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Die Leistungsträger – Hidden Champions der Zweiten Liga zur Winterpause

Im Laufe der Saison sind bis zur Winterpause 22 Spieler vorgestellt worden, die aus irgendeinem Grund sich als Schüsselspieler oder versteckter Held ihrer Mannschaft hervorgetan haben. Die Winterpause war daher ein guter Zeitpunkt, um sich ligaweit High-Performer und Auffällige herauszugreifen, um zu erklären, wodurch sich die Akteure hervorheben.

Benedikt Saller (SSV Jahn Regensburg)

Der 27-jährige Außenverteidiger ist in vielen defensiven Kategorien auffällig. So fängt keiner mehr Bälle ab als Saller und auch die allumfassende Kategorie „erfolgreiche Defensivaktionen pro 90 Minuten“ führt der gebürtige Münchner an. Nur Asger Sörensen vom FCN führt mehr Zweikämpfe gegen den Ball, niemand geht öfter ins Tackling. Zusätzlich taucht der Rechtsverteidiger aber auch in einigen Offensivkategorien wie Steckpässe, Pässe und Passgenauigkeit in Tornähe und Pässe in den Strafraum in der Spitzengruppe unter den Verteidigern auf. Wie wichtig Saller für den Jahn ist, zeigt sich auch hieran: Mit ihm gewann der Jahn sechs von 13 Spielen, ohne ihn nur eins von fünf.

Nicolas Gonzalez (VfB Stuttgart)

Der Argentinier ist das offensive Gegenstück zu Saller. Niemand mit mehr als 900 Einsatzminuten kommt auf einen besseren Wert in der Abteilung „erfolgreiche Offensivaktionen pro 90 Minuten“. Außerdem führt er die Liga in der Kategorie „Angriffsbeteiligung“ an, d.h. statistisch sind Angriffe mit seiner Beteiligung die gefährlichsten der Liga. Der Angreifer hat die meisten Ballberührungen im Strafraum zu verzeichnen, geht neben Fürths Branimir Hrgota am häufigsten ins Dribbling, spielt von allen Angreifern in der Liga die genausten Pässe in den Strafraum und ist nach Aues Testroet der Stürmer mit den meisten Pässen, die zu Abschlüssen führen. Gonzalez ist eine der Schlüsselfiguren, die Stuttgarts neuer Trainer, Pellegrino Matarazzo, einbinden muss.

Pascal Testroet (Erzgebirge Aue)

Der 29-jährige Stürmer ist der versteckte Passkönig der Liga. Gerechnet auf die Einsatzzeit spielt der gebürtige Bocholter nämlich die gefährlichsten Zuspiele. Niemand übertritt hier den Wert, den Testroet in Sachen statistisch zu erwartende Vorlagen erreicht. Doch damit nicht genug, Testroet spielt – wieder gerechnet auf die Einsatzzeit – auch die meisten Pässe, die zu Torabschlüssen führen. Auch bei kreativen Pässen ist er in der Zweiten Liga in der Spitzengruppe und das obwohl er nach Fürths Hrgota der Stürmer ist, der am häufigsten Vorwärtspässe spielt. Das ist insofern bemerkenswert, da Vorwärtspässe in der Regel häufiger abgefangen werden, also weniger genau sind.

Philip Kühn (VfL Osnabrück)

Der Keeper der Niedersachsen ist der Torwart in der Zweiten Liga, der den größten Anteil an Schüssen auf sein Tor pariert. 53 der 69 Schüsse, die auf den Kasten des 27-Jährigen gingen, wehrte er ab. Die 76,8 Prozent gehaltenen Schüssen sind Bestwert unter den Torhütern mit signifikanter Einsatzzeit. Dass er nicht nur einfach davon profitiert, dass er einfache Bälle zu halten bekommt, zeigt der expected Goals Wert der Schüsse aufs Osnabrücker Gehäuse, als Kühn im Tor stand.Rein statistisch hätte Kühn nicht nur 16 Gegentreffer erleiden, sondern mehr als 23 Mal hinter sich greifen müssen.

Philipp Hofmann (KSC) und Marc Heider (VfL Osnabrück)

Die beiden Angreifer bilden unterschiedliche Enden des Spektrums ins Sachen expected Goals ab. Während Ex-Fürther Hofmann bereits zehn Tore erzielt hat, er aber nach statistischem Erwartungswert nur auf 5,75 xG kommt, steht bei Osnabrücks Deutsch-Amerikaner in der Spalte „erzielte Tore“ noch eine dicke Null. Dabei ist sein xG-Wert mit 3,39 gar nicht so weit entfernt von dem Hofmanns. Der Schluss, dass beide vor allem natürlichen Schwankungen im Zufall unterliegen, legt ein Blick aufs Vorjahr nahe. Da erzielte Heider acht Tore und lag über dem Erwartungswert von 7,16, Hofmanns 11 Treffer lagen dagegen unter dem xG-Wert von 12,72.

Asger Sörensen (1. FC Nürnberg)

Der Däne des FCN taucht in den Statistiken tatsächlich relativ oft weit vorne auf, so führt er unter anderem die meisten Defensivzweikämpfe gerechnet auf die Einsatzzeit und ist der Verteidiger mit den meisten Treffern. In einer Statistik schlägt er jedoch sogar den zuvor erwähnten Philip Kühn. Er ist der einzige Spieler in der gesamten Datenbank, der eine Quote von gehaltenen Schüssen von 100% hat. Das Problem: Dieser gehaltene Schuss brachte Sörensen eine Rote Karte ein und ließ das Spiel des FCN bei Erzgebirge Aue kippen.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 24. Januar 2020 unter dem Titel „Die Leistungsträger“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Der Versuch, das Glück zu messen – Über expected Goals

Der statistische Wert der „expected Goals“ erfreut sich im Fußball immer größerer Beliebtheit, für manche Vereine ist er Grundlage des Erfolgs.

Zuschauer der ehrwürdigen BBC-Sendung „Match of the Day“, dem englischen Äquivalent der Sportschau, staunten im Sommer 2017, also plötzlich neben den gewohnten Statistiken wie Ballbesitz, Passquote und Fouls auch eine den meisten völlig unbekannte Metrik namens „expected Goals“ auftauchte. Auch regelmäßigen Lesern dieser Kolumne ist dieser Begriff öfter begegnet. Doch was steckt eigentlich hinter diesem Wert, der in der Analyse von Fußballspielen immer mehr an Bedeutung gewinnt?

Expected Goals, kurz xG, sind ein Wert, der das intuitive „Des hädd a zwaa ans firn glubb ausgeh kenna“ versucht zu quantifizieren. Zur Ermittlung wird jedem Schuss auf Grund von Ort und Art des Schusses sowie der Anzahl der Gegner, die zwischen dem Schützen und dem Tor stehen, ein Erfolgswert zwischen 0.01 und 1.00 zugewiesen. Dabei entspricht 0.01 einer Chance von 1%, dass der Ball ins Tor geht, ein Wert von 1.00 ist ein Ball, der auf der Torlinie liegt, ohne dass der Spieler bedrängt wird. Ein Elfmeter wird dementsprechend mit 0.76 verbucht, da im Profibereich ziemlich genau 76% aller Elfmeter ins Tor gehen. Alle anderen xG-Werte unterscheiden sich je nach Anbieter, da manche Datenermittler die Werte von so genannten „Spottern“ einschätzen lassen, während andere eine Datenbank mit weltweit erfassten Schüssen bemühen.

Um die xG für ein beliebiges Spiel zu erhalten, addiert man die Werte aller Schüsse beider Mannschaften. Ein Beispiel: Am ersten Spieltag in Dresden hatte der FCN einen xG-Wert von 0,46, Dynamo Dresden von 0,84. Das entspricht in etwa dem Eindruck, den man auch augenscheinlich hatte. In einem weitgehend ausgeglichenen, chancenarmen Spiel hatte Dresden die etwas besseren Gelegenheiten. Im Rückspiel vor der Winterpause kam der FCN auf 1,45 xG, Dresden auf 0,38xG. Auch hier wird der Eindruck bestätigt, der Club hatte bessere Chancen, Dresden kaum gute. Theoretisch lassen sich aus den xG-Werten auch Siegwahrscheinlichkeiten errechnen, z.B. 19% für den Club in Dresden, 67%% im Rückspiel.

Aus diesen Werten wiederum ergeben sich so genannte „expected Points“ (xP), also die Punktzahl, die eine Mannschaft mit dieser Chancenwertigkeit im Schnitt erhält. Um die xP zu berechnen, wird die Siegeswahrscheinlichkeit mal drei genommen und die Wahrscheinlichkeit eines Unentschiedens addiert. Für das Spiel in Dresden ergeben sich so 0,95 xP, für das Rückspiel in Nürnberg 2,25 xP. Der Wert für ein einzelnes Spiel lässt zunächst einmal also Rückschlüsse darüber zu, ob ein Erfolg glücklich war oder verdient.

Betrachtet man dann die expected Goals und Points über einen längeren Zeitraum, gleichen sich die Werte oft aus. So ist bei einem Verein, der über eine längere Zeit mehr Tore als seine expected Goals schießt, ist zu erwarten, dass dies nicht konstant zu halten ist und die Ergebnisse schwächer werden. Umgekehrt gilt bei einem hohen Saldo zwischen geschossenen Toren und xG: Wahrscheinlich hat die Mannschaft Pech. Ein Beispiel hierfür ist Borussia Dortmund in Jürgen Klopps letzter Saison. 2014/15 lag der BVB in der Hinrunde weit hinter den xG lagen, im Laufe der Rückrunde spielte Dortmund dann auf ähnlichem Level, bekam aber die Ergebnisse, die es nach expected Goals verdiente und schloss so

Es ist aber keineswegs ein Automatismus, dass eine Mannschaft, die über eine längere Strecke Pech hat, im Laufe der Saison plötzlich Glück hat. Vielmehr haben Ergebnisse natürlich auch psychologische Auswirkungen, so dass sich Teams bisweilen auch von ihrer Spielqualität den Ergebnissen anpassen. Es gibt genug Beispiele, wo Mannschaften dann auch deutlich unter ihren expected Points einliefen. So kam der FCN letzte Saison auf 33,6 expected Points, was vor allem der hohen Anzahl an verschossenen Elfmetern zuzuschreiben ist, aber nur auf 19 Punkte. Die 33,6 xP waren allerdings auch in einer expected Points-Tabelle nur für Platz 17 gut. So ist auch die Tatsache, dass der Club derzeit nach expected Points sieben Punkte mehr hat als in der Tabelle eben keine Garantie dafür, dass die Saison am Ende ein gutes Ende nimmt.

Wer das alles nun als statistische Spielerei oder Schwachsinn abtut, dem sei die Geschichte von Matthew Benham ans Herz gelegt. Der Brite hat mit Hilfe der expected Goals eine eigene Wettfirma auf die Beine gestellt und damit so viel Geld verdient, dass er sich beim Brentford FC in London und dem FC Midtjylland in Herning in Dänemark einkaufen konnte. Beide Clubs führt Benham ohne großes finanzielles Investment und stattdessen mit Hilfe statistischer Modelle: So scouten die Teams basierend auf den expected Goals ihre Spieler. Es funktioniert: Bevor Benham Brentford übernommen hatte, war der Verein drittklassig, Midtjyllands beste Platzierung in der Liga war ein dritter Platz gewesen. Zurzeit ist Brentford Dritter in der zweiten englischen Liga. Midtjylland ist amtierender Pokalsieger und Tabellenführer in Dänemark, zweifacher Meister und nahm in jedem Jahr am Europapokal teil.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 17. Januar 2020 unter dem Titel „Der Versuch, das Glück zu messen“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Dresden (H)

Das Hinspiel …

… war eines der wenigen Spiele in der Vorrunde, die der FCN trotz Unterlegenheit erfolgreich gestalten konnte. Auf Grund der Chancenqualität lag die Siegeswahrscheinlichkeit des Clubs in diesem Spiel nur bei circa 19 Prozent. Eine Defensive, die den Gegner auf zwei Schüsse aufs Tor aus dem Strafraum beschränkte und eine Offensive, die ihrerseits ihren einzigen Abschluss aufs Tor, der innerhalb des Sechzehnmeterraums abgegeben wurde, im Tor unterbrachte, sorgten aber dafür, dass Nürnberg das Spiel gewann.

Schon Ende Juli deutete sich allerdings an, dass beide Teams Probleme bekommen könnten. Dresden, weil es aus hohen Ballbesitzzeiten kaum gefährliche Angriffe kreieren konnte und Nürnberg, weil es im Vorwärtsspiel extrem unpräzise agierte. Die Passgenauigkeit von 65 Prozent bei Pässen für Raumgewinn, 51 Prozent bei Pässen ins Angriffsdrittel und 33 Prozent bei Pässen in den Strafraum, blieben ein dauerndes Phänomen beim FCN.

Anders seitdem ist …

… auf beiden Seiten der Trainer.  Während der Club nach zwölf Spieltagen wechselte, hoffte Dresden noch drei Spieltage länger auf den Turnaround. Inzwischen ist Cristian Fiel durch Markus Kauczinski ersetzt. Das bedeutet unter anderem, dass mit Dresden nun die vorletzte Mannschaft in der Zweiten Liga von einer Grundformation mit Dreierkette abrücken dürfte. Kauczinski ließ in seinem ersten Spiel, der 0:3-Niederlage beim VfL Osnabrück, Dynamo in einem 4-4-2 beginnen. Offensiv brachte Dresden in dieser Formation allerdings keinen einzigen Torschuss zustande.

Kauczinski änderte die Formation auf ein 3-4-3, es folgten immerhin drei Abschlüsse, auch wenn Dynamo im gesamten Spiel keinen Schuss auf das Tor von Osnabrücks Torwart Kühn zustande brachte. Die Probleme, die Dresden bisher hatte, setzten sich in Kauczinskis erster Partie fort. Durchaus eine Parallele zum 1. FC Nürnberg. Beide Teams sind derzeit der Beweis dafür, dass ein Trainerwechsel nicht gleich alles anders macht.

Statistisch auffällig beim Gegner …

… ist, dass er zwar sowohl in Sachen Passzahl als auch Passgenauigkeit ins Angriffsdrittel unter den besten drei Teams der Liga liegt, gleichzeitig aber den zweitniedrigsten Wert in Sachen Ballberührungen im Strafraum verbucht und die wenigsten Schüsse der Liga abgegeben hat. Dynamo spielt also bis an den Strafraum gefällig, verpasst es aber dann im letzten Drittel die Pässe so anzubringen, dass sie für gefährliche Torgelegenheiten sorgen.

Die Sachsen sind damit auch der beste Beweis dafür, dass der reine Ballbesitz allein nicht zielführend ist. Die vier Spiele mit mehr als 60 Prozent Ballbesitz verlor Dynamo allesamt, insgesamt hatte Dynamo in nur vier Spielen unter Cristian Fiel weniger Ballbesitz als der Gegner, der durchschnittliche Ballbesitz lag bei 55 Prozent.

Gleichzeitig gehört Dresden – wie auch der FCN – zu den Mannschaften, die in der Zweiten Liga dem Gegner die höchstwertigen Chancen gewähren, auch ein Grund dafür, dass beide zu den Teams mit den meisten Gegentoren gehören. Überdurchschnittlich viele der Gegentore der Sachsen fielen nach Standards und Kontern. Bei Dresden liegt einer der Gründe für die Anfälligkeit womöglich auch darin, dass man weit unterdurchschnittlich viele Defensivduelle gewinnt.

Der Hipster-Spieler …

… ist die Bezeichnung, die in der Taktikszene – nicht ohne Selbstironie – für einen Akteur gewählt wird, der unter den Taktikexperten gewürdigt wird, der aber in der alltäglichen Berichterstattung wenig Beachtung findet. Der Hipster-Spieler schießt selten viele Tore, Assists gibt er auch nicht in hoher Anzahl, stattdessen fällt er durch anderes auf, z.B. Pressing, Tackling, Aufbauspiel.

Bei Dynamo Dresden ist dieser Hipster-Spieler Jannik Müller. Der 25-Jährige agierte unter Fiel fast immer in der Dreierkette unter Interimstrainer Scholz rückte der beim 1. FC Köln ausgebildete Spieler dann ins defensive Mittelfeld, Markus Kauczinski verzichtete im ersten Spiel ganz auf ihn. Etwas, das sich angesichts des Ergebnisses durchaus hinterfragen lässt. Die Einstufung als Hipster-Spieler erlangt Müller auf Grund seiner hohen Passsicherheit, mit der er das Spiel eröffnet. Kein Spieler Dynamos spielt mehr Pässe ins Angriffsdrittel. Gleichzeitig hat Müller dennoch zusammen mit Ex-Cluberer Florian Ballas die besten Werte im Defensivzweikampf und auch insgesamt die meisten erfolgreichen Defensivaktionen.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 20. Dezember 2019 unter dem Titel „Erstaunlich viele Parallelen“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Kiel (H)

Der Trainer …

… ist jünger als einige seiner Spieler. OIe Werner ist Jahrgang 1988 und dennoch bereits seit sechs Jahren Trainer im Stab von Holstein Kiel. Auch als Spieler war er bei den Störchen, allerdings musste er bereits 20-jährig seine Karriere wegen Hüftproblemen beenden.  Mit 26 Jahren übernahm Werner die zweite Mannschaft des Vereins, führte sie aus der Oberliga in die Regionalliga und trainierte sie bis im September 2019.  Dann übernahm er den Job als Trainer der Profis von Andre Schubert, obwohl er parallel noch den Lehrgang zum Fußballlehrer durchläuft.

Schubert, der erst in der Sommerpause von Eintracht Braunschweig geholt worden war, war nicht allein wegen ausbleibender Ergebnisse entlassen worden oder weil es menschlich zwischen Verein und Trainer erhebliche Reibung gab, sondern vor allem auch, weil Schuberts Spielstil so völlig konträr zu dem war, was die Mannschaft zuvor unter Tim Walter gespielt hatte.

Der hatte seinen „Walterball“, den er nun in Stuttgart spielen lässt, auch in Kiel gespielt, Schubert das Rad dann radikal zurückgedreht: Keine Positionswechsel der Spieler, dafür viele Formationswechsel der Mannschaft, kaum Tempo, Anpassung an den Gegner. Werner drehte, nachdem er von Schubert übernahm, an einigen dieser Stellschrauben.

Die Grundordnung …

… trägt diesen Veränderungen Rechnung. Werner lässt die meiste Zeit im 4-3-3 spielen, versucht wieder dem Gegner das Spiel aufzuzwängen und versucht vieles spielerisch zu lösen. Erkennbar ist das zum Beispiel an einem interessanten statistischen Wert. Holstein Kiel schließt Angriffe selten mit Fernschüssen ab. Nur knapp 36 Prozent der Schüsse der Störche werden außerhalb des Strafraums abgegeben, einzig der VfB Stuttgart hat eine noch geringere Quote.

Eine sinnvolle Einschränkung, da Fernschüsse deutlich seltener den Weg ins Tor finden als Abschlüsse von innerhalb des Strafraums. Der 1. FC Nürnberg kommt bei Fernschüssen auf eine Quote von fast 50 Prozent. Obwohl Kiel nur selten von außerhalb abzieht, steht es in Sachen Schussanzahl unter den Top 5 der Liga. Dies gilt auch für die Kategorien Ballbesitz, Anzahl der Pässe, Dribblings, Ballkontakte im Strafraum, Pässe ins Angriffsdrittel und Pässe in Tornähe.

Aus diesen statistischen Werten ergibt sich ein sehr gutes Bild der offensiven Ausprägung des Spiels unter Werner. Man versucht mit vielen eher kurzen Bällen sich in den Strafraum zu kombinieren, scheut sich aber nicht davor, das Dribbling zu suchen. Abschlüsse sucht man dann aber erst, wenn man in Tornähe gekommen ist. Es ist ein geduldiges Spiel, das aber ertragreich ist. 21 Treffer von Kiel fielen aus dem Positionsspiel heraus, also nicht aus Konter, Standard, Eigentor oder Elfmeter. Kein Zweitligist hat mehr Tore dieser Art erzielt.

Die letzten Spiele …

… waren mit wenigen Ausnahmen erfolgreich. Betrachtet man nur die sieben Spiele seit dem 10. Spieltag, holten nur Bielefeld und Heidenheim mehr Punkte als Holstein – und niemand weniger als der FCN. Dennoch kassierten in dieser Phase nur Karlsruhe (15) und Nürnberg (18) mehr Gegentore als die Störche (12). Vier dieser Gegentore kamen in der letzten Woche im Heimspiel gegen Osnabrück, drei beim 6:3-Sieg gegen Wiesbaden zwei Wochen zuvor.

Die Defensive der Gäste kann am Sonntag also durchaus geknackt werden. Besonders auffällig bei den zugelassenen Chancen in den letzten Wochen war, dass sie sich häufig aus Situationen ergaben, in denen die Kieler im eigenen Aufbau unter Druck gesetzt wurden. Darunter waren sowohl Pressingsituationen im geordneten Aufbau, meist waren es aber Gegenpressingsituationen, bei denen die Kieler gerade den Ball erobert hatten. Ebenso wurden sie relativ oft durch Angriffe über den Flügel unter Druck gesetzt.

Der Schlüsselspieler …

… ist der Grund dafür, dass das Spiel der Kieler so linkslastig ist wie keinem anderen Zweitligisten außer Hannover 96. 41 Prozent aller Angriffe laufen über links und damit über Jae-Sung Lee. Der Südkoreaner ist mit sechs Toren Kiels bester Torschütze, leitet viele Angriffe ein und gehört in Sachen kreative Anspiele, Erfolgsquote von Dribblings, Pässe in Tornähe und Läufe für Raumgewinn zu den besten der Liga.

Das Besondere an Holstein Kiel ist jedoch, dass Lee keineswegs der Alleinunterhalter im Angriffsspiel der Störche ist. Neben Lee hat Kiel mit Makana Baku noch einen weiteren Top 10 Dribbler in seinen Reihen, der auch in Sachen Ballkontakte im gegnerischen Strafraum und Pässe in Tornähe spitze ist. Die Innenverteidiger Hauke Wahl und Stefan Thesker sind diejenigen, die in der gesamten Liga den Ball am häufigsten durch ein Lauf mit dem Spielgrät am Fuß vorwärtsbewegen. Linksverteidiger Johannes van den Bergh ist der Spieler mit den meisten Pässen, die zu Torabschlüssen führen, in der gesamten Liga, was auch damit zusammenhängt, dass er die genausten Flanken unter allen statistisch aussagekräftigen Spielern schlägt.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 13. Dezember 2019 unter dem Titel „Angriffslustige Störche“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 40.

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Taktiktafel: Stuttgart (A)

Der Trainer …

… war vor zwei Jahren noch als Regionalligatrainer im Max-Morlock-Stadion zu Gast. Mit 2:1 siegte Tim Walters Mannschaft, die Zweitvertretung des FC Bayern München damals, auch dank eines Tores von Timothy Tillman. Sein Gegenüber hieß Reiner Geyer, der hatte auf Geheiß von Michael Köllner unter anderem Lukas Mühl, Fabian Bredlow und Lukas Jäger auflaufen lassen müssen. Jener Köllner war im September 2017 auch unter den Zuschauern und zeigte sich im Gespräch wenig begeistert vom Auftreten von Tim Walter.

So ergeht es Walter relativ oft. Der 44-Jährige eckt an. Nicht bei seinen Spielern, denen er oft das Gefühl vermittelt, nur sie könnten wirklich guten Fußball spielen. Doch die Gegner bekommen oft genug Breitseiten. So kritisierte Walter in der letzten Saison, als er Holstein Kiel trainierte, Union Berlin als eine der „Truppen, die nicht am Fußball spielen interessiert sind“. Union stieg am Ende der Saison auf und die Spieler riefen während ihrer Aufstiegsfeier bei Walter an, da sie sich mit „Hier sind die, die nicht Fußball spielen können“ melden wollten.

Walter ging nicht ran und im Sommer aber dafür nach Stuttgart. Er gehört – wie Kölns Gisdol, Spartak Moskaus Tedesco, Bremens Kohfeldt oder Augsburgs Schmidt – zu der Gruppe an Trainern, die selbst nie höherklassig gespielt haben, jetzt aber im Profibereich trainieren, was er gegenüber dem SWR so erklärte: „Ich habe gemerkt, dass ich vielleicht doch bessere Voraussetzungen habe, die Dinge, die ich auf dem Platz nicht umsetzen kann, dann als Trainer zu vermitteln“.

Die Grundordnung …

… zeigt die Dinge, die Walter auf dem Platz vermitteln will. Walter hat es nämlich tatsächlich geschafft, so etwas wie eine Innovation ins Spiel einzubauen. Tobias Escher, Doyen der deutschen Taktikszene, beschrieb Walters Idee plastisch: „Wer das erste Mal einer Mannschaft von Tim Walter zuschaut, kapiert erst einmal gar nichts.“ Das liegt daran, dass Walter die Positionszuordnungen seiner Spieler in höchstem Maße flexibel sind.

Besonders auffällig wird dies bei den Innenverteidigern. Die gestalten unter Walter den Spielaufbau nicht allein dadurch, dass sie den Ball bei den Mittelfeldspielern abgeben und sich dann wieder in die Kette zurückfallen lassen. Stattdessen tragen sie den Ball selbst ins Mittelfeld und beteiligen sich dort am Spielaufbau. Zur Absicherung rücken stattdessen die Außenverteidiger nach hinten in die Kette. Die Sechser, in deren Raum die Innenverteidiger mit dem Ball aufrücken, rutschen dann weiter auf dem Spielfeld nach vorne und schaffen so Überzahl für den VfB Stuttgart in Tornähe.

Bisweilen ziehen aber auch die Außenverteidiger in die Mitte zum Aufbau. Dann rücken die Sechser in die Kette oder sogar auf die Außenposition. Wenn das Spiel funktioniert, ist der Druck für die gegnerische Offensive fast nicht auszuhalten. Allerdings schwächelte Stuttgart in den letzten Wochen massiv.

Die letzten Spiele …

… hat der VfB Stuttgart größtenteils nämlich verloren. Fünf der letzten sieben Spiele endeten mit Niederlagen. Die erste davon war eine Heimniederlage gegen Wiesbaden, die noch als statistische Anomalie hätte gelten können, doch auch Kiel, Hamburg, Osnabrück und Sandhausen bezwangen den VfB. Allerdings gelang nur Kiel dieses Kunststück im ehemaligen Neckarstadion. Die restlichen Niederlagen folgten auswärts.

Besonders auffällig war dabei, dass sich die Torchancen der Gegner aus zwei Typen von Gelegenheiten ergaben. Zum einen aus Standardsituationen, was sich nicht immer verhindern lässt in einem Fußballspiel. Zum anderen aber aus Situationen, in denen der VfB eigentlich den Ball hatte, ihn dann aber verlor. Gerade durch die gewollte Unordnung im eigenen Aufbauspiel, kann es dann passieren, dass die Abwehr plötzlich numerisch unterlegen ist, wenn ein schneller Konter des Gegners heranrauscht. Gefördert wurde dies in einigen Spielen zusätzlich durch unnötige Ballverluste, die sich aus unpräzisen Zuspielen ergaben.

Der Schlüsselspieler …

… ist gesperrt. Kapitän Marc Oliver Kempf war derjenige Innenverteidiger, der Walters Ideen in Sachen Spielaufbau im Zentrum am besten umsetzen konnte. Der andere Spieler, auf den dies in hohem Maße zutrifft, ist Pascal Stenzel. Bis zum Sonntag hatte der Rechtsverteidiger alle Spiele über die volle Distanz bestritten, gegen Sandhausen wurde der 23-Jährige erstmals ausgewechselt. Stenzel zieht ähnlich wie Kempf gerne mit Ball in Mitte, verteilt die Kugel dort und hilft mit Überzahl im tornahen Zentrum schaffen.

Stenzel ist der Spieler, der in der gesamten Zweiten Liga die meisten Pässe spielt, er bringt mehr als 92% der Bälle auch beim Mitspieler an. Nun sagt die reine Zahl der Pässe nichts über deren Qualität aus, doch Stenzel ist auch ligaweit der Spieler mit den meisten Pässen für signifikanten Raumgewinn. Selbst in dieser Kategorie liegt die Passgenauigkeit des Außenverteidigers noch bei fast 90%. Auch bei den Pässen ins Angriffsdrittel belegt Stenzel Platz eins und selbst in dieser Kategorie kommt er noch auf 85% Passgenauigkeit.

Zum Teil haben diese Werte natürlich mit der Spielanlage des VfB zu tun, der im Schnitt fast 90 Pässe mehr als alle anderen Teams in der Liga spielt und dabei auf fast 87% Passgenauigkeit und 66% Ballbesitz kommt. Es liegt aber auch an Stenzel selbst, der in Walters flexiblem System aufblüht.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 6. Dezember 2019 unter dem Titel „Wenn der Druck nicht auszuhalten ist“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Wehen-Wiesbaden (H)

Der Trainer …

… ist entgegen anders lautender Meldungen nicht gesperrt. Zwar hat Rüdiger Rehm tatsächlich schon vier Gelbe Karten erhalten, doch war eine davon vor der Festlegung, dass auch Trainer Gelbsperren kassieren können. Also darf der 41-Jährige morgen ganz normal auf der Bank Platz nehmen. Dabei kennt sich der ehemalige Außenverteidiger mit Sperren aus: In acht Spielzeiten in der Zweiten Liga für Mannheim, Saarbrücken, Reutlingen, Aue und Offenbach saß Rehm vierzehn Sperren ab.

Im Herbst seiner Karriere heuerte Rehm bei der SG Sonnenhof Großaspach als spielender Co-Trainer an. Sein letztes Mal auf dem Spielberichtsbogen: Eine 1:3-Niederlage beim FCN II im Dezember 2011. Im darauffolgenden Sommer wurde Rehm nach dem Abgang des bisherigen Chefs Alexander Zorniger zum Cheftrainer befördert. Es folgte der Aufstieg in die Dritte Liga durch einen Sieg gegen Valerien Ismaels Wolfsburg II und zwei Spielzeiten, in denen Rehm, der zwischenzeitlich eine Pause eingelegt hatte, um seinen Fußballlehrerschein zu erwerben, Großaspach zum Klassenerhalt führte.

Der Erfolg mit geringen Mitteln machte Arminia Bielefeld auf Rehm aufmerksam, doch der Ausflug in die zweite Liga endete nach einem Start mit fünf Remis und fünf Niederlagen schnell. Daher Rehms erster Sieg als Zweitligatrainer tatsächlich erst das 2:0 mit Wiesbaden gegen Osnabrück. Zum Verein aus der hessischen Landeshauptstadt war Rehm, der jenseits der Seitenlinie von seinen Spielern menschlich sehr geschätzt wird, im Februar 2017 gewechselt. Unter Rehms Führung verlor der SVWW nur drei seiner achtzehn Pflichtspiele. Auf einen vierten Rang 2017/18 folgte 2018/19 der Sprung auf Platz Drei und die erfolgreiche Relegation gegen Ingolstadt.

Die Grundordnung …

… beschreibt Rehm so: „Grundsätzlich bin ich kein Verfechter eines bestimmten Spielsystems. Wir müssen vielmehr immer in der Lage sein, auf bestimmte Gegner oder Situationen zu reagieren.“ Das hindert Rehm nicht daran, sein Team in den letzten Wochen konstant mit einem 5-4-1 als Grundordnung agieren zu lassen. Allerdings wechselte Rehm beim 3:6 gegen Kiel am Samstag nach drei Gegentoren auf ein 4-4-2, was die Gegentorflut jedoch nicht eindämmte.

In den Wochen zuvor hatte die Fünferkette allerdings für eine Stabilisierung gesorgt, nur drei Gegentore hatte Wehen in den sechs vorherigen Spielen kassiert, nachdem es 23 Gegentore in den ersten sieben Spielen gehagelt hatte. Das ist auch die Intention hinter einer derartigen Formation, welche die Räume im letzten Spielfelddrittel extrem verdichtet und es so dem Gegner schwer machen soll, frei vors Tor zu kommen.

Hinzu kommt, dass Rehm die Formation, die man durchaus auch offensiv spielen könnte, indem man die Außenspieler weiter vorne positioniert, extrem defensiv auslegt. Es ergeben sich so in der Regel zwei tief stehende Riegel mit fünf Abwehr- und vier Mittelfeldspielern, die schwer zu durchbrechen sind. Darunter leidet natürlich der eigene Spielaufbau, der meist aus langen Bällen auf Schäffler besteht.

Die letzten Spiele …

… beinhalteten vier Punkte gegen Stuttgart und Hamburg, zwei torlose Remis gegen Heidenheim und in Sandhausen sowie Niederlagen in Dresden und gegen Kiel. Gerade der 2:1-Sieg in Stuttgart war bemerkenswert. Trotz einer Bilanz von 29:6 Torschüssen, 823:122 Pässen, 84%:16% Ballbesitz, expected Goals Werten von 3,68:0,46 und einer Passquote von 61% gewann Wehen das Spiel mit 2:1.

Auch wenn das Ergebnis in jeder Hinsicht ein statistischer Ausreißer ist, so steht das Spiel doch im Extremen dafür, wie Wiesbaden agiert. Man verzichtet auf Ballbesitz, beschränkt sich auf wenige Nadelstiche als Angriffe und spielt wenige, oft auch lange, Pässe. So sind die Hessen auch ligaweit das Schlusslicht in Sachen Ballbesitz und Tabellenführer in Sachen lange Pässe. Gleichzeitig ist das Spiel des SVWW dadurch keineswegs offensiv harmlos. In Sachen Ballkontakte im Strafraum, eigene Schüsse, Pässe zu Torabschlüssen und kreative Pässe findet sich der Aufstieger im Mittelfeld der statistischen Tabellen wieder. Man spielt also den langen Ball effizient und mit Zug zum Tor.

Der Schlüsselspieler …

… ist sicherlich Manuel Schäffler. Mit zehn Toren aus 14 Partien hat der Angreifer mehr als die Hälfte der 17 Treffer der Wiesbadener erzielt. Schäffler gibt im 5-4-1 die einzige Spitze und ist eindeutig der Zielspieler in Rehms System. Er führt die meisten Offensivzweikämpfe, viele davon nach hohen Anspielen in der Luft. Er ist deshalb auch der Spieler, der in die meisten Kopfballduelle muss. Nur fünf Spieler in der Zweiten Liga gingen bislang häufiger in ein Luftduell.

Schäffler ist zwar kein reiner Verwerter– unter den Stammspielern kommt er auf die höchsten Werte in Sachen Steckpässe – doch er ist durchaus in erster Linie das, was man einen bulligen Stoßstürmer nennen kann. Wenn man ihn ausschaltet, kommt ein Großteil des Spiels der Wiesbadener zum Erliegen, auch wenn auch Spieler wie Ex-Cluberer Maximilian Dittgen und Stefan Aigner, die Schäffler über die Flügel unterstützen, bisweilen für Gefahr sorgen können.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 29. November 2019 unter dem Titel „Stumpfe Nadelstiche“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 40.

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Taktiktafel: Fürth (A)

Der Trainer…

…  ist gebürtiger Münchner und spielte zwei Jahre für den Club. Zwischen 1999 und 2001 lief Stefan Leitl für den FCN auf, es folgten Stationen in Unterhaching, Darmstadt und Ingolstadt. Dort blieb der 42-Jährige hängen. Er spielte sechs Jahre für die Schanzer und wechselte dann in den Trainerstab. Nach der U17 und U23 übernahm Leitl im August 2017 die Profis der Oberbayern. Sein erstes Spiel: Ein 1:0 Sieg in Fürth. Am Ende der Saison war der FCI Neunter und startete in die nächste Spielzeit mit nur einem Sieg aus sieben Pflichtspielen. Nach elf Jahren ging Leitls Zeit in Ingolstadt zu Ende, er wurde entlassen. Sein Nachfolger Alexander Nouri hielt sich nur acht Spiele im Amt und wurde abgelöst von: Jens Keller, dem neuen Trainer des FCN.

Leitl hatte in Ingolstadt lange mit einer recht klaren Grundordnung Erfolg, ließ sein Team offensiv im 4-3-3 spielen und hielt sich bis in die Schlussphase der Saison 2017/18 in Tuchfühlung mit dem Aufstiegsrelegationsplatz, ehe man nach einem 1:1 gegen den Club abreißen lassen musste. Erreicht hatte das Leitl mit einem Team, das oft aufs Tor schoss, den Ball oft in Tornähe an den Mann brachte und extrem intensives Pressing spielte.

Die Grundordnung…

…  ist in Fürth nun nicht mehr allein auf ein offensives 4-3-3 festgelegt. Die Formation ist zwar immer noch im Repertoire wird aber zu Hause durch ein 4-4-2 mit Raute und auswärts durch ein 4-2-3-1 ergänzt.  Ob Leitl erneut aufs 4-4-2 setzt, dürfte auch davon abhängen, wie er den Club unter Jens Keller erwartet. Wenn dieser das Flügelspiel – wie bei seinen bisherigen Stationen – betont, ist die zentrumslastige Raute womöglich das falsche Mittel. Dann könnte Leitl sein Team ebenfalls im 4-3-3 auf Feld schicken. Dies wäre angesichts der Probleme, die der FCN in der Defensive in Sachen Antrittsgeschwindigkeit hat, bei Spielern wie Hrgota oder Green durchaus eine gangbare Alternative.

Andere Dinge sind dagegen ähnlich wie in Ingolstadt: Das Pressing ist immer noch eines der intensivsten der Liga und Leitls Team schließt seine Angriffe weiterhin oft von außerhalb des Strafraums ab. Die durchschnittliche Entfernung eines Fürthers beim Schuss aufs Tor sind 20,3 Meter und damit fast zwei Meter weiter vom Tor weg, als der durchschnittliche Abschluss in der Zweiten Liga.

Das ist insofern bemerkenswert, da statistisch Schüsse von außerhalb des Strafraums nur eine Trefferwahrscheinlichkeit von 4% haben. Der FCN liegt mit 20,2 Metern übrigens nicht wesentlich näher am Tor als das Kleeblatt, es könnte am Sonntag also durchaus ein Weitschussfestival geben. Ungefähr die Hälfte aller ihrer Schüsse geben beide Teams von außerhalb des Strafraums ab. Ebenfalls wahrscheinlich: Viel Fouls. Nicht nur, weil es ein Derby ist, sondern auch, weil Fürth sowohl die Mannschaft mit den meisten Fouls ist, als auch die Mannschaft, die am meisten gefoult wird.

Die letzten Spiele…

…  hat Fürth zu Hause fast immer überzeugen können, während man auswärts Probleme hatte. Vier Siege zu Hause in sechs Spielen, davon kann der bislang zu Hause erst einmal erfolgreiche FCN nur träumen. Fürth tritt vor heimischem Publikum dominanter auf, steht breiter und spielt aktiver. Das lässt sich auch statistisch erfassen: Fast sechzig Pässe mehr spielt das Kleeblatt am Ronhof als auswärts, 53% Ballbesitz statt 45%, etwa 5% mehr gewonnene Zweikämpfe und ein um 20% höherer Pressingdruck.

Womit Fürth auswärts wie zu Hause zu kämpfen hat, ist die geringe Körpergröße seiner Abwehrspieler. Aus der derzeitigen Stammabwehrreihe Wittek, Mavraj, Caligiuri und Meyerhöfer ist lediglich Mergim Mavraj (1,89m) größer als 1,80m. Auch darüber hinaus überschreiten viele Akteure wie Green, Ernst, Leweling, Sarpei oder Stefaniak nicht jene Marke. Hier ergeben sich für den Club, der mit Erras (1,96m), Sörensen (1,91m), Frey (1,90m), Mühl (1,89m) und Behrens (1,88m) jede Menge hochgewachsene Spieler in seinen Reihen hat, Vorteile, die sie allerdings auch auszunutzen wissen müssen. So hat der FCN auswärts bereits sieben Tore nach Standards erzielt, Fürth allerdings insgesamt erst ein Standardgegentor kassiert. Vor zwei Wochen durch Behrens; allerdings durch Kevin Behrens von Sandhausen.

Der Schlüsselspieler …

… hat das Fußballspielen in die Wiege gelegt bekommen. Paul Seguin ist der Sohn eines veritablen Europapokalsiegers. Vater Wolfgang war Nationalspieler, mit dem 1.FC Magdeburg dreimal Meister, fünfmal Pokalsieger und gewann den Europapokal der Pokalsieger. Der Filius darf sich ganz offiziell DFB-Pokalsieger nennen. Mehr als eine Minute Einsatzzeit im Achtelfinale der Pokalsiegersaison des VfL Wolfsburg hat der 24-Jährige aber nicht zu Dieter Heckings einzigem ernstzunehmenden Titel beigetragen. Daher hatte der VfL Wolfsburg ihn auch schon nach Dresden und Fürth ausgeliehen, ehe er im Sommer fest an den Laubenweg wechselte.

Dort spielt Seguin unter Leitl eine zentrale Rolle. Egal wie Leitl aufstellt, Seguin ist immer auf der Sechs zu finden, ist dabei der Mittelfeldspieler mit den meisten Ballgewinnen und der Spieler des Kleeblatts mit den meisten Pässen. Auch wenn Seguin noch ohne Torvorlage ist, ist der Mittelfeldmann doch an erfolgreichen Angriffen beteiligt. Seguin ist der Fürther Spieler mit den meisten „Second“ und „Third Assists“, also den meisten Vorlagen zu Torvorlagen. Gleichzeitig wackelt Seguin aber immer wieder in der Rückwärtsbewegung, gewinnt gegen den Ball nur knapp 46% seiner Zweikämpfe und nur 38% seiner Luftduelle, so dass er mit gezieltem, aggressivem Anlaufen unter Druck zu setzen ist, wodurch die Stabilität der Fürther Defensive in Gefahr gebracht werden kann.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 22. November 2019 unter dem Titel „Nicht besonders groß, aber gefährlich“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 30.

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Kurzporträt: Jens Keller

Der Club hat einen neuen Trainer, rechnet man die Interimstrainer mit, ist Jens Keller der fünfte Übungsleiter am Valznerweiher im Jahr 2019. Auch wenn Keller in der Antrittspressekonferenz betonte, dass sich das System immer an die Spieler anpassen müsse, lassen sich taktisch gewisse Linien feststellen, die Keller in seiner Arbeit immer wieder zeigt.

„Was Jens Keller bei Union schnell gelungen ist, war die Ausrichtung der Mannschaft auf eine bestimmte Spielidee. Die bestand damals eben in Pressing und Gegenpressing, mit einigen sichtbaren Regeln für das Spiel nach Ballgewinnen“, erklärt Daniel Roßbach. Roßbach ist Journalist und analysiert die Spiele von Union Berlin taktisch. Er hat Keller eineinhalb Jahre in Berlin begleitet und kennt die taktische Ausrichtung Kellers damit sehr gut, auch wenn er betont, dass man sich „immer etwas damit zurückhalten muss, aus der vergangenen Arbeit von Trainer*innen mit absoluter Sicherheit auf ihre zukünftige Arbeit zu schließen.“

Die Daten unterstützen das Bild vom Trainer, der auf Pressing wert legt. Der durchschnittliche Pressingdruck unter Keller lag sowohl in Berlin als auch in Ingolstadt bei sieben zugelassen gegnerischen Pässen pro eigener Defensivaktion. Der Club kommt bisher in dieser Saison durchschnittlich auf einen Wert von elf. In Kellers 62 Zweitligaspielen hatten seine Teams genau dreimal einen Wert der über dem diesjährigen Durchschnittswert des 1. FC Nürnberg lag.

Roßbach gibt im Gespräch gleichzeitig zu bedenken: „Die taktische Schwäche von Keller in seiner Zeit bei Union lag dann vor allem darin, diese Spielidee weiterzuentwickeln. Es ist nicht gelungen, neue Lösungen zu entwickeln, als sich der Rest der Liga auf Union eingestellt hatte. Das war letztlich auch ein großer Teil der Entscheidung des Vereins, sich von ihm zu trennen.“

Keller selbst betonte in seinen ersten Worten als Trainer in Nürnberg des Weiteren, dass er Wert auf schnelles Umschaltspiel „in beide Richtungen“ wert legt. Damit meint der 48-Jährige, dass eben nicht nur Tempo beim Spiel in die Spitze gefragt ist, sondern auch in der Bewegung hinter den Ball. Genau letzterer Aspekt hat auch schon Damir Canadi vor Probleme gestellt, da es den Abwehrspielern des FCN an relativer Geschwindigkeit mangelt.

In der Offensive sieht dies etwas anders aus: Mit Robin Hack und Felix Lohkemper hat der FCN zwei außergewöhnlich schnelle und antrittsstarke Angreifer. Diesen könnte bei konsequenter Umsetzung von Kellers Ideen daher eine besondere Rolle zukommen. Bei seinen bisherigen Stationen legte Keller nämlich im Spiel nach vorne stets Wert auf tiefe Bälle und scheute daher nicht davor zurück, den langen Ball spielen zu lassen, auch um möglichst schnell in Richtung gegnerisches Tor zu kommen. Auch hier sind die Werte aus Ingolstadt und Berlin fast deckungsgleich, ungefähr jeder siebte Pass von Kellers Mannschaften war ein langer Pass. Dies war durchaus erfolgreich, erklärt auch Daniel Roßbach: „Kellers Mannschaft hatte für das Spiel nach Ballgewinnen schon gute Mechanismen: dazu, das Ziel auf die Grundlinie zu kommen und von dort produktive Ablagen zu spielen.“

Im Gegensatz zu Damir Canadi, dessen idealer Fußball ja auch möglichst schnelles Umschalten beinhaltete, verzichtet Keller aber nicht gänzlich auf Ballbesitzphasen. Zwar tun sich Kellers Mannschaften ohne Ball oft etwas leichter, da ihnen – wie fast allen Zweitligisten – die Mittel fehlen, um tief stehende Gegner auseinanderzuspielen, sie kommen aber dennoch auf relativ hohe Ballbesitzzeiten. Ingolstadt hatte unter Kellers Leitung in der Hälfte der Spiele 55% Ballbesitz oder mehr, kam auf durschnittlich 53% Ballbesitz. In Berlin lagen die Zahlen etwas niedriger: 51,7% Ballbesitz und 40% aller Spiele mit mehr als 55% Ballbesitz.

Doch wie ist es um das bestellt, was Keller am Mittwoch auch als neuralgische Stelle ausgemacht hat: Die Defensive. Der Club hat die meisten Gegentore der Liga kassiert und auch wenn die statistischen Daten mit ungefähr 17 statistisch zu erwartenden und 27 tatsächlichen Gegentore sowie den zweitwenigsten Schüssen aufs eigene Tor einen Teil Pech implizieren, lässt sich die Tatsache, dass dort viel im Argen liegt nicht leugnen. Der Gegentorschnitt von Keller lag in Berlin (1,24) und Ingolstadt (1,33) deutlich unter dem des FCN in dieser Saison (2,07). Dessen Wert liegt ungefähr dort, wo Ingolstadts Schnitt auch lag, als Keller im Dezember 2018 übernahm. Er schaffte es dort also in diesem Bereich schnell eine signifikante Verbesserung herzustellen.

Roßbach charakterisiert Kellers Defensivarbeit in Berlin als „ziemlich stabil“ hebt aber auch hervor, dass dies viel mit der prägenden Person von Innenverteidiger Toni Leistner zu hatte und fügt an: „Ansonsten hatte natürlich auch das Pressing eine defensive Funktion.“ Dies bedeutet, dass ein Pressing durch die Angreifer, die vorne Druck ausüben natürlich den Spielaufbau des Gegners behindert, dieser so weniger Ordnung in sein Spiel bringen kann und insgesamt weniger gefährlich agiert.

Angegangen ist Keller dieses System sowohl in Ingolstadt als auch in Berlin meist in einer 4-3-3-Formation. Behält er das in Nürnberg bei, so müssten sich die Spieler dahingehend wenig umstellen, da die Übergänge zwischen Canadis 4-1-4-1 und Kellers 4-3-3 in Sachen Formation fließend sind. Generell lässt sich feststellen, dass viele Dinge, die Kellers Wunschvorstellung entsprechen, sich auch in Canadis Ideen wiederfinden ohne dass sie völlig deckungsgleich sind.

Ob dies gut für die Mannschaft ist, weil keine völlige Umgewöhnung stattfinden muss oder schlecht, weil sie sich mit Canadis Ideen sehr schwertat, wird sich zeigen müssen. Ein Saisonende wie in Berlin, wo Keller seine erste Saison auf Platz vier beendete, dürfte ihr jedenfalls lieber sein als das in Ingolstadt, welches inzwischen in der Dritten Liga spielt.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 15. November 2019 unter dem Titel „Zumindest für den Anfang eine gute Idee“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 30.

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Taktiktafel: Bielefeld (H)

Der Trainer…

…  wunderte sich vor zwei Jahren noch, ob Zeitspiel zur DNA des 1. FC Nürnberg gehöre. Damals war Uwe Neuhaus Trainer von Dynamo Dresden und hatte gerade 2:1 beim späteren Aufsteiger verloren. Inzwischen ist der 59-Jährige seit elf Monaten Trainer von Arminia Bielefeld. Neuhaus zählt mit 285 Spielen als Zweitligatrainer und 200 als Coach in der Dritten Liga zu den erfahrensten Trainern Deutschlands, die noch nie Bundesliga trainiert haben.

Etwas, das Neuhaus, der als Spieler über 100-mal für Wattenscheid im Oberhaus auflief, nach dieser Spielzeit ändern möchte. „Wenn sich die Chance bietet, muss man einfach zugreifen“, sagte Neuhaus gegenüber der WAZ, auch wenn er sich noch gegen die Bezeichnung Spitzenteam für den Tabellenzweiten wehrt: „Die Ansätze sind da. Aber um ein Spitzenteam zu sein, gehört ein kleines bisschen mehr dazu.“

In einer Tabelle des Kalenderjahres 2019 ist die Arminia aber definitiv ein Spitzenteam. Niemand hat mehr Punkte geholt als die Ostwestfalen und dies ist auch ein Verdienst von Uwe Neuhaus. Der hat aus der Arminia, die unter Saibene meist den Ball einfach lang auf Fabian Klos schlug, der den Ball dann auf Andreas Voglsammer ablegte oder selbst verarbeitete, eine dominante Ballbesitzmannschaft gemacht.

Die Grundordnung…

…  betont diese Idee. Der Ball soll möglichst lange in Abwehr und Mittelfeld zirkulieren, bis sich eine Gelegenheit auftut, ihn gezielt ins Angriffsdrittel zu verlagern. Dabei hilft phasenweise auch ein taktischer Kniff, den kaum ein Team in der zweiten Liga anwendet. Die normale Herangehensweise der meisten Teams beim Aufbau über die Innenverteidiger ist es, einen Mittelfeldspieler in die Aufbaureihe zurückzuziehen, so dass sich die Innenverteidiger den Ball nicht über 50 Meter quer zuspielen müssen – auch wenn selbst dies ab und zu passiert. Ist dieser Mittelfeldspieler ein defensiver Mittelfeldspieler, ist dies der berühmt berüchtigte abkippende Sechser.

Bielefeld verzichtet in der Regel auf einen solchen abkippenden Sechser und zieht stattdessen Torwart Daniel Ortega in die Aufbaureihe vor. Der Fachbegriff hierfür ist leider nicht „vorkippender Einser“, sondern das eher uninspirierte Torwartkette. Der Vorteil der Torwartkette liegt auf der Hand, im Mittelfeld ist eine Anspielstation mehr frei als beim abkippenden Sechser, gleichzeitig steht der Torwart natürlich bis zu 25 Meter vor seinem Tor, so dass ein gezieltes Pressing des Torwarts zu gefährlichen Situationen führen kann. Bielefeld verzichtet deshalb gegen Teams mit frühem Pressing phasenweise auch auf die Torwartkette.

Ein anderes Charakteristkum des Bielefelder Spiels ist seine hohe Körperlichkeit. Die Ostwestfalen spielen dabei nicht unfair. Sie begehen pro Spiel ungefähr zwölf Fouls und liegen damit im Mittelfeld der Liga. Vielmehr setzen sie ihre vorhandene Physis zu ihren Gunsten ein. Überhaupt sind die Bielefelder ein gutes Beispiel dafür, dass statistische Werte nur bedingt Aussagekraft haben: In vielen Kategorien steht die Arminia im Mittelfeld, in der Tabelle aber weit vorne.

Die letzten Spiele…

…  hat die Arminia in der Liga mit Ausnahme des Heimspiels gegen Stuttgart nicht verloren. Das Spiel gegen den VfB stellt bisher die einzige Niederlage Bielefelds im Ligabetrieb dar. sieben Siege und vier Remis, die drittwenigsten Gegentore und die zweitmeisten Tore runden das Bild der Spitzenmannschaft ab. Allerdings stotterte die Angriffsmaschine in den letzten Wochen ein wenig, in den letzten fünf Spielen erzielte man nur einmal mehr als ein Tor: letzten Sonntag gegen Kiel.

Uwe Neuhaus hat in diesen letzten Partien zwar nicht an der Grundidee des Spiels geschraubt, aber sein Team in einer ganzen Reihe an Formationen aufs Feld geschickt: 4-2-3-1, 4-4-1-1, 4-4-2 flach, 4-4-2 Raute. Wobei das meist nur für das Spiel mit dem Ball galt, gegen den Ball operiert Bielefeld dann meistens doch mit einem flachen 4-4-2. Die hohe Flexibilität und Adaptionsfähigkeit in Sachen Gegner ist dennoch eine der Stärken der Arminia, die sowohl gegen Ballbesitzteams wie Dresden als auch gegen Konterteams wie Regensburg oder Defensivkünstler wie Osnabrück gewinnen konnte.

Der Schlüsselspieler …

… ist Topscorer der Zweiten Liga. Mit acht Toren und fünf Vorlagen war Fabian Klos an mehr als der Hälfte aller Bielefelder Tore beteiligt. Der 31-Jährige ist in seiner neunten Spielzeit für die Arminia, in sechs der Saisons traf er zweistellig und ist auf dem besten Wege eine siebte hinzuzufügen. Natürlich ist Klos auch Kapitän der Ostwestfalen. Er ist natürlich der Spieler im Team mit den meisten Ballberührungen im gegnerischen Strafraum und ligaweit der Angreifer mit der höchsten Quote an Schüssen, die aufs Tor gehen (58%).   

Der wuchtige Stürmer ist mit 1,94m Größe und 93 Kilogramm Gewicht für das physische Spiel der Arminia natürlich prädestiniert: In der gesamten Zweiten Bundesliga erhält kein Stürmer mehr lange Zuspiele als Klos. Schafft man es, wie der VfB Stuttgart, gegen den er nur zwei Ballkontakte im Strafraum hatte, Klos aus dem Spiel zu nehmen, hat man gute Chancen auf den Erfolg. Es ist allerdings kein leichtes Unterfangen den Routinier zu bändigen.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 8. November 2019 unter dem Titel „Wuchtig und dominant“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 360.

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Taktiktafel: Bochum (A)

Der Trainer…

…  war Anfang September noch Trainer der U19 des VfL Wolfsburg. Dann wurde Robin Dutt beim VfL Bochum entlassen, nachdem er zuvor seinen Rücktritt angeboten hatte und an der Castroper Straße hieß es, ganz nach Helge Schneider: „Es gibt Reis, Baby.“ Der 46-Jährige war als Profi acht Jahre beim VfL tätig gewesen und von 2011 bis 2016 in verschiedenen Funktionen, u.a. Co-Trainer von Gertjan Verbeek, neben dem Platz. 2015/16 ließ er in der U19 der Bochumer einen sehr ähnlichen Stil wie Gertjan Verbeek spielen, was die Verzahnung zwischen Jugend und Profis vereinfachte.

2016 folgte der Wechsel nach Wolfsburg. Dort führte Reis die A-Jugend zweimal in drei Saisons zur Meisterschaft in der Bundesliga Nord/Nordost; in der Saison 2016/17 sogar ohne Niederlage. VfL-Geschäftsführer Sebastian Schindzielorz bezeichnete seinen ehemaligen Mannschaftskollegen, mit dem er 76-mal gemeinsam auf dem Platz stand, branchenüblich als „Wunschlösung“. Unter Teilen der Bochumer Anhängerschaft gab es dennoch Kritik an der Verpflichtung eines Trainers, der noch ohne Erfahrung im Profibereich ist.

Die Grundordnung…

…  ist in Sachen Formation meist ein klassisches 4-2-3-1. Auch in Sachen Stammspieler hat sich Reis schnell auf einen Kern von Akteuren festgelegt, so dass er versucht möglichst viele Routinen einzuschleifen. Es ist interessant zu sehen, dass Reis versucht eines der Probleme des 4-2-3-1, die hohe Laufintensität für die Außenverteidiger dadurch abzuschwächen, dass er sein Team relativ kompakt stehen lässt, um die Abstände zwischen Verteidigung und Mittelfeld zu verringern. Dies ist einer der Faktoren dafür, dass Bochum nach Regensburg die Mannschaft mit den meisten abgefangenen Bällen ist.

Auffällig ist auch, dass Bochums Tore zu mehr als 50% aus zwei Arten von Situationen fielen: Ecken und Elfmeter. Bereits sechs Strafstöße hat der VfL zugesprochen bekommen, zwei wegen Handspiels, drei wegen Foulspiels und einen, weil ein Ersatzspieler, den ins Aus gehenden Ball innerhalb des Felds stoppte. Alle sechs Strafstöße wurden verwandelt. Hinzu kommen fünf Tore nach Ecken und das obwohl Bochum auf die Spielzeit gerechnet die drittwenigsten Ecken erhält.

Drei dieser fünf Tore nach Ecken wurden per Kopf erzielt, aus dem Spiel traf der VfL zwei weitere Mal nach einem Kopfball. Das rührt vor allem daher, dass Bochum eine der flankenfreudigsten Mannschaften der Zweiten Liga ist. Knapp 18-mal pro 90 Minuten schlägt der VfL den Ball hoch in den Strafraum, etwa fünfmal häufiger als der FCN. Auch deshalb ist der VfL eine der Mannschaften, die am häufigsten ins Kopfballduell geht. Er verliert zwar fast 60% dieser Duelle, kann sich aber vor dem Tor dennoch immer wieder entscheidend durchsetzen.

Der Flankenschnitt hat sich unter Thomas Reis schon gesenkt, bei Dutt lag er noch bei 20 Flanken pro Partie. Im Vergleich zu den Spielen unter Dutt hat sich auch das Pressingverhalten verändert. Schon Dutt ließ teilweise intensiv pressen, doch unter Reis hat sich der VfL zum Team mit der zweithöchsten Pressingintensität der Liga (PPDA-Wert: 7,75) gewandelt, etwas das am vergangenen Dienstag auch den FC Bayern München vor Probleme stellte.

Die letzten Spiele…

…  unter Thomas Reis sind ein Paradebeispiel dafür, wie sich Glück und Pech manchmal eben doch auspendeln. Gegen Dresden, Sandhausen und Darmstadt spielte der VfL jeweils Remis, hatte aber deutlich bessere Chancen als die Gegner. Beim Sieg gegen Heidenheim, dem ersten Bochumer Erfolg der Saison überhaupt, und dem Remis gegen Karlsruhe dagegen hatten die Kontrahenten die deutlich höherwertigen Chancen und hätten allein von der Qualität der Gelegenheiten her gewinnen müssen. Einzig die Niederlage in Kiel vor einer Woche entsprach den Kräfteverhältnissen auf dem Platz.

Rechnet man die Spiele unter Robin Dutt mit dazu, so steht Bochum in der Kategorie expected Points deutlich besser da, als bei den tatsächlich erspielten Punkten. 16,5 Punkte wären bei normaler Chancenverwertung der Beteiligten zu erwarten gewesen, es sind aber nur neun. Das liegt aber nicht daran, dass die Bochumer ihre Chancen nicht verwerten, die zwanzig Tore liegen quasi deckungsgleich auf dem xG-Wert von 19,97. Vielmehr kassiert der VfL mehr Tore als er müsste, 24 statt der statistisch zu erwartenden 17,39. Damit treffen am Montagabend die beiden Teams aufeinander, die neben Dynamo Dresden (+6,26) die höchste Diskrepanz zwischen zu erwartenden und tatsächlichen Gegentoren. Der FCN steht nämlich bei 19 statt 13,73.

Der Schlüsselspieler …

… könnte mit 12 Scorerpunkten sicher Silvere Ganvuola sein. Ein anderer ist für die Art und Weise wie Bochum spielt, aber ähnlich entscheidend: Ex-Clubspieler Danny Blum. Der hat sich in Bochum nach seiner für ihn persönlich weitgehend unerfolgreichen Zeit in Frankfurt wieder in den Fokus gespielt. Fünf Tore, davon allerdings drei Strafstöße, hat der 28-Jährige bereits erzielt. Hinzu kommen vier Vorlagen, drei davon durch hereingeschlagene Ecken, eine durch eine Flanke. Für die Art der Tore, die der VfL erzielt, ist Blum also als essentiell wichtig anzusehen.

Deutlich wurde dies auch unter der Woche im Pokal, als Blum zunächst eine Großchance und dann das Bochumer Führungstor durch Hereingaben vom Flügel vorbereitete. Blum ist aber nicht nur in Sachen Auflegen Spitze. Auf die Einsatzzeit gerechnet schießt auch kein Bochumer häufiger aufs Tor. Von den eindeutigen Stammkräften ist Blum darüber hinaus derjenige, der am häufigsten Steckpässe und Pässe, die zu Abschlüssen führen, spielt. Außerdem schlägt er die meisten Flanken, läuft die meisten Dribblings und hat nach Ganvuola die meisten Ballkontakte im Strafraum.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 1. November 2019 unter dem Titel „Die Flankenspezialisten“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 40.