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Taktiktafel: Heidenheim (A)

Das Hinspiel …

… war so etwas wie das Schlüsselspiel der Hinrunde. Der FCN hatte die Heidenheimer über knapp 80 Minuten kontrolliert, führte durch zwei Tore von Dovedan und Geis mit 2:0, 24:7 Torschüsse standen bis dahin zu Buche und der Club war auf dem Weg zum dritten Sieg im fünften Spiel. Vier Minuten und zwei Heidenheimer Torschüsse durch Dorsch und Schimmer später stand es 2:2 und der Club hatte im zweiten Spiel in Folge durch ein spätes Gegentor Punkte verspielt, ein Muster, das im Rest der Saison immer wiederkehren sollte.

So oft wie in diesem Hinspiel – am Ende waren es 27 Abschlüsse – hat der FCN in dieser Saison nie wieder aufs gegnerische Tor geschossen, eine so hohe Quote an Positionsangriffen, die zu Schüssen führten (41 Prozent), hatte der Club auch nicht mehr in dieser Spielzeit. Das lag auch daran, dass die Passgenauigkeit der Mannschaft bei Pässen ins Angriffsdrittel nie wieder so hoch war wie an diesem Abend spät im August.

Anders seitdem ist, …

… dass der FCN in diesen Kategorien seitdem nicht wieder in diese Höhen gekommen ist, während sich der Gegner hinter der Tabellenspitze festgespielt hat. Vor dem Spiel in Nürnberg hatte Heidenheim nur eins der ersten vier Saisonspiele gewonnen, es folgten acht Spiele, in denen der FCH nur eins verlor. Das Comeback im Max-Morlock-Stadion war so etwas wie eine Inititalzündung für Frank Schmidt und seine Mannschaft. In den sechzehn Spielen seitdem hat nur Bielefeld mehr Punkte geholt als Heidenheim, das jetzt als Vierter vier Punkte hinter dem Aufstiegsrelegationsrang sitzt.

Geschafft hat das Team das vor allem durch seine Defensive. Seit dem Hinspiel hat Heidenheim nur noch zwölf Gegentore kassiert, so wenig wie kein anderes Team der Liga. Der Wert des FCN in dieser Phase: 29. Das liegt zum einen an der hohen personellen Konstanz in der Abwehr, seit Anfang Oktober spielt die Viererkette mit konstant mit demselben Personal: Marnon Busch, Oliver Hüsing, Patrick Mainka und Norman Theuerkauf. Letzterer ist der einzige, der ab und zu durch Jonas Föhrenbach ersetzt wird, wenn er im zentralen Mittelfeld gebraucht wird.

Dass Theuerkauf ab und zu im Mittelfeld aushelfen muss, liegt auch daran, dass Frank Schmidt inzwischen weitgehend vom 4-4-2 mit Raute, das er noch im Hinspiel spielen ließ, abgekommen ist. Stattdessen wechselt der FCH zwischen einem 4-1-4-1 und einem 4-2-3-1, agiert also ähnlich wie der Club in den Spielen seit der Winterpause.

Statistisch auffällig beim Gegner …

… ist eigentlich nichts außerhalb der geringen Anzahl der Gegentore. Der FCH ist der beste Beweis, dass sich nicht alles statistisch messen lässt und dass im Fußball Erfolg am Ende an den Toren gemessen wird. Fast alle relevanten Kategorien besetzt Heidenheim nämlich im mittleren Bereich. Man presst nicht besonders aggressiv, spielt nicht besonders viele tiefe Pässe, schießt nicht besonders oft aufs Tor, hat nicht besonders viele Ballkontakte im Strafraum.

Das einzige was, sofern man sich auf Zahlen aus dem Analyticsbereich verlassen will, auffällt, ist dass Heidenheim deutlich weniger Tore kassiert hat, als man gemessen an der Chancenqualität der Gegner hätte kassieren sollen. Das liegt zum Teil daran, dass man den Gegner zu schlechten Abschlüssen zwingt – nur bei zwei Mannschaften ist die Abschlussqualität der gegnerischen Schüsse noch schlechter – das liegt aber auch an Torwartleistungen und – ganz prosaisch – daran, dass man etwas mehr Glück hatte als andere Mannschaften.

Der Hipster-Spieler …

… versteckt sich in der Heidenheimer Defensive. Patrick Mainka kam im Sommer 2018 von Borussia Dortmunds Zweitvertretung und ist seitdem nahezu unumstrittene Stammkraft an der Brenz. Dabei sticht er nicht nur daraus heraus, dass er als Innenverteidiger in 57 Pflichtspielen erst eine Gelbe Karte kassiert hat. Mit 0,6 Fouls pro 90 Einsatzminuten ist Mainka der fairste Verteidiger des FCH, obwohl er pro Spiel mehr als 17 Zweikämpfe führt. Er gewinnt trotz der fairen Spielweise über 70 Prozent seiner Zweikämpfe gegen einen ballführenden Spieler, teaminterner Bestwert.

Mainka fängt aber nicht nur Bälle im Duell oder durch Positionsspiel ab, er verteilt sie auch. Kein Feldspieler im Team hat eine bessere Quote bei den Vorwärtspässen als Mainka (85 Prozent). Mainka ist der Aufbauspieler im Team, spielt mehr Pässe als jeder andere und im Gegensatz zu vielen anderen Innenverteidigern besteht sein Passrepertoire sogar zu ungefähr der Hälfte aus Vorwärtspässen. Der 25-Jährige ist unauffällig, gehört aber mit seiner ruhigen Art zu den zentralen Figuren des Heidenheimer Erfolgs

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 14. Februar 2020 unter dem Titel „Schwaben im Glück“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.

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Taktiktafel: Heidenheim (H)

Der Trainer…

… hat sein erstes Spiel als Trainer in Nürnberg mit 6:1 verloren. Im Dezember 2008 trat der Aufsteiger Heidenheim in der Regionalliga Süd bei der Zweitvertretung des FCN an und kam böse unter die Räder. Damals wie heute auf dem Platz: Marc Schnatterer und Enrico Valentini. Damals wie heute neben dem Platz: Frank Schmidt. Seit 2007 betreut Schmidt den FC Heidenheim, stieg dreimal auf und nie ab. Dass der gebürtige Heidenheimer als junger Spieler sogar einen Einsatz für den FCN im DFB-Pokal hatte und zwei Jahre später tatsächlich mit dem TSV Vestenbergsgreuth den FC Bayern aus dem Pokal kegelte, wirkt daher fast unwirklich.

Schmidt hat schließlich seine Nische in Heidenheim gefunden und ist inzwischen der am längsten amtierende Trainer im deutschen Profifußball. Immer wieder hebt Schmidt in Interviews hervor, dass das Fachliche (Taktik, Trainingslehre, Sportwissenschaft) für ihn zwar wichtig sei, das Menschliche und die Kommunikation aber an erster Stelle stehe. Wer Schmidt als Protagonisten des Films „Trainer!“ von Aljoscha Pause erlebt hat, der weiß, dass dies keine Worthülsen sind. Schmidt sucht das Gespräch mit seinen Spielern und Mitarbeitern, versucht die Idee des „familiären Clubs mit professionellen Strukturen“ zu leben.

Diese Einstufung bedeutet nicht, dass Schmidt nicht auch Vorstellungen davon hat, wie der Fußball auszusehen hat, den seine Mannschaft spielt. Er versucht nur, wie eigentlich alle lange Zeit erfolgreichen Trainer, die Balance zwischen Taktik und Motivation, zwischen Herz und Verstand zu finden.

Die Grundformation…

… sucht der bekennende Pragmatiker Schmidt nach zahlreichen prominenten Abgängen noch. Ungewöhnlich oft wechselte Frank Schmidt die Grundformationen, probierte viel aus, setzte in Dresden sogar erstmals seit mehr als drei Jahren bei Anpfiff auf eine Dreierkette. In der Regel aber ist die Grundordnung bei Heidenheim ein 4-4-2, bei welchem dem Gegner mehr Ballbesitz hat und Heidenheim nach Balleroberung schnell kontert. In Sachen Ballbesitz waren die Brenzstädter seit dem Aufstieg 2014/15 stets am Tabellenende zu finden, in der echten Tabelle dagegen nie schlechter als Rang 13.

Schmidt fasst diese Haltung dann gegenüber der „Zeit“ auch selbstreflektiert zusammen: „Mein Fußball ist kein Ballbesitzfußball, es soll bei mir in beide Richtungen so schnell wie möglich gehen. Wir schießen viele Kontertore, generell fallen bei uns viele Tore. Mein Ziel ist es, immer aktiv zu sein, ein Spiel nie nur zu verwalten.“

Die letzten Spiele…

… waren eher ernüchternd. Auf einen Auftaktsieg gegen Osnabrück, der allerdings von einem Platzverweis gegen den Aufsteiger begüngstigt war, folgte ein spätes 2:2 gegen Absteiger Stuttgart. Nach dem 2:0-Sieg gegen Ulm im Pokal setzte es dann aber zwei Niederlagen in Dresden und zu Hause gegen Heidenheim.  Eines der Grundprobleme bisher: Die Formation im Sturm ist noch nicht gefunden. Mit Glatzel (Cardiff City) und Neu-Nürnberger Dovedan hat Heidenheim seine beiden Stammkräfte im Angriff und absolute Leistungsträger verloren.

Diese konnten bislang nicht gleichwertig ersetzt werden. Trainer Schmidt hat im Sturm in den letzten Wochen daher einiges ausprobiert: Thomalla und Schmidt mit 4-4-2-Unterstützung, Thomalla alleine im 4-4-1-1, Otto alleine im 4-2-3-1, Otto und Leipertz als Doppelspitze im 3-5-2, Thomalla, Otto und Schimmer als Dreiersturm im 3-4-3 und Schimmer und Thomalla als Doppelspitze im 4-4-2. Eine bevorzugte Ordnung hat sich daraus bisher nicht ergeben. Auch einer der Gründe, warum Heidenheim in den letzten drei Partien lediglich ein einziges eigenes Tor aus dem Spiel erzielte.

Ebenso auffällig: Von den Gegentoren der Heidenheimer, die nicht aus Elfmeter oder direktem Freistoß entstanden, fielen vier von fünf nach Flanken. Etwas anfälliger erscheint hier die rechte Abwehrseite, insbesondere dann, wenn Innenverteidiger Patrick Mainka herausrücken muss, um die Flanken zu verteidigen. Aber auch Rechtsverteidiger Marnon Busch verteidigt derzeit schwach gegen Flanken und versucht damit das Bonmot von Gianluca Vialli, dass der Rechtsverteidiger stets der schlechteste Fußballer auf dem Platz ist, da ein offensivstärkerer Spieler Rechtsaußen und ein defensivstärkerer Spieler Innenverteidiger wäre, zu beweisen. Mit Angriffen über die eigenen linken Offensivseite hat der Club also womöglich einen Ansatzpunkt für seine Angriffe.

Der Schlüsselspieler…

… ist nicht länger der ewige Marc Schnatterer. Das spielende Urgestein ist zwar immer noch wichtig, ist aber bislang noch nicht so recht in Fahrt gekommen. Vier Torschüsse in vier Spielen, kein Tor, keine Vorlage und verhältnismäßig viele Ballverluste deuten darauf hin, dass sich die 33 Jahre bei Schnatterer inzwischen doch bemerkbar machen. Auch wenn die Angriffe in dieser Saison überproportional über links laufen, ist Schnatterer auf der rechten Seite und in der Hierarchie mit seiner Erfahrung immer noch von enormer Bedeutung. Auf dem Platz jedoch ist ein anderer der wichtigste Akteur: Niklas Dorsch.

Vor einem Jahr auch vom Club umworben, entschied sich der 20-Jährige aus der Bayern-Jugend bewusst für einen Wechsel in die Zweite Liga, um dort Spielzeit und Erfahrung zu sammeln. Inzwischen ist er im zentralen Mittelfeld Lenker und Antreiber des Heidenheimer Spiels. Mit herausragenden Passwerten von um die 90 Prozent, die selbst wenn man Quer- und Rückpässe herausrechnet noch bei 80 Prozent liegen, bestimmt Dorsch das Tempo und die Richtung des Spiels. Darüber hinaus ist er auch noch Heidenheims wichtigster Balleroberer, der viele Zweikämpfe sowohl mit als auch gegen den Ball führt.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 30. August 2019 unter dem Titel „Auf der Suche nach einer Grundordnung“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.