Der Trainer…
… wechselte als 24-Jähriger aus Sarajewo in die Oberpfalz. Dreizehn Jahre später ist Mersad Selimbegovic immer noch in Regensburg und immer noch Angestellter des SSV Jahn Regensburg. Bis 2012 war er als Innenverteidiger in Dritt- und Viertklassigkeit aktiv, danach Co-Trainer der zweiten Mannschaft, Cheftrainer der U19, Nachwuchskoordinator und Co-Trainer der ersten Mannschaft. Als sein Chef, Achim Beierlorzer, Regensburg im Sommer Richtung Köln verließ, rechnete man damit, dass Selimbegovic einen neuen Vorgesetzten bekäme: Eine Rückkehr von Markus Weinzierl stand stand ebenso im Raum wie mit Michael Köllner und Boris Schommers zwei ehemalige Clubtrainer. Am Ende entschied sich Jahn-Geschäftsführer Christian Keller dafür Selimbegovic zu befördern.
„Wir wollten sehr vieles sehr ähnlich belassen wie in der Vergangenheit, das gilt explizit auch für die Trainingssteuerung“, begründete Keller den Schritt einen Cheftrainernovizen im Profibereich zu benennen. Denn Selimbegovic war enger Vertrauter von Beierlorzer, der Regensburg als Aufsteiger auf Platz fünf und im vergangenen Jahr dann auf Platz acht führte. In beiden Spielzeiten saß der Bosnier neben dem Mittelfranken und „er steht als Fußballlehrer für die Jahn-Spielidee“, so Keller in der Antrittspressekonferenz.
Die Grundordnung…
… ist dann Teil dieser „Jahn-Spielidee“ und basiert auf einem flachen 4-4-2 als Grundformation. Jene Formation, die Beierlorzer nun auch in Köln wieder verwendet, ist seit dem Aufstieg in die Zweite Liga Standard beim Jahn und wird nur in seltenen Ausnahmefällen verändert. Das bedeutet letztlich auch, dass man sich gut auf die Formation einstellen kann.
Das flache 4-4-2 setzt die beiden zentralen Mittefeldspieler (in der Regel Beschukow und Geipl) unter besonderen Druck, da sie sowohl das Spiel ankurbeln als auch in der Defensive ordnen müssen. Sollte der Club erneut auf ein 4-1-4-1 setzen, hätte er im Zentrum einen Mann mehr, was ihm einen Vorteil verschaffen könnte. Oft wird diese numerische Unterlegenheit dadurch ausgeglichen, dass sich einer der beiden Stürmer (meist der Sturmpartner von Grüttner) ins Mittelfeld fallen lässt.
Beim Jahn wird – unter Selimbegovic sogar noch etwas mehr als unter Beierlorzer – aber auch gern mit dem langen Ball gearbeitet. Fast jeder fünfte Ball, den die Oberpfälzer spielen, ist ein langer. Das Ziel ist es, direkt und schnell in die Spitze zu kommen. Das führt auch dazu, dass Regensburg in den Kategorien Passanzahl pro Ballbesitzphase (2,46) und Pässe pro Minute Ballbesitz (10,5) Ligaschlusslicht ist. Ein durchschnittlicher Ballbesitz von 41,9% ist daher quasi fast logisch.
Gepaart werden diese Faktoren mit einer recht hohen Pressingintensität (drittniedrigster PPDA-Wert der Liga), so dass die Idee tatsächlich bekannt vorkommen könnte. Schnelles und tiefes Passspiel, erfolgreiches Umschaltspiel nach intensivem Pressing. Das alles klingt nach dem, was Damir Canadi in seiner Idealvorstellung auch vorschwebt.
Die letzten Spiele…
… hat der Jahn nach einer Durststrecke mit zwei Niederlagen gegen Stuttgart und in Dresden erfolgreich gestalten können. Gegen den HSV gab’s zu Hause ein 2:2, es folgten zwei Siege in Kiel und gegen Sandhausen. Auffällig war zum einen, dass Regensburg eine enorm gute Chancenverwertung hat. Gegen Sandhausen machte der Jahn aus zwei Schüssen aufs Tor ein Tor, in Kiel aus zwei Schüssen aufs Tor sogar zwei Tore, gleiches galt gegen den HSV. Im Gegensatz dazu muten die Quoten eins aus drei (in Dresden) und zwei aus fünf (gegen Stuttgart) aus den Spielen zuvor fast verschwenderisch an.
Auf die Saison gerechnet haben die Oberpfälzer fünf Tore mehr erzielt als auf Grund ihrer Chancenqualität zu erwarten war. Das liegt auch daran, dass sie seltener als jede andere Mannschaft aufs Tor schießen: 101-mal in 10 Spielen. Dass aus diesen 101 Schüssen 18 Tore entstanden – der FCN braucht für die gleiche Anzahl Tore 148 Schüsse – ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Jahn enorm abschlussstark ist. Auch der Wert von 0.13 xG pro Schuss spricht dafür.
Der Schlüsselspieler …
… ist für diese gute Chancenverwertung mitverantwortlich. Marco Grüttner ist Kapitän, Torjäger und Führungsfigur. Seit seinem Wechsel vom VfB Stuttgart II an die Donau hat Grüttner in jeder Spielzeit – egal ob Zweite oder Dritte Liga – stets eine zweistellige Anzahl an Tore für den Jahn erzielt. In dieser Saison ist er mit vier Toren nach zehn Spielen erneut auf Kurs, obwohl er letzte Woche 34 Jahre alt geworden ist.
Doch nicht nur als Vollstrecker ist Grüttner wichtig. Naturgemäß ist er als Stürmer in einem System, das auf lange Bälle ausgerichtet ist, der Spieler mit den meisten Luftduellen. Er ist aber nicht nur Zweikämpfer, sondern auch Vorbereiter. Grüttner ist der Stammspieler mit den meisten Pässen, die zu Abschlüssen führen, den zweitmeisten Steckpässen und den meisten Torvorlagen. In der letzten Saison kam Grüttner insgesamt auf zehn Vorlagen, in dieser Saison sind es auch bereits wieder deren drei.
Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 25. Oktober 2019 unter dem Titel „Lang, weit und erfolgreich“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 40.