Der Trainer…
… wunderte sich vor zwei Jahren noch, ob Zeitspiel zur DNA des 1. FC Nürnberg gehöre. Damals war Uwe Neuhaus Trainer von Dynamo Dresden und hatte gerade 2:1 beim späteren Aufsteiger verloren. Inzwischen ist der 59-Jährige seit elf Monaten Trainer von Arminia Bielefeld. Neuhaus zählt mit 285 Spielen als Zweitligatrainer und 200 als Coach in der Dritten Liga zu den erfahrensten Trainern Deutschlands, die noch nie Bundesliga trainiert haben.
Etwas, das Neuhaus, der als Spieler über 100-mal für Wattenscheid im Oberhaus auflief, nach dieser Spielzeit ändern möchte. „Wenn sich die Chance bietet, muss man einfach zugreifen“, sagte Neuhaus gegenüber der WAZ, auch wenn er sich noch gegen die Bezeichnung Spitzenteam für den Tabellenzweiten wehrt: „Die Ansätze sind da. Aber um ein Spitzenteam zu sein, gehört ein kleines bisschen mehr dazu.“
In einer Tabelle des Kalenderjahres 2019 ist die Arminia aber definitiv ein Spitzenteam. Niemand hat mehr Punkte geholt als die Ostwestfalen und dies ist auch ein Verdienst von Uwe Neuhaus. Der hat aus der Arminia, die unter Saibene meist den Ball einfach lang auf Fabian Klos schlug, der den Ball dann auf Andreas Voglsammer ablegte oder selbst verarbeitete, eine dominante Ballbesitzmannschaft gemacht.
Die Grundordnung…
… betont diese Idee. Der Ball soll möglichst lange in Abwehr und Mittelfeld zirkulieren, bis sich eine Gelegenheit auftut, ihn gezielt ins Angriffsdrittel zu verlagern. Dabei hilft phasenweise auch ein taktischer Kniff, den kaum ein Team in der zweiten Liga anwendet. Die normale Herangehensweise der meisten Teams beim Aufbau über die Innenverteidiger ist es, einen Mittelfeldspieler in die Aufbaureihe zurückzuziehen, so dass sich die Innenverteidiger den Ball nicht über 50 Meter quer zuspielen müssen – auch wenn selbst dies ab und zu passiert. Ist dieser Mittelfeldspieler ein defensiver Mittelfeldspieler, ist dies der berühmt berüchtigte abkippende Sechser.
Bielefeld verzichtet in der Regel auf einen solchen abkippenden Sechser und zieht stattdessen Torwart Daniel Ortega in die Aufbaureihe vor. Der Fachbegriff hierfür ist leider nicht „vorkippender Einser“, sondern das eher uninspirierte Torwartkette. Der Vorteil der Torwartkette liegt auf der Hand, im Mittelfeld ist eine Anspielstation mehr frei als beim abkippenden Sechser, gleichzeitig steht der Torwart natürlich bis zu 25 Meter vor seinem Tor, so dass ein gezieltes Pressing des Torwarts zu gefährlichen Situationen führen kann. Bielefeld verzichtet deshalb gegen Teams mit frühem Pressing phasenweise auch auf die Torwartkette.
Ein anderes Charakteristkum des Bielefelder Spiels ist seine hohe Körperlichkeit. Die Ostwestfalen spielen dabei nicht unfair. Sie begehen pro Spiel ungefähr zwölf Fouls und liegen damit im Mittelfeld der Liga. Vielmehr setzen sie ihre vorhandene Physis zu ihren Gunsten ein. Überhaupt sind die Bielefelder ein gutes Beispiel dafür, dass statistische Werte nur bedingt Aussagekraft haben: In vielen Kategorien steht die Arminia im Mittelfeld, in der Tabelle aber weit vorne.
Die letzten Spiele…
… hat die Arminia in der Liga mit Ausnahme des Heimspiels gegen Stuttgart nicht verloren. Das Spiel gegen den VfB stellt bisher die einzige Niederlage Bielefelds im Ligabetrieb dar. sieben Siege und vier Remis, die drittwenigsten Gegentore und die zweitmeisten Tore runden das Bild der Spitzenmannschaft ab. Allerdings stotterte die Angriffsmaschine in den letzten Wochen ein wenig, in den letzten fünf Spielen erzielte man nur einmal mehr als ein Tor: letzten Sonntag gegen Kiel.
Uwe Neuhaus hat in diesen letzten Partien zwar nicht an der Grundidee des Spiels geschraubt, aber sein Team in einer ganzen Reihe an Formationen aufs Feld geschickt: 4-2-3-1, 4-4-1-1, 4-4-2 flach, 4-4-2 Raute. Wobei das meist nur für das Spiel mit dem Ball galt, gegen den Ball operiert Bielefeld dann meistens doch mit einem flachen 4-4-2. Die hohe Flexibilität und Adaptionsfähigkeit in Sachen Gegner ist dennoch eine der Stärken der Arminia, die sowohl gegen Ballbesitzteams wie Dresden als auch gegen Konterteams wie Regensburg oder Defensivkünstler wie Osnabrück gewinnen konnte.
Der Schlüsselspieler …
… ist Topscorer der Zweiten Liga. Mit acht Toren und fünf Vorlagen war Fabian Klos an mehr als der Hälfte aller Bielefelder Tore beteiligt. Der 31-Jährige ist in seiner neunten Spielzeit für die Arminia, in sechs der Saisons traf er zweistellig und ist auf dem besten Wege eine siebte hinzuzufügen. Natürlich ist Klos auch Kapitän der Ostwestfalen. Er ist natürlich der Spieler im Team mit den meisten Ballberührungen im gegnerischen Strafraum und ligaweit der Angreifer mit der höchsten Quote an Schüssen, die aufs Tor gehen (58%).
Der wuchtige Stürmer ist mit 1,94m Größe und 93 Kilogramm Gewicht für das physische Spiel der Arminia natürlich prädestiniert: In der gesamten Zweiten Bundesliga erhält kein Stürmer mehr lange Zuspiele als Klos. Schafft man es, wie der VfB Stuttgart, gegen den er nur zwei Ballkontakte im Strafraum hatte, Klos aus dem Spiel zu nehmen, hat man gute Chancen auf den Erfolg. Es ist allerdings kein leichtes Unterfangen den Routinier zu bändigen.
Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 8. November 2019 unter dem Titel „Wuchtig und dominant“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 360.