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Taktiktafel: Darmstadt (A)

Der Trainer…

… ist in seiner ersten Station als Profitrainer. Dimitrios Grammozis war zuvor fünf Jahre lang in verschiedenen Funktionen beim VfL Bochum tätig, ehe ihn Darmstadt als Nachfolger von Dirk Schuster engagierte. Gleich in der Pressekonferenz zum Amtsantritt legte der 40-Jährige seine Fußballphilosophie dar: „Ich bin ein Trainer, der nicht so gerne in eine Schublade gesteckt wird. Man muss sich immer an die Gegebenheiten anpassen. Aber darüber hinaus ist es am wichtigsten, Lösungen für das nächste Spiel zu finden.“

Dieser eher pragmatische Ansatz zeigte Wirkung. Nachdem unter Schuster in 22 Spielen 23 Punkte geholt wurden, fuhren die Lilien unter Grammozis 2018/19 in elf Spielen 20 Punkte ein. In jenem Zeitraum waren nur Sandhausen und Bielefeld besser. In Grammozis‘ Pragmatismus war auch beinhaltet, dass er nicht versuchte, der Mannschaft den typischen „Dirk-Schuster-Fußball“, d.h. defensive Stabilität, offensiv langer Hafer, auszutreiben, sondern baute darauf auf.

Die Grundordnung…

… soll nun aber so langsam wegführen vom klassischen Fußball wie ihn Schuster in zwei Amtszeiten in Darmstadt mit unterschiedlichem Erfolg spielen ließ. Grammozis legt zwar weiter wert auf die Defensive, versucht aber in der Offensive mehr flaches Passspiel und kontrollierten Aufbau zuzulassen. Dabei ist auffällig, dass das Spiel sehr darauf ausgelegt ist, mit Tempo vor das gegnerische Tor zu kommen. Dadurch, dass auf rechts mit Marcel Heller (siehe Schlüsselspieler) ein Spieler mit hoher Endgeschwindigkeit auf dem Platz steht, wird der Spielaufbau fast zwangsläufig extrem rechtslastig.

In Sachen Grundformation wechselt Grammozis zwischen einem flachen 4-4-2 und dem klassischen 4-2-3-1. Beide Formationen wirken aber durch die Rechtslastigkeit des Spiels oft assymetrisch, da Heller in der Regel deutlich offensiver agiert als Skarke. Abhängig davon wie der Rechtsverteidiger auf den Vorwärtsdrang reagiert, ergeben sich entweder direkt hinter Heller im Mittelfeld – falls der Rechtsverteidiger nicht konsequent nachschiebt, wozu Herrmann neigt – oder hinter dem Rechtsverteidiger – falls er nachschiebt, wozu Egbo neigt – Räume, die man ausnutzen kann.

Gegen Sandhausen spielte Heller überraschend auf der linken Seite. Ob das nur eine Maßnahme war, um den Sandhäuser Rechtsverteidiger Dennis Diekmeier zu binden oder eine dauerhafte Umstellung, bleibt abzuwarten.

Die letzten Spiele…

… blieb der SV Darmstadt 98 torlos. Das letzte der insgesamt nur drei Saisontore fiel am zweiten Spieltag gegen Holstein Kiel per Strafstoß. Ohne Hilfe durch einen schweren Fehler des Gegners haben die Lilien noch gar keinen Treffer erzielt. Sucht man für die Gründe der offensiven Probleme der Hessen findet man sie schnell in den Aufbaustatistiken: Darmstadt hat nicht nur den geringsten Ballbesitz der Liga, es spielt auch die wenigsten und ungenausten Pässe ins letzte Spielfelddrittel.

Hinzu kommt, dass jene Adjektive, auch für die Pässe, die zu substantiellem Raumgewinn führen, zutreffen. Darüber hinaus hat Darmstadt den höchsten Anteil an Ballbesitzphasen, die 5 Sekunden oder kürzer dauern. Sprich: Darmstadt hat den Ball schon nicht sonderlich oft und dann ist er oft auch schnell wieder weg. All das hat zur Folge, dass Darmstadt zu selten in Abschlusssituationen kommt: An den ersten fünf Spieltagen hatte kein Zweitligist weniger Ballberührungen im gegnerischen Strafraum und nur zwei Teams (Regensburg und St. Pauli) schossen seltener aufs Tor.

Zu den offensiven Problemen kommt beim Clubgegner vom Sonntag aber auch eine gewisse defensive Passivität: Darmstadt kommt statistisch auf die geringste Pressingintensität, die schwächste Zweikampfquote bei Defensivzweikämpfen und die wenigsten Balleroberungen, sowohl insgesamt als im Mittelfeld, wo die Balleroberungen für die Spielkontrolle besonders wichtig sind. Es verwundert also nicht, wenn nur ein Verein (Heidenheim) mehr Torschüsse zulassen musste.

Der Schlüsselspieler…

…  hat seinen eigenen Reim: „Keiner ist schneller als Marcel Heller“. Rein faktisch kommt die Aussage der Wahrheit sogar nah: Heller wurde regelmäßig mit mehr als 35 km/h Höchstgeschwindigkeit gemessen. So verwundert es auch nicht, dass viele Aspekte des taktischen Vorgehens von Darmstadt in dieser Spielzeit bisher darauf beruhten, die Schnelligkeit des 33-Jährigen – und seines zehn Jahre jüngeren Pendants auf der Gegenseite, Tim Skarke – auszunutzen.

Das führt dazu, dass Heller, obwohl nominell in der Regel rechter Mittelfeldspieler, in den realtaktischen Aufzeichnungen der Positionen während des Spiels auf Höhe der vordersten Angriffslinie zu finden ist. So ist Heller dann auch mit weitem Abstand der Darmstädter mit den meisten Flanken, den meisten erfolgreichen Dribblings und meisten gelungenen Offensivaktionen. Selbst zum Abschluss kommt der Ex-Frankfurter aber kaum: Es stehen lediglich zwei Torschüsse zu Buche.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 13. September 2019 unter dem Titel „Deutlich rechtslastig“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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