Der Trainer…
… bezeichnet sich selbst als „Kind der Stadt“, ist also ein echter Osnabrücker, selbst wenn er wenige Kilometer außerhalb der Stadtgrenzen in Georgsmarienhütte geboren wurde. Der heute 45-Jährige war bereits als Spieler sechs Jahre beim VfL. Im Oktober 2017 war Thioune Nachwuchskoordinator und U19-Trainer des VfL, als ihm die Nachfolge von Urgestein Joe Enochs angetragen wurde.
Der Start war holprig, drei von vier Spielen als Interimstrainer gingen verloren, darunter ein 2:3 gegen den FCN im Pokal. Dennoch machte die Vereinsspitze Thioune zum Chef und ließ davon auch nicht ab, als der VfL die Saison 2017/18 mit dreizehn Pflichtspielen ohne Sieg abschloss. Das Vertrauen machte sich bezahlt: Ein Jahr später stieg Osnabrück als Drittligameister auf. Ex-Spieler Alexander Dercho macht Thioune für den Erfolg verantworlich: „Der Trainer gibt uns viel Input, neue Ideen und fördert und fordert uns in jedem Training. Er hat der Mannschaft von Anfang an eine Siegermentalität eingeimpft.“ Thioune selbst betont vor Saisonstart jene Siegermentalität: „Wir wollen die Liga nicht nur halten, sondern wir wollen sie bereichern. Ich will über den VfL Osnabrück hören: ‚Schön, dass ihr wieder da seid, und es macht Spaß, euch zuzusehen.'“
Die Grundordnung…
… liegt nicht in der Formation. In den ersten vier Pflichtspielen nutzte der VfL fünf verschiedenen Grundformationen mindestens 30 Minuten lang: 5-4-1, 4-2-3-1, 4-4-2, 3-4-3, 3-4-1-2. Was nach Zahlensalat aussieht, stellt sich als einer der Erfolgsfaktoren in Sachen Aufstieg heraus. Osnabrück reagiert sehr oft auf Entwicklungen im Spiel. Nur knapp die Hälfte aller Spiele wurde mit der gleichen Grundordnung durchgespielt.
Thioune liegt mit seiner Flexibilität im Trend. Auch wenn gegen Ende der vergangenen Saison das Umstellen von Formationen und Systemen während eines Spiels von einigen Bundesligaprofis wie Hoffenheims Kramaric („Wir wechseln zu oft das System während des Spiels. Wir sind nicht bereit dafür.“) scharf kritisiert wurde, gehört das Umstellen der Herangehensweise in Reaktion auf den Gegner inzwischen zum Handwerk vieler Trainer. Wichtig ist es dabei, die Balance zu finden zwischen notwendiger Reaktion und Durchsetzung eigener Vorhaben.
Statt einer steten Grundformation gibt es ein anderes Grundprinzip: Das direkte Spiel nach vorne. Der VfL spielte in vielen Partien um die Hälfte seiner Pässe nach vorne. Die meisten Mannschaften kommen hier nur auf Werte um ein Drittel. Mit den vielen Vorwärtspässen eng verbunden: Osnabrück war Ligaspitze in Sachen angekommene Pässe in Tornähe. Dies bedeutet, dass der VfL viele Pässe nah am Tor zum Mann bringt und sich so natürlich auch mehr Abschlusschancen erspielen kann.
Dementsprechend waren die Niedersachsen auch in Sachen Ballkontakte im gegnerischen Strafraum weit vorne zu finden. Beides Kategorien, in denen der FCN in der Bundesliga 2018/19 am Tabellenende stand und dies auch jetzt nach drei Spieltagen in der Zweiten Liga wieder tut, obwohl es Damir Canadis Ziel eigentlich ist, dies zu ändern.
Die letzten Spiele…
… stellten die Flexibilität der Niedersachsen eindrucksvoll unter Beweis. Gegen Heidenheim spielte der VfL auf Augenhöhe mit, verzichtete aber darauf viel zu pressen. Dennoch hatte er in manchen Phasen sogar häufiger den Ball als die Gäste und war oft per individuellen Aktionen auf den Flügeln gefährlich, verlor aber nach einem Platzverweis das Spiel. In Sandhausen dagegen frustrierte Osnabrück die Gastgeber dagegen damit, dass sie eine deutlich passivere Spielanlage wählten und stattdessen den SVS das Spiel machen ließen. Die Idee war aus einer stabilen Abwehr heraus zu kontern und direkt zu spielen. Sie ging auf: Osnabrück kam per Freistoß zum einzigen Tor des Spiels.
Im Pokal gegen Leipzig und am Montag gegen Darmstadt dagegen wählte Thioune eine andere Herangehensweise: Der Gegner wurde viel und früh unter Druck gesetzt. Während es gegen Leipzig lediglich zu einem Achtungserfolg (2:3) reichte, kam der Gast aus Hessen unter die Räder. Beim 4:0 gegen die Lilien beeindruckte Osnabrück durch die Kombination von Pressing und schnellem Spiel in die Spitze.
Die Schlüsselspieler…
… bilden das Doppelherz des VfL: Bei allen Formationsrochaden bilden Ulrich Taffertshofer und David Blacha eine Konstante. Beide sind Prototypen für das, was Daniel Thioune mit „bei uns ist niemand zufrieden mit dem Ist-Zustand“ beschreibt: Fast alle im Kader hatten Hoffnungen auf größere Karrieren, die sich so nicht manifestierten. Blacha wurde mit Borussia Dortmund U19-Vizemeister, schaffte aber beim BVB nie den Durchbruch und versuchte sein Glück danach in Ahlen und Wehen. Für Taffertshofer ging es bei 1860 München nicht weiter. Er kam über Burghausen und Unterhaching zum VfL.
Fast immer bilden die beiden das zentrale Mittelfeld. Sie verbinden Abwehr und Angriff, egal ob als Doppelsechs im 4-2-3-1 oder als Doppelacht im 4-4-2. Blacha übernimmt dabei den marginal offensiveren Part, spielt etwas mehr Pässe, die zu Abschlüssen führen und etwas öfter ins letzte Spielfelddrittel. Taffertshofer agiert etwas defensiver, führt mehr Zweikämpfe und fängt mehr Balle ab. Ein Ansatzpunkt für den FCN muss es also sein, zu versuchen, jenes Herz des Spiels aus dem Rhythmus zu bringen, um so die Struktur des Osnabrücker Spiels zu unterbrechen.
Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 23. August 2019 unter dem Titel „Flexibilität, die Spaß macht“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.