. Die Innenverteidiger Hauke Wahl und Stefan Thesker sind diejenigen, die in der gesamten Liga den Ball am häufigsten durch ein Lauf mit dem Spielgrät am Fuß vorwärtsbewegen. Linksverteidiger Johannes van den Bergh ist der Spieler mit den meisten Pässen, die zu Torabschlüssen führen, in der gesamten Liga, was auch damit zusammenhängt, dass er die genausten Flanken unter allen statistisch aussagekräftigen Spielern schlägt.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 13. Dezember 2019 unter dem Titel „Angriffslustige Störche“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 40.

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Taktiktafel: Stuttgart (A)

Der Trainer …

… war vor zwei Jahren noch als Regionalligatrainer im Max-Morlock-Stadion zu Gast. Mit 2:1 siegte Tim Walters Mannschaft, die Zweitvertretung des FC Bayern München damals, auch dank eines Tores von Timothy Tillman. Sein Gegenüber hieß Reiner Geyer, der hatte auf Geheiß von Michael Köllner unter anderem Lukas Mühl, Fabian Bredlow und Lukas Jäger auflaufen lassen müssen. Jener Köllner war im September 2017 auch unter den Zuschauern und zeigte sich im Gespräch wenig begeistert vom Auftreten von Tim Walter.

So ergeht es Walter relativ oft. Der 44-Jährige eckt an. Nicht bei seinen Spielern, denen er oft das Gefühl vermittelt, nur sie könnten wirklich guten Fußball spielen. Doch die Gegner bekommen oft genug Breitseiten. So kritisierte Walter in der letzten Saison, als er Holstein Kiel trainierte, Union Berlin als eine der „Truppen, die nicht am Fußball spielen interessiert sind“. Union stieg am Ende der Saison auf und die Spieler riefen während ihrer Aufstiegsfeier bei Walter an, da sie sich mit „Hier sind die, die nicht Fußball spielen können“ melden wollten.

Walter ging nicht ran und im Sommer aber dafür nach Stuttgart. Er gehört – wie Kölns Gisdol, Spartak Moskaus Tedesco, Bremens Kohfeldt oder Augsburgs Schmidt – zu der Gruppe an Trainern, die selbst nie höherklassig gespielt haben, jetzt aber im Profibereich trainieren, was er gegenüber dem SWR so erklärte: „Ich habe gemerkt, dass ich vielleicht doch bessere Voraussetzungen habe, die Dinge, die ich auf dem Platz nicht umsetzen kann, dann als Trainer zu vermitteln“.

Die Grundordnung …

… zeigt die Dinge, die Walter auf dem Platz vermitteln will. Walter hat es nämlich tatsächlich geschafft, so etwas wie eine Innovation ins Spiel einzubauen. Tobias Escher, Doyen der deutschen Taktikszene, beschrieb Walters Idee plastisch: „Wer das erste Mal einer Mannschaft von Tim Walter zuschaut, kapiert erst einmal gar nichts.“ Das liegt daran, dass Walter die Positionszuordnungen seiner Spieler in höchstem Maße flexibel sind.

Besonders auffällig wird dies bei den Innenverteidigern. Die gestalten unter Walter den Spielaufbau nicht allein dadurch, dass sie den Ball bei den Mittelfeldspielern abgeben und sich dann wieder in die Kette zurückfallen lassen. Stattdessen tragen sie den Ball selbst ins Mittelfeld und beteiligen sich dort am Spielaufbau. Zur Absicherung rücken stattdessen die Außenverteidiger nach hinten in die Kette. Die Sechser, in deren Raum die Innenverteidiger mit dem Ball aufrücken, rutschen dann weiter auf dem Spielfeld nach vorne und schaffen so Überzahl für den VfB Stuttgart in Tornähe.

Bisweilen ziehen aber auch die Außenverteidiger in die Mitte zum Aufbau. Dann rücken die Sechser in die Kette oder sogar auf die Außenposition. Wenn das Spiel funktioniert, ist der Druck für die gegnerische Offensive fast nicht auszuhalten. Allerdings schwächelte Stuttgart in den letzten Wochen massiv.

Die letzten Spiele …

… hat der VfB Stuttgart größtenteils nämlich verloren. Fünf der letzten sieben Spiele endeten mit Niederlagen. Die erste davon war eine Heimniederlage gegen Wiesbaden, die noch als statistische Anomalie hätte gelten können, doch auch Kiel, Hamburg, Osnabrück und Sandhausen bezwangen den VfB. Allerdings gelang nur Kiel dieses Kunststück im ehemaligen Neckarstadion. Die restlichen Niederlagen folgten auswärts.

Besonders auffällig war dabei, dass sich die Torchancen der Gegner aus zwei Typen von Gelegenheiten ergaben. Zum einen aus Standardsituationen, was sich nicht immer verhindern lässt in einem Fußballspiel. Zum anderen aber aus Situationen, in denen der VfB eigentlich den Ball hatte, ihn dann aber verlor. Gerade durch die gewollte Unordnung im eigenen Aufbauspiel, kann es dann passieren, dass die Abwehr plötzlich numerisch unterlegen ist, wenn ein schneller Konter des Gegners heranrauscht. Gefördert wurde dies in einigen Spielen zusätzlich durch unnötige Ballverluste, die sich aus unpräzisen Zuspielen ergaben.

Der Schlüsselspieler …

… ist gesperrt. Kapitän Marc Oliver Kempf war derjenige Innenverteidiger, der Walters Ideen in Sachen Spielaufbau im Zentrum am besten umsetzen konnte. Der andere Spieler, auf den dies in hohem Maße zutrifft, ist Pascal Stenzel. Bis zum Sonntag hatte der Rechtsverteidiger alle Spiele über die volle Distanz bestritten, gegen Sandhausen wurde der 23-Jährige erstmals ausgewechselt. Stenzel zieht ähnlich wie Kempf gerne mit Ball in Mitte, verteilt die Kugel dort und hilft mit Überzahl im tornahen Zentrum schaffen.

Stenzel ist der Spieler, der in der gesamten Zweiten Liga die meisten Pässe spielt, er bringt mehr als 92% der Bälle auch beim Mitspieler an. Nun sagt die reine Zahl der Pässe nichts über deren Qualität aus, doch Stenzel ist auch ligaweit der Spieler mit den meisten Pässen für signifikanten Raumgewinn. Selbst in dieser Kategorie liegt die Passgenauigkeit des Außenverteidigers noch bei fast 90%. Auch bei den Pässen ins Angriffsdrittel belegt Stenzel Platz eins und selbst in dieser Kategorie kommt er noch auf 85% Passgenauigkeit.

Zum Teil haben diese Werte natürlich mit der Spielanlage des VfB zu tun, der im Schnitt fast 90 Pässe mehr als alle anderen Teams in der Liga spielt und dabei auf fast 87% Passgenauigkeit und 66% Ballbesitz kommt. Es liegt aber auch an Stenzel selbst, der in Walters flexiblem System aufblüht.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 6. Dezember 2019 unter dem Titel „Wenn der Druck nicht auszuhalten ist“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Wehen-Wiesbaden (H)

Der Trainer …

… ist entgegen anders lautender Meldungen nicht gesperrt. Zwar hat Rüdiger Rehm tatsächlich schon vier Gelbe Karten erhalten, doch war eine davon vor der Festlegung, dass auch Trainer Gelbsperren kassieren können. Also darf der 41-Jährige morgen ganz normal auf der Bank Platz nehmen. Dabei kennt sich der ehemalige Außenverteidiger mit Sperren aus: In acht Spielzeiten in der Zweiten Liga für Mannheim, Saarbrücken, Reutlingen, Aue und Offenbach saß Rehm vierzehn Sperren ab.

Im Herbst seiner Karriere heuerte Rehm bei der SG Sonnenhof Großaspach als spielender Co-Trainer an. Sein letztes Mal auf dem Spielberichtsbogen: Eine 1:3-Niederlage beim FCN II im Dezember 2011. Im darauffolgenden Sommer wurde Rehm nach dem Abgang des bisherigen Chefs Alexander Zorniger zum Cheftrainer befördert. Es folgte der Aufstieg in die Dritte Liga durch einen Sieg gegen Valerien Ismaels Wolfsburg II und zwei Spielzeiten, in denen Rehm, der zwischenzeitlich eine Pause eingelegt hatte, um seinen Fußballlehrerschein zu erwerben, Großaspach zum Klassenerhalt führte.

Der Erfolg mit geringen Mitteln machte Arminia Bielefeld auf Rehm aufmerksam, doch der Ausflug in die zweite Liga endete nach einem Start mit fünf Remis und fünf Niederlagen schnell. Daher Rehms erster Sieg als Zweitligatrainer tatsächlich erst das 2:0 mit Wiesbaden gegen Osnabrück. Zum Verein aus der hessischen Landeshauptstadt war Rehm, der jenseits der Seitenlinie von seinen Spielern menschlich sehr geschätzt wird, im Februar 2017 gewechselt. Unter Rehms Führung verlor der SVWW nur drei seiner achtzehn Pflichtspiele. Auf einen vierten Rang 2017/18 folgte 2018/19 der Sprung auf Platz Drei und die erfolgreiche Relegation gegen Ingolstadt.

Die Grundordnung …

… beschreibt Rehm so: „Grundsätzlich bin ich kein Verfechter eines bestimmten Spielsystems. Wir müssen vielmehr immer in der Lage sein, auf bestimmte Gegner oder Situationen zu reagieren.“ Das hindert Rehm nicht daran, sein Team in den letzten Wochen konstant mit einem 5-4-1 als Grundordnung agieren zu lassen. Allerdings wechselte Rehm beim 3:6 gegen Kiel am Samstag nach drei Gegentoren auf ein 4-4-2, was die Gegentorflut jedoch nicht eindämmte.

In den Wochen zuvor hatte die Fünferkette allerdings für eine Stabilisierung gesorgt, nur drei Gegentore hatte Wehen in den sechs vorherigen Spielen kassiert, nachdem es 23 Gegentore in den ersten sieben Spielen gehagelt hatte. Das ist auch die Intention hinter einer derartigen Formation, welche die Räume im letzten Spielfelddrittel extrem verdichtet und es so dem Gegner schwer machen soll, frei vors Tor zu kommen.

Hinzu kommt, dass Rehm die Formation, die man durchaus auch offensiv spielen könnte, indem man die Außenspieler weiter vorne positioniert, extrem defensiv auslegt. Es ergeben sich so in der Regel zwei tief stehende Riegel mit fünf Abwehr- und vier Mittelfeldspielern, die schwer zu durchbrechen sind. Darunter leidet natürlich der eigene Spielaufbau, der meist aus langen Bällen auf Schäffler besteht.

Die letzten Spiele …

… beinhalteten vier Punkte gegen Stuttgart und Hamburg, zwei torlose Remis gegen Heidenheim und in Sandhausen sowie Niederlagen in Dresden und gegen Kiel. Gerade der 2:1-Sieg in Stuttgart war bemerkenswert. Trotz einer Bilanz von 29:6 Torschüssen, 823:122 Pässen, 84%:16% Ballbesitz, expected Goals Werten von 3,68:0,46 und einer Passquote von 61% gewann Wehen das Spiel mit 2:1.

Auch wenn das Ergebnis in jeder Hinsicht ein statistischer Ausreißer ist, so steht das Spiel doch im Extremen dafür, wie Wiesbaden agiert. Man verzichtet auf Ballbesitz, beschränkt sich auf wenige Nadelstiche als Angriffe und spielt wenige, oft auch lange, Pässe. So sind die Hessen auch ligaweit das Schlusslicht in Sachen Ballbesitz und Tabellenführer in Sachen lange Pässe. Gleichzeitig ist das Spiel des SVWW dadurch keineswegs offensiv harmlos. In Sachen Ballkontakte im Strafraum, eigene Schüsse, Pässe zu Torabschlüssen und kreative Pässe findet sich der Aufstieger im Mittelfeld der statistischen Tabellen wieder. Man spielt also den langen Ball effizient und mit Zug zum Tor.

Der Schlüsselspieler …

… ist sicherlich Manuel Schäffler. Mit zehn Toren aus 14 Partien hat der Angreifer mehr als die Hälfte der 17 Treffer der Wiesbadener erzielt. Schäffler gibt im 5-4-1 die einzige Spitze und ist eindeutig der Zielspieler in Rehms System. Er führt die meisten Offensivzweikämpfe, viele davon nach hohen Anspielen in der Luft. Er ist deshalb auch der Spieler, der in die meisten Kopfballduelle muss. Nur fünf Spieler in der Zweiten Liga gingen bislang häufiger in ein Luftduell.

Schäffler ist zwar kein reiner Verwerter– unter den Stammspielern kommt er auf die höchsten Werte in Sachen Steckpässe – doch er ist durchaus in erster Linie das, was man einen bulligen Stoßstürmer nennen kann. Wenn man ihn ausschaltet, kommt ein Großteil des Spiels der Wiesbadener zum Erliegen, auch wenn auch Spieler wie Ex-Cluberer Maximilian Dittgen und Stefan Aigner, die Schäffler über die Flügel unterstützen, bisweilen für Gefahr sorgen können.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 29. November 2019 unter dem Titel „Stumpfe Nadelstiche“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 40.

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Taktiktafel: Fürth (A)

Der Trainer…

…  ist gebürtiger Münchner und spielte zwei Jahre für den Club. Zwischen 1999 und 2001 lief Stefan Leitl für den FCN auf, es folgten Stationen in Unterhaching, Darmstadt und Ingolstadt. Dort blieb der 42-Jährige hängen. Er spielte sechs Jahre für die Schanzer und wechselte dann in den Trainerstab. Nach der U17 und U23 übernahm Leitl im August 2017 die Profis der Oberbayern. Sein erstes Spiel: Ein 1:0 Sieg in Fürth. Am Ende der Saison war der FCI Neunter und startete in die nächste Spielzeit mit nur einem Sieg aus sieben Pflichtspielen. Nach elf Jahren ging Leitls Zeit in Ingolstadt zu Ende, er wurde entlassen. Sein Nachfolger Alexander Nouri hielt sich nur acht Spiele im Amt und wurde abgelöst von: Jens Keller, dem neuen Trainer des FCN.

Leitl hatte in Ingolstadt lange mit einer recht klaren Grundordnung Erfolg, ließ sein Team offensiv im 4-3-3 spielen und hielt sich bis in die Schlussphase der Saison 2017/18 in Tuchfühlung mit dem Aufstiegsrelegationsplatz, ehe man nach einem 1:1 gegen den Club abreißen lassen musste. Erreicht hatte das Leitl mit einem Team, das oft aufs Tor schoss, den Ball oft in Tornähe an den Mann brachte und extrem intensives Pressing spielte.

Die Grundordnung…

…  ist in Fürth nun nicht mehr allein auf ein offensives 4-3-3 festgelegt. Die Formation ist zwar immer noch im Repertoire wird aber zu Hause durch ein 4-4-2 mit Raute und auswärts durch ein 4-2-3-1 ergänzt.  Ob Leitl erneut aufs 4-4-2 setzt, dürfte auch davon abhängen, wie er den Club unter Jens Keller erwartet. Wenn dieser das Flügelspiel – wie bei seinen bisherigen Stationen – betont, ist die zentrumslastige Raute womöglich das falsche Mittel. Dann könnte Leitl sein Team ebenfalls im 4-3-3 auf Feld schicken. Dies wäre angesichts der Probleme, die der FCN in der Defensive in Sachen Antrittsgeschwindigkeit hat, bei Spielern wie Hrgota oder Green durchaus eine gangbare Alternative.

Andere Dinge sind dagegen ähnlich wie in Ingolstadt: Das Pressing ist immer noch eines der intensivsten der Liga und Leitls Team schließt seine Angriffe weiterhin oft von außerhalb des Strafraums ab. Die durchschnittliche Entfernung eines Fürthers beim Schuss aufs Tor sind 20,3 Meter und damit fast zwei Meter weiter vom Tor weg, als der durchschnittliche Abschluss in der Zweiten Liga.

Das ist insofern bemerkenswert, da statistisch Schüsse von außerhalb des Strafraums nur eine Trefferwahrscheinlichkeit von 4% haben. Der FCN liegt mit 20,2 Metern übrigens nicht wesentlich näher am Tor als das Kleeblatt, es könnte am Sonntag also durchaus ein Weitschussfestival geben. Ungefähr die Hälfte aller ihrer Schüsse geben beide Teams von außerhalb des Strafraums ab. Ebenfalls wahrscheinlich: Viel Fouls. Nicht nur, weil es ein Derby ist, sondern auch, weil Fürth sowohl die Mannschaft mit den meisten Fouls ist, als auch die Mannschaft, die am meisten gefoult wird.

Die letzten Spiele…

…  hat Fürth zu Hause fast immer überzeugen können, während man auswärts Probleme hatte. Vier Siege zu Hause in sechs Spielen, davon kann der bislang zu Hause erst einmal erfolgreiche FCN nur träumen. Fürth tritt vor heimischem Publikum dominanter auf, steht breiter und spielt aktiver. Das lässt sich auch statistisch erfassen: Fast sechzig Pässe mehr spielt das Kleeblatt am Ronhof als auswärts, 53% Ballbesitz statt 45%, etwa 5% mehr gewonnene Zweikämpfe und ein um 20% höherer Pressingdruck.

Womit Fürth auswärts wie zu Hause zu kämpfen hat, ist die geringe Körpergröße seiner Abwehrspieler. Aus der derzeitigen Stammabwehrreihe Wittek, Mavraj, Caligiuri und Meyerhöfer ist lediglich Mergim Mavraj (1,89m) größer als 1,80m. Auch darüber hinaus überschreiten viele Akteure wie Green, Ernst, Leweling, Sarpei oder Stefaniak nicht jene Marke. Hier ergeben sich für den Club, der mit Erras (1,96m), Sörensen (1,91m), Frey (1,90m), Mühl (1,89m) und Behrens (1,88m) jede Menge hochgewachsene Spieler in seinen Reihen hat, Vorteile, die sie allerdings auch auszunutzen wissen müssen. So hat der FCN auswärts bereits sieben Tore nach Standards erzielt, Fürth allerdings insgesamt erst ein Standardgegentor kassiert. Vor zwei Wochen durch Behrens; allerdings durch Kevin Behrens von Sandhausen.

Der Schlüsselspieler …

… hat das Fußballspielen in die Wiege gelegt bekommen. Paul Seguin ist der Sohn eines veritablen Europapokalsiegers. Vater Wolfgang war Nationalspieler, mit dem 1.FC Magdeburg dreimal Meister, fünfmal Pokalsieger und gewann den Europapokal der Pokalsieger. Der Filius darf sich ganz offiziell DFB-Pokalsieger nennen. Mehr als eine Minute Einsatzzeit im Achtelfinale der Pokalsiegersaison des VfL Wolfsburg hat der 24-Jährige aber nicht zu Dieter Heckings einzigem ernstzunehmenden Titel beigetragen. Daher hatte der VfL Wolfsburg ihn auch schon nach Dresden und Fürth ausgeliehen, ehe er im Sommer fest an den Laubenweg wechselte.

Dort spielt Seguin unter Leitl eine zentrale Rolle. Egal wie Leitl aufstellt, Seguin ist immer auf der Sechs zu finden, ist dabei der Mittelfeldspieler mit den meisten Ballgewinnen und der Spieler des Kleeblatts mit den meisten Pässen. Auch wenn Seguin noch ohne Torvorlage ist, ist der Mittelfeldmann doch an erfolgreichen Angriffen beteiligt. Seguin ist der Fürther Spieler mit den meisten „Second“ und „Third Assists“, also den meisten Vorlagen zu Torvorlagen. Gleichzeitig wackelt Seguin aber immer wieder in der Rückwärtsbewegung, gewinnt gegen den Ball nur knapp 46% seiner Zweikämpfe und nur 38% seiner Luftduelle, so dass er mit gezieltem, aggressivem Anlaufen unter Druck zu setzen ist, wodurch die Stabilität der Fürther Defensive in Gefahr gebracht werden kann.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 22. November 2019 unter dem Titel „Nicht besonders groß, aber gefährlich“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 30.

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Taktiktafel: Bielefeld (H)

Der Trainer…

…  wunderte sich vor zwei Jahren noch, ob Zeitspiel zur DNA des 1. FC Nürnberg gehöre. Damals war Uwe Neuhaus Trainer von Dynamo Dresden und hatte gerade 2:1 beim späteren Aufsteiger verloren. Inzwischen ist der 59-Jährige seit elf Monaten Trainer von Arminia Bielefeld. Neuhaus zählt mit 285 Spielen als Zweitligatrainer und 200 als Coach in der Dritten Liga zu den erfahrensten Trainern Deutschlands, die noch nie Bundesliga trainiert haben.

Etwas, das Neuhaus, der als Spieler über 100-mal für Wattenscheid im Oberhaus auflief, nach dieser Spielzeit ändern möchte. „Wenn sich die Chance bietet, muss man einfach zugreifen“, sagte Neuhaus gegenüber der WAZ, auch wenn er sich noch gegen die Bezeichnung Spitzenteam für den Tabellenzweiten wehrt: „Die Ansätze sind da. Aber um ein Spitzenteam zu sein, gehört ein kleines bisschen mehr dazu.“

In einer Tabelle des Kalenderjahres 2019 ist die Arminia aber definitiv ein Spitzenteam. Niemand hat mehr Punkte geholt als die Ostwestfalen und dies ist auch ein Verdienst von Uwe Neuhaus. Der hat aus der Arminia, die unter Saibene meist den Ball einfach lang auf Fabian Klos schlug, der den Ball dann auf Andreas Voglsammer ablegte oder selbst verarbeitete, eine dominante Ballbesitzmannschaft gemacht.

Die Grundordnung…

…  betont diese Idee. Der Ball soll möglichst lange in Abwehr und Mittelfeld zirkulieren, bis sich eine Gelegenheit auftut, ihn gezielt ins Angriffsdrittel zu verlagern. Dabei hilft phasenweise auch ein taktischer Kniff, den kaum ein Team in der zweiten Liga anwendet. Die normale Herangehensweise der meisten Teams beim Aufbau über die Innenverteidiger ist es, einen Mittelfeldspieler in die Aufbaureihe zurückzuziehen, so dass sich die Innenverteidiger den Ball nicht über 50 Meter quer zuspielen müssen – auch wenn selbst dies ab und zu passiert. Ist dieser Mittelfeldspieler ein defensiver Mittelfeldspieler, ist dies der berühmt berüchtigte abkippende Sechser.

Bielefeld verzichtet in der Regel auf einen solchen abkippenden Sechser und zieht stattdessen Torwart Daniel Ortega in die Aufbaureihe vor. Der Fachbegriff hierfür ist leider nicht „vorkippender Einser“, sondern das eher uninspirierte Torwartkette. Der Vorteil der Torwartkette liegt auf der Hand, im Mittelfeld ist eine Anspielstation mehr frei als beim abkippenden Sechser, gleichzeitig steht der Torwart natürlich bis zu 25 Meter vor seinem Tor, so dass ein gezieltes Pressing des Torwarts zu gefährlichen Situationen führen kann. Bielefeld verzichtet deshalb gegen Teams mit frühem Pressing phasenweise auch auf die Torwartkette.

Ein anderes Charakteristkum des Bielefelder Spiels ist seine hohe Körperlichkeit. Die Ostwestfalen spielen dabei nicht unfair. Sie begehen pro Spiel ungefähr zwölf Fouls und liegen damit im Mittelfeld der Liga. Vielmehr setzen sie ihre vorhandene Physis zu ihren Gunsten ein. Überhaupt sind die Bielefelder ein gutes Beispiel dafür, dass statistische Werte nur bedingt Aussagekraft haben: In vielen Kategorien steht die Arminia im Mittelfeld, in der Tabelle aber weit vorne.

Die letzten Spiele…

…  hat die Arminia in der Liga mit Ausnahme des Heimspiels gegen Stuttgart nicht verloren. Das Spiel gegen den VfB stellt bisher die einzige Niederlage Bielefelds im Ligabetrieb dar. sieben Siege und vier Remis, die drittwenigsten Gegentore und die zweitmeisten Tore runden das Bild der Spitzenmannschaft ab. Allerdings stotterte die Angriffsmaschine in den letzten Wochen ein wenig, in den letzten fünf Spielen erzielte man nur einmal mehr als ein Tor: letzten Sonntag gegen Kiel.

Uwe Neuhaus hat in diesen letzten Partien zwar nicht an der Grundidee des Spiels geschraubt, aber sein Team in einer ganzen Reihe an Formationen aufs Feld geschickt: 4-2-3-1, 4-4-1-1, 4-4-2 flach, 4-4-2 Raute. Wobei das meist nur für das Spiel mit dem Ball galt, gegen den Ball operiert Bielefeld dann meistens doch mit einem flachen 4-4-2. Die hohe Flexibilität und Adaptionsfähigkeit in Sachen Gegner ist dennoch eine der Stärken der Arminia, die sowohl gegen Ballbesitzteams wie Dresden als auch gegen Konterteams wie Regensburg oder Defensivkünstler wie Osnabrück gewinnen konnte.

Der Schlüsselspieler …

… ist Topscorer der Zweiten Liga. Mit acht Toren und fünf Vorlagen war Fabian Klos an mehr als der Hälfte aller Bielefelder Tore beteiligt. Der 31-Jährige ist in seiner neunten Spielzeit für die Arminia, in sechs der Saisons traf er zweistellig und ist auf dem besten Wege eine siebte hinzuzufügen. Natürlich ist Klos auch Kapitän der Ostwestfalen. Er ist natürlich der Spieler im Team mit den meisten Ballberührungen im gegnerischen Strafraum und ligaweit der Angreifer mit der höchsten Quote an Schüssen, die aufs Tor gehen (58%).   

Der wuchtige Stürmer ist mit 1,94m Größe und 93 Kilogramm Gewicht für das physische Spiel der Arminia natürlich prädestiniert: In der gesamten Zweiten Bundesliga erhält kein Stürmer mehr lange Zuspiele als Klos. Schafft man es, wie der VfB Stuttgart, gegen den er nur zwei Ballkontakte im Strafraum hatte, Klos aus dem Spiel zu nehmen, hat man gute Chancen auf den Erfolg. Es ist allerdings kein leichtes Unterfangen den Routinier zu bändigen.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 8. November 2019 unter dem Titel „Wuchtig und dominant“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 360.

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Taktiktafel: Bochum (A)

Der Trainer…

…  war Anfang September noch Trainer der U19 des VfL Wolfsburg. Dann wurde Robin Dutt beim VfL Bochum entlassen, nachdem er zuvor seinen Rücktritt angeboten hatte und an der Castroper Straße hieß es, ganz nach Helge Schneider: „Es gibt Reis, Baby.“ Der 46-Jährige war als Profi acht Jahre beim VfL tätig gewesen und von 2011 bis 2016 in verschiedenen Funktionen, u.a. Co-Trainer von Gertjan Verbeek, neben dem Platz. 2015/16 ließ er in der U19 der Bochumer einen sehr ähnlichen Stil wie Gertjan Verbeek spielen, was die Verzahnung zwischen Jugend und Profis vereinfachte.

2016 folgte der Wechsel nach Wolfsburg. Dort führte Reis die A-Jugend zweimal in drei Saisons zur Meisterschaft in der Bundesliga Nord/Nordost; in der Saison 2016/17 sogar ohne Niederlage. VfL-Geschäftsführer Sebastian Schindzielorz bezeichnete seinen ehemaligen Mannschaftskollegen, mit dem er 76-mal gemeinsam auf dem Platz stand, branchenüblich als „Wunschlösung“. Unter Teilen der Bochumer Anhängerschaft gab es dennoch Kritik an der Verpflichtung eines Trainers, der noch ohne Erfahrung im Profibereich ist.

Die Grundordnung…

…  ist in Sachen Formation meist ein klassisches 4-2-3-1. Auch in Sachen Stammspieler hat sich Reis schnell auf einen Kern von Akteuren festgelegt, so dass er versucht möglichst viele Routinen einzuschleifen. Es ist interessant zu sehen, dass Reis versucht eines der Probleme des 4-2-3-1, die hohe Laufintensität für die Außenverteidiger dadurch abzuschwächen, dass er sein Team relativ kompakt stehen lässt, um die Abstände zwischen Verteidigung und Mittelfeld zu verringern. Dies ist einer der Faktoren dafür, dass Bochum nach Regensburg die Mannschaft mit den meisten abgefangenen Bällen ist.

Auffällig ist auch, dass Bochums Tore zu mehr als 50% aus zwei Arten von Situationen fielen: Ecken und Elfmeter. Bereits sechs Strafstöße hat der VfL zugesprochen bekommen, zwei wegen Handspiels, drei wegen Foulspiels und einen, weil ein Ersatzspieler, den ins Aus gehenden Ball innerhalb des Felds stoppte. Alle sechs Strafstöße wurden verwandelt. Hinzu kommen fünf Tore nach Ecken und das obwohl Bochum auf die Spielzeit gerechnet die drittwenigsten Ecken erhält.

Drei dieser fünf Tore nach Ecken wurden per Kopf erzielt, aus dem Spiel traf der VfL zwei weitere Mal nach einem Kopfball. Das rührt vor allem daher, dass Bochum eine der flankenfreudigsten Mannschaften der Zweiten Liga ist. Knapp 18-mal pro 90 Minuten schlägt der VfL den Ball hoch in den Strafraum, etwa fünfmal häufiger als der FCN. Auch deshalb ist der VfL eine der Mannschaften, die am häufigsten ins Kopfballduell geht. Er verliert zwar fast 60% dieser Duelle, kann sich aber vor dem Tor dennoch immer wieder entscheidend durchsetzen.

Der Flankenschnitt hat sich unter Thomas Reis schon gesenkt, bei Dutt lag er noch bei 20 Flanken pro Partie. Im Vergleich zu den Spielen unter Dutt hat sich auch das Pressingverhalten verändert. Schon Dutt ließ teilweise intensiv pressen, doch unter Reis hat sich der VfL zum Team mit der zweithöchsten Pressingintensität der Liga (PPDA-Wert: 7,75) gewandelt, etwas das am vergangenen Dienstag auch den FC Bayern München vor Probleme stellte.

Die letzten Spiele…

…  unter Thomas Reis sind ein Paradebeispiel dafür, wie sich Glück und Pech manchmal eben doch auspendeln. Gegen Dresden, Sandhausen und Darmstadt spielte der VfL jeweils Remis, hatte aber deutlich bessere Chancen als die Gegner. Beim Sieg gegen Heidenheim, dem ersten Bochumer Erfolg der Saison überhaupt, und dem Remis gegen Karlsruhe dagegen hatten die Kontrahenten die deutlich höherwertigen Chancen und hätten allein von der Qualität der Gelegenheiten her gewinnen müssen. Einzig die Niederlage in Kiel vor einer Woche entsprach den Kräfteverhältnissen auf dem Platz.

Rechnet man die Spiele unter Robin Dutt mit dazu, so steht Bochum in der Kategorie expected Points deutlich besser da, als bei den tatsächlich erspielten Punkten. 16,5 Punkte wären bei normaler Chancenverwertung der Beteiligten zu erwarten gewesen, es sind aber nur neun. Das liegt aber nicht daran, dass die Bochumer ihre Chancen nicht verwerten, die zwanzig Tore liegen quasi deckungsgleich auf dem xG-Wert von 19,97. Vielmehr kassiert der VfL mehr Tore als er müsste, 24 statt der statistisch zu erwartenden 17,39. Damit treffen am Montagabend die beiden Teams aufeinander, die neben Dynamo Dresden (+6,26) die höchste Diskrepanz zwischen zu erwartenden und tatsächlichen Gegentoren. Der FCN steht nämlich bei 19 statt 13,73.

Der Schlüsselspieler …

… könnte mit 12 Scorerpunkten sicher Silvere Ganvuola sein. Ein anderer ist für die Art und Weise wie Bochum spielt, aber ähnlich entscheidend: Ex-Clubspieler Danny Blum. Der hat sich in Bochum nach seiner für ihn persönlich weitgehend unerfolgreichen Zeit in Frankfurt wieder in den Fokus gespielt. Fünf Tore, davon allerdings drei Strafstöße, hat der 28-Jährige bereits erzielt. Hinzu kommen vier Vorlagen, drei davon durch hereingeschlagene Ecken, eine durch eine Flanke. Für die Art der Tore, die der VfL erzielt, ist Blum also als essentiell wichtig anzusehen.

Deutlich wurde dies auch unter der Woche im Pokal, als Blum zunächst eine Großchance und dann das Bochumer Führungstor durch Hereingaben vom Flügel vorbereitete. Blum ist aber nicht nur in Sachen Auflegen Spitze. Auf die Einsatzzeit gerechnet schießt auch kein Bochumer häufiger aufs Tor. Von den eindeutigen Stammkräften ist Blum darüber hinaus derjenige, der am häufigsten Steckpässe und Pässe, die zu Abschlüssen führen, spielt. Außerdem schlägt er die meisten Flanken, läuft die meisten Dribblings und hat nach Ganvuola die meisten Ballkontakte im Strafraum.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 1. November 2019 unter dem Titel „Die Flankenspezialisten“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 40.

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Taktiktafel: Kaiserslautern (A)

Der Trainer…

…  ist der direkte Vorgänger von Damir Canadi. Boris Schommers steht seit nunmehr fünf Pflichtspielen an der Seitenlinie beim 1. FC Kaiserslautern. Er übernahm am Betzenberg, nachdem Sascha Hildmann nach einem 1:6 beim SV Meppen am 8. Spieltag von seinen Aufgaben entbunden wurde. Schommers ist seit 2016 der sechste Cheftrainer in der Pfalz, für ihn ist es – strenggenommen – der erste Posten als Cheftrainer im Profibereich. Beim Club agierte der 40-Jährige bis zum Schluss offiziell als Interimstrainer.

Freilich war Schommers in Nürnberg 138 Tage lang hauptverantwortlich und damit länger als manch hauptamtlicher Cheftrainer, so war Valerien Ismael zum Beispiel nur 132 Tage Chefcoach. In dieser Zeit erarbeitete sich der gebürtige Leverkusener einen Ruf als defensiver Stabilisator, der die Abwehr sattelfester machte und unter dessen Leitung weder Bayern München noch Borussia Dortmund als Sieger gegen den FCN vom Platz ging. Schon zuvor war Schommers in seiner Funktion als Co-Trainer vor allem für die Defensive zuständig gewesen, so dass es durchaus logisch erschien, dass er mit Lautern bei einem Verein anheuerte, der gerade in der Defensive Probleme hatte.

Die Grundordnung…

…  oszillierte in den letzten Wochen in Sachen Formation zwischen 4-1-4-1 und einem flachen 4-4-2, also letztlich auch genau jenen beiden Formationen, mit denen Schommers in Nürnberg versuchte den Abstieg zu verhindern. Am vergangenen Sonntag setzte Schommers sechzig Minuten auf ein 4-2-3-1, allerdings auch ohne durchschlagenden Erfolg, so dass in der letzten halben Stunde wieder flaches 4-4-2 angesagt war. Mit dem Fokus auf diese Formationen setzt damit genau fort, wie Sascha Hildmann auch die Mannschaft auflaufen ließ. Auch das eine Fortsetzung der Situation in Nürnberg, wo zuvor schon Michael Köllner meist mit diesen Grundformationen operiert hatte.

Dennoch hat Schommers die Herangehensweise angepasst. Der durchschnittliche Ballbesitz ist im Vergleich zur Zeit unter Sascha Hildmann von 50 Prozent auf 57 Prozent gestiegen, man hält den Ball also deutlich länger in den eigenen Reihen, spielt im Schnittfast 110 Pässe pro Spiel mehr als unter dem Ex-Coach, senkte den Anteil langer Bälle von 14 Prozent auf 11 Prozent  und erhöhte den Pressingdruck von 11,3 gegnerischen Pässen pro eigener Defensivaktion auf einen PPDA-Wert von 9,1.

Die Idee ist also den Ball länger in den eigenen Reihen zu halten, durch gezieltes und geduldiges Positionsspiel in Abschlusssituationen zu kommen und dann zuzuschlagen. Gerade beim Zuschlagen hat Lautern aber noch Probleme. Seit einem 5:3-Sieg in Zwickau hat Lautern nur gegen das mit zwei Punkten aus 13 Spielen abgeschlagene Schlusslicht Carl Zeiss Jena mehr als einen Treffer erzielt.

Die letzten Spiele…

…  waren mit Ausnahme jenes Spiels gegen Jena allesamt nicht von Erfolg gekrönt. In Chemnitz, München und Duisburg setzte es 3:1-Niederlagen, zu Hause gegen Magdeburg spielten die Roten Teufel 1:1. Bei der Betrachtung von Lautern stechen vor allem zwei Dinge in der Defensive hervor. Der reine Gegentorschnitt ist mit über zwei Gegentoren pro Partie schon hoch.

Gleichzeitig kassierten die Pfälzer im Laufe der Saison die meisten Elfmetergegentore (sechs) in Liga Drei und die viertmeisten Kopfballgegentore (ebenfalls fünf). Vor allem Letzteres verfestigt sich bei der Betrachtung der Spiele und der Werte der Roten Teufel. Erst ein eigenes Kopfballtor steht zu Buche. Kaiserslautern gewinnt auf den ganzen Platz verteilt nur 41,5% seiner Luftduelle und aus der Viererkette hat kein Spieler mehr als 47,3% der Zweikämpfe in der Luft gewonnen.

Zum Vergleich beim Club kommen mit Erras (62,%%) Sorg (60%) und Margreitter (60%) drei Viererkettenspieler weit über diesen Wert und auch Geis und Valentini gewinnen mehr als die Hälfte ihrer Luftzweikämpfe. Diese Schwäche dürfte der Club bei den offensiven Standards also mit Sicherheit anzugreifen versuchen.

Eine statistische Anomalie hat der Drittligist auch aufzubieten. Gerechnet auf die Spielzeit hat Lautern die drittmeisten Ballkontakte im Strafraum (17 pro 90 Minuten), liegt bei den Schüssen (11,5 pro 90 Minuten) aber nur auf Platz 14. Dies deckt sich mit den Eindrücken aus den Spielen, wo Lautern oft Probleme hat, Angriffe sinnvoll abzuschließen.

Der Schlüsselspieler …

… hat fast die Hälfte aller Lauterer Tore erzielt. Dabei agiert Florian Pick, egal wie die Formation aussieht, nicht als Stürmer, sondern gibt den linken Part meist in der Viererreihe im Mittelfeld – nur am Sonntag in Chemnitz spielte Pick zentral. Dennoch steht das Lauterer Eigengewächs bei neun Saisontreffern und damit ligaweit auf Platz zwei in der Torschützenliste. Das hängt auch damit zusammen, dass ungefähr jeder zweite von Picks Schüssen aufs Tor kommt und ungefähr jeder dritte im Tor landet.

Der 24-Jährige hat dementsprechend auch im Schnitt mehr als doppelt so viele gelungene Offensivaktionen pro 90 Minuten (9,04) wie der nächste Lauterer in der Liste (Angreifer Christian Kühlwetter, 4,1). Daraus lässt sich bereits schließen, dass Pick nicht allein durch Torschüsse glänzt, sondern auch am Spielaufbau beteiligt ist. Er ist der Offensivspieler mit der besten Passquote bei Vorwärtspässen (78,4%), Pässen im Angriffsdrittel (78,2%) und den meisten Dribblings (11,5/90 Minuten).

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 30. Oktober 2019 unter dem Titel „Angriffe ohne Sinne“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 30.

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Taktiktafel: Regensburg (H)

Der Trainer…

…  wechselte als 24-Jähriger aus Sarajewo in die Oberpfalz. Dreizehn Jahre später ist Mersad Selimbegovic immer noch in Regensburg und immer noch Angestellter des SSV Jahn Regensburg. Bis 2012 war er als Innenverteidiger in Dritt- und Viertklassigkeit aktiv, danach Co-Trainer der zweiten Mannschaft, Cheftrainer der U19, Nachwuchskoordinator und Co-Trainer der ersten Mannschaft. Als sein Chef, Achim Beierlorzer, Regensburg im Sommer Richtung Köln verließ, rechnete man damit, dass Selimbegovic einen neuen Vorgesetzten bekäme: Eine Rückkehr von Markus Weinzierl stand stand ebenso im Raum wie mit Michael Köllner und Boris Schommers zwei ehemalige Clubtrainer. Am Ende entschied sich Jahn-Geschäftsführer Christian Keller dafür Selimbegovic zu befördern.

„Wir wollten sehr vieles sehr ähnlich belassen wie in der Vergangenheit, das gilt explizit auch für die Trainingssteuerung“, begründete Keller den Schritt einen Cheftrainernovizen im Profibereich zu benennen. Denn Selimbegovic war enger Vertrauter von Beierlorzer, der Regensburg als Aufsteiger auf Platz fünf und im vergangenen Jahr dann auf Platz acht führte. In beiden Spielzeiten saß der Bosnier neben dem Mittelfranken und „er steht als Fußballlehrer für die Jahn-Spielidee“, so Keller in der Antrittspressekonferenz.

Die Grundordnung…

…  ist dann Teil dieser „Jahn-Spielidee“ und basiert auf einem flachen 4-4-2 als Grundformation. Jene Formation, die Beierlorzer nun auch in Köln wieder verwendet, ist seit dem Aufstieg in die Zweite Liga Standard beim Jahn und wird nur in seltenen Ausnahmefällen verändert. Das bedeutet letztlich auch, dass man sich gut auf die Formation einstellen kann.

Das flache 4-4-2 setzt die beiden zentralen Mittefeldspieler (in der Regel Beschukow und Geipl) unter besonderen Druck, da sie sowohl das Spiel ankurbeln als auch in der Defensive ordnen müssen. Sollte der Club erneut auf ein 4-1-4-1 setzen, hätte er im Zentrum einen Mann mehr, was ihm einen Vorteil verschaffen könnte. Oft wird diese numerische Unterlegenheit dadurch ausgeglichen, dass sich einer der beiden Stürmer (meist der Sturmpartner von Grüttner) ins Mittelfeld fallen lässt.

Beim Jahn wird – unter Selimbegovic sogar noch etwas mehr als unter Beierlorzer – aber auch gern mit dem langen Ball gearbeitet. Fast jeder fünfte Ball, den die Oberpfälzer spielen, ist ein langer. Das Ziel ist es, direkt und schnell in die Spitze zu kommen. Das führt auch dazu, dass Regensburg in den Kategorien Passanzahl pro Ballbesitzphase (2,46) und Pässe pro Minute Ballbesitz (10,5) Ligaschlusslicht ist. Ein durchschnittlicher Ballbesitz von 41,9% ist daher quasi fast logisch.

Gepaart werden diese Faktoren mit einer recht hohen Pressingintensität (drittniedrigster PPDA-Wert der Liga), so dass die Idee tatsächlich bekannt vorkommen könnte. Schnelles und tiefes Passspiel, erfolgreiches Umschaltspiel nach intensivem Pressing. Das alles klingt nach dem, was Damir Canadi in seiner Idealvorstellung auch vorschwebt.

Die letzten Spiele…

…  hat der Jahn nach einer Durststrecke mit zwei Niederlagen gegen Stuttgart und in Dresden erfolgreich gestalten können. Gegen den HSV gab’s zu Hause ein 2:2, es folgten zwei Siege in Kiel und gegen Sandhausen. Auffällig war zum einen, dass Regensburg eine enorm gute Chancenverwertung hat. Gegen Sandhausen machte der Jahn aus zwei Schüssen aufs Tor ein Tor, in Kiel aus zwei Schüssen aufs Tor sogar zwei Tore, gleiches galt gegen den HSV. Im Gegensatz dazu muten die Quoten eins aus drei (in Dresden) und zwei aus fünf (gegen Stuttgart) aus den Spielen zuvor fast verschwenderisch an.

Auf die Saison gerechnet haben die Oberpfälzer fünf Tore mehr erzielt als auf Grund ihrer Chancenqualität zu erwarten war. Das liegt auch daran, dass sie seltener als jede andere Mannschaft aufs Tor schießen: 101-mal in 10 Spielen. Dass aus diesen 101 Schüssen 18 Tore entstanden – der FCN braucht für die gleiche Anzahl Tore 148 Schüsse – ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Jahn enorm abschlussstark ist. Auch der Wert von 0.13 xG pro Schuss spricht dafür.

Der Schlüsselspieler …

… ist für diese gute Chancenverwertung mitverantwortlich. Marco Grüttner ist Kapitän, Torjäger und Führungsfigur. Seit seinem Wechsel vom VfB Stuttgart II an die Donau hat Grüttner in jeder Spielzeit – egal ob Zweite oder Dritte Liga – stets eine zweistellige Anzahl an Tore für den Jahn erzielt. In dieser Saison ist er mit vier Toren nach zehn Spielen erneut auf Kurs, obwohl er letzte Woche 34 Jahre alt geworden ist.

Doch nicht nur als Vollstrecker ist Grüttner wichtig. Naturgemäß ist er als Stürmer in einem System, das auf lange Bälle ausgerichtet ist, der Spieler mit den meisten Luftduellen. Er ist aber nicht nur Zweikämpfer, sondern auch Vorbereiter. Grüttner ist der Stammspieler mit den meisten Pässen, die zu Abschlüssen führen, den zweitmeisten Steckpässen und den meisten Torvorlagen. In der letzten Saison kam Grüttner insgesamt auf zehn Vorlagen, in dieser Saison sind es auch bereits wieder deren drei.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 25. Oktober 2019 unter dem Titel „Lang, weit und erfolgreich“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 40.

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Taktiktafel: Aue (A)

Der Trainer…

… tauchte bereits an dieser Stelle auf, schließlich hat Darmstadt 98 noch immer mit den Nachwirkungen von der Art, wie Dirk Schuster Fußball spielen lässt, zu kämpfen. Der 51-Jährige steht im deutschen Fußball wie kein Zweiter für das, was im Englischen „Route 1 Football“ im Deutschen aber „Kick and Rush“ heißt. Unter Schuster spielte Darmstadt in der Bundesliga nämlich phasenweise über ein Drittel seiner Bälle lang und vertraute auf die Schnelligkeit und Kopfballstärke seiner Angreifer und verzichtete fast vollständig auf Ballbesitz. Am Ende der Saison 2015/16 lag der Ballbesitz der Lilien bei lediglich 33,7%.

Dennoch hielt man sensationell die Klasse. Schuster verließ daraufhin Darmstadt in Richtung Augsburg. Am Ende der Saison waren weder Verein noch Trainer erstklassig. Die Lilien stiegen ab, Schuster wurde noch vor der Winterpause in Augsburg entlassen. Es überraschte daher nicht, dass die beiden im Dezember 2017 – Darmstadt stand auf dem Abstiegsrelegationsplatz in der Zweiten Liga – erneut zueinanderfanden. Schuster ließ wieder „Schuster-Fußball“ spielen, Darmstadt verlor elf Spiele in Folge nicht, man hielt gemeinsam die Klasse.

Doch im Februar dieses Jahres endete nach nur einem Sieg aus zehn Spielen die zweite Amtszeit des ehemaligen deutschen Nationalspielers am Böllenfalltor. Dieser war daher im August frei, um in Aue den Posten von Daniel Meyer zu übernehmen, der unter bis heute nicht geklärten Umständen von Aues Präsident Helge Leonhardt beurlaubt worden war.  

Die Grundordnung…

… ist unter Dirk Schuster in der Regel ein einfach zu spielendes 4-4-1-1. Die Formation mutet in vielerlei Hinsicht wie ein flaches 4-4-2 an, unterscheidet sich aber vor allem darin, dass die Stürmer nicht nebeneinander, sondern hintereinander agieren. Klassischerweise spricht man von einem „Stoßstürmer“ (in Aue: Pascal Testroet) und einer „hängenden Spitze“ (Nazarov oder Hochscheidt). Dabei ist die hängende Spitze der Verbindungsspieler zwischen den beiden dichten Ketten in Abwehr und Mittelfeld und unterstützt die Mittefeldreihe im Verteidigungsspiel, während der Stoßstürmer vor allem zum Verwerten der Zuspiele zuständig ist. In Schusters Spielanlage mit langen Bällen dient der Stoßstürmer außerdem dazu Bälle auf die nachrückende hängende Spitze oder die aufrückenden Außenspieler zu verteilen.

Interessanterweise agierte Aue im letzten Spiel vor der Länderspielpause in Sandhausen mit dem gleichen offensiven Setup, veränderte aber dahinter auf eine Dreier- und eine Fünferkette. Wobei je nach Spielsituation entweder die Abwehr oder das Mittelfeld aus fünf Spielern bestand. Ob das nur eine einmalige Aktion war oder nun tatsächlich zu Schusters Repertoire gehört, lässt sich noch nicht einschätzen, für den Umgang mit dem Angriffsmuster der Sachsen ändert es aber nicht viel. Es gilt auch weiterhin durch konsequentes Gewinnen der Duelle gegen Testroet und Verhindern der Abspiele von Nazarov zu verhindern, dass Aue zum Abschluss kommt.

Die letzten Spiele…

…  performte Erzgebirge weit über dem zu erwartenden statistischen Wert. Rechnet man aus den an dieser Stelle bereits mehrfach erwähnten expected Goals die Siegwahrscheinlichkeiten für die einzelnen Spiele, erhält man expected Points. Nach diesen auf Grund der Spielverläufe zu erwartenden Punkten müsste Aue entweder bei neun oder zehn Punkten stehen, tatsächlich haben sie aber fünf mehr eingefahren. Die höchste Diskrepanz in der Liga, die dazu führt, dass Aue gemßäß den expected Points sogar Vorletzter der Tabelle ist.

Oft ist ein hoher Unterschied zwischen expected points und tatsächlicher Punktzahl ein Indikator dafür, dass eine Mannschaft überperformed und sich die Ergebnisse auf lange Sicht wieder einpendeln. So war es zum Beispiel in der vergangenen Saison in der Premier League, als Manchester United nach der Amtsübernahme von Ole Gunnar Solskjaer eine Zeit lang alles gewann und bis auf Platz Vier vorstieß, obwohl die expected goals ein anderes Bild zeichneten. Tatsächlich pendelten sich die Resultate im Laufe der Rückrunde ein und Manchester United landete außerhalb der Champions League Plätze.

Bei Aue kommen die Zweifel an der Nachhaltigkeit des Erfolgs auch daher, dass die Sachsen in vielen anderen statistischen Kategorien schwach abschneiden. Sie verzeichnen die wenigsten Balleroberungen, die wenigsten Pässe ins letzte Drittel, die wenigsten Ballberührungen im gegnerischen Strafraum, die wenigsten Offensivzweikämpfe und haben den drittgeringsten Ballbesitz. Das alles ist nicht untypisch für Dirk Schuster Fußball, das deutliche Übertreffen der expected points allerdings schon.

Der Schlüsselspieler …

… ergibt sich aus der Beschreibung des Fußballs, den Dirk Schuster spielen lässt, fast von selbst. Pascal Testroet ist der Stoßstürmer in Aues 4-4-1-1. Er ist derjenige, der die Bälle festmacht und verteilt und sowohl andere in Szene setzt, als auch selbst zum Abschluss kommt. Der 29-Jährige kommt daher auch auf den höchsten Wert an Pässen, die zu einem Torabschluss führen, in der gesamten Zweiten Liga.

Das ist auf Grund der oben genannten Zahlen für das gesamte Team umso erstaunlicher. Testroet, im Sommer 2018 auch Dresden gekommen, ist aber nicht nur Vorbereiter, sondern auch Vollstrecker. Drei Saisontore stehen für den Angreifer bereits zu Buche, alle drei Tore schoss Testroet in den letzten beiden Partien vor der Länderspielpause. Das Ausschalten des in Bocholt geborenen und bei Schalke und Werder Bremen ausgebildeten Angreifer ist daher zentrale Aufgabe der Clubdefensive heute Abend.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 18. Oktober 2019 unter dem Titel „Gegen die statistische Wahrscheinlichkeit“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 40.

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Taktiktafel: St. Pauli (H)

Der Trainer…

… sparte noch vor Saisonbeginn nicht mit Kritik. Vor dem ersten Saisonspiel setzte Jos Luhukay zu einer ungewöhnlich harschen Tirade an. „Zu viel Bequemlichkeit“ attestierte er St. Pauli man brauche „eine Mentalitätsveränderung.“ Nicht nur, dass Luhukay damit in direkter Opposition zu Dortmunds Marco Reus in Sachen Haltung in Mentalitätsfragen steht, er ließ kein gutes Haar an der eigenen Mannschaft. Man habe keinen Ausnahmespieler und zu viele verletzungsanfällige Akteure. Sein Fazit: „Mit dieser Mannschaft ist alles über Platz neun ein Riesenerfolg.“

Dabei hätte man auf Grund seiner Vita vermuten müssen, dass Andreas Rettig – St. Paulis einstiger Sportdirektor, der inzwischen durch Ex-Clubvorstand Andreas Bornemann abgelöst wurde – Luhukay für mehr als Platz neun geholt hat. Dreimal ist der Niederländer aus der Zweiten Liga aufgestiegen. Bei allen drei Aufstiegen zählten seine Teams (Gladbach, Augsburg, Hertha) zu den Mannschaften mit den wenigsten Gegentoren. Damit ist Luhukays Fokus auf die Defensive auch schon unterstrichen.

Ein eher untypischer Ansatz für einen Niederländer, möchte man meinen. Luhukay durchlief die Trainerausbildung allerdings in Deutschland und erachtet sich daher eher als deutscher denn als niederländischer Trainer. Da seine Aufstiegsteams aber auch immer zu den offensivstärksten der Liga gehörten, ist jene Sichtweise von Luhukay als defensivem Pragmatiker, die ihm gerade während seiner Zeit bei Sheffield Wednesday zum Verhängnis wurde, auch nur ein Teilaspekt seiner Arbeit. Was dagegen begründet erscheint, ist sein Ruf als Disziplinfanatiker, der im Umgang mit Spielern und Verantwortlichen nicht vor schroffen Tönen zurückschreckt. Ein Grund, warum er 2016 in Stuttgart nur vier Spiele im Amt war.

Die Grundordnung…

… scheint Luhukay so langsam gefunden zu haben. In den letzten sechs Spielen lief St. Pauli mit Ausnahme des Spiels in Kiel, wo man im 3-4-1-2 begann, stets im klassischen 4-2-3-1 auf. Auffallend war dabei auch, dass St. Pauli die Formation meist eher passiv abwartend auslegte. Es überrascht daher nicht, dass St. Pauli einen sehr niedrigen PPDA-Wert hat. Diese Statistik wird sein einigen Jahren erhoben, um den Pressingdruck einer Mannschaft zu messen.

PPDA steht dabei für Pässe pro Defensivaktion. Die Anzahl der gegnerischen Pässe wird dabei ins Verhältnis zu allen eigenen Defensivaktionen (Defensivzweikampf, abgefangener Ball, herausgeschlagener Ball, Foul, etc.) gesetzt. Je geringer der Wert, desto höher der Pressingdruck. Der FCN liegt in der aktuellen Saison mit einem Wert von 11,7 etwas über dem Ligaschnitt (11,1). Im Vorjahr hatte man in der Bundesliga mit 18,2 noch den schlechtesten PPDA-Wert aller Mannschaften in allen fünf europäischen Topligen in den letzten fünf Jahren erzielt hatte.

St. Paulis PPDA-Wert lag vor der Partie in Sandhausen bei 16,2. Nur Aue (16,6) war noch schwächer. In Sandhausen überraschte Luhukay dann mit wesentlich aktiverem und forscherem Pressing, so dass sich der Durchschnittswert leicht verschob. Ein Phänomen, das sich auch mit den letzten Spielen der Vorsaison unter Luhukay deckt, wo sich pressingarme und pressingintensive Spiele ebenfalls abwechselten.

Die letzten Spiele…

…  waren nach verkorkstem Start mit nur einem Punkt aus drei Spielen, erfolgreich. Seit fünf Spielen sind die Kiezkicker nun ungeschlagen. Das verbindet sie mit dem FCN, in dieser Phase holte St. Pauli sogar noch zwei Punkte mehr als der Club, da man ein Spiel mehr gewann.

Emotionales Highlight für die meisten Anhänger des FC St. Pauli war in dieser Zeit sicher der Derbysieg gegen den bis dahin – und seitdem – ungeschlagenen HSV. Gerade hier wich Luhukay sowohl von der Passivität als auch von strikten Rollen im Zentrum ab, ließ Møller Dæhli, Knoll und Becker ihre Positionen im Mittelfeld rotieren und übte speziellen Druck auf HSV-Sechser Adrian Fein aus, so dass dieser das Spiel nicht wie gewohnt lenken konnte. Gegen Sandhausen und Osnabrück spielte man dann wieder mit festeren Rollen und größerer Passivität.

Auch auffällig: Nur ein Zweitligist (Darmstadt) hat weniger Schüsse aufs Tor abgegeben als der FC St. Pauli. Die 13 Tore liegen dann auch leicht über dem Erwartungswert nach expected Goals: 11,63. Setzt man die beiden Zahlen allerdings in Relation fällt auf, dass nur zwei Zweitligisten einen besseren xG-Wert pro abgegebenem Schuss haben. Die Trefferwahrscheinlichkeit eines Schusses liegt statistisch bei St. Pauli bei 13,4 Prozent, man ist in der Schussauswahl also geduldig und sucht nicht sofort den Abschluss. Am anderen Ende des Spektrums liegt übrigens der FCN. Der xG-Wert eines einzelnen Torschusses beim Club: 8,8 Prozent.

Der Schlüsselspieler…

… spielte in der Jugend einst bei Manchester United. Mats Møller Dæhli ist mit sechs Vorlagen der beste Vorbereiter der Zweiten Liga. Der Norweger agiert im 4-2-3-1 als Zehner und ist die offensive Schaltzentrale des FC St. Pauli. Er ist auch das Gegenbeispiel zu Luhukays These, dass St. Pauli keinen Unterschiedsspieler besäße. Mit für einen Angriffsspieler enorm hohen 84% Passgenauigkeit für Pässe in die Angriffszone zeigt sich schon, wo Dæhlis Stärken liegen: Im Auge, im sicheren Abspiel und in der Kreativität.

So ist er dann auch der Spieler bei St. Pauli mit den meisten Pässen, die zu Abschlüssen führen. Selbst sucht er dagegen nur selten den Abschluss, gerade einmal zwei Ballberührungen im Strafraum stehen im Schnitt pro Spiel zu Buche. Da verwundert es dann auch nicht, dass Møller Dæhli trotz offensiver Rolle in 86 Profispielen in Deutschland nur auf sechs Tore. Es stehen aber auch 14 Vorlagen zu Buche. Im Ausschalten von Møller Dæhlis Pässen in die Spitze wird einer der Schlüssel des Spiels am Sonntag liegen, ein anderer darin, welchen Pressingansatz Luhukay am Ende wählt.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 3. Oktober 2019 unter dem Titel „Erfolgreich mit norwegischer Kreativität“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 40.