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Kurzporträt: Jens Keller

Der Club hat einen neuen Trainer, rechnet man die Interimstrainer mit, ist Jens Keller der fünfte Übungsleiter am Valznerweiher im Jahr 2019. Auch wenn Keller in der Antrittspressekonferenz betonte, dass sich das System immer an die Spieler anpassen müsse, lassen sich taktisch gewisse Linien feststellen, die Keller in seiner Arbeit immer wieder zeigt.

„Was Jens Keller bei Union schnell gelungen ist, war die Ausrichtung der Mannschaft auf eine bestimmte Spielidee. Die bestand damals eben in Pressing und Gegenpressing, mit einigen sichtbaren Regeln für das Spiel nach Ballgewinnen“, erklärt Daniel Roßbach. Roßbach ist Journalist und analysiert die Spiele von Union Berlin taktisch. Er hat Keller eineinhalb Jahre in Berlin begleitet und kennt die taktische Ausrichtung Kellers damit sehr gut, auch wenn er betont, dass man sich „immer etwas damit zurückhalten muss, aus der vergangenen Arbeit von Trainer*innen mit absoluter Sicherheit auf ihre zukünftige Arbeit zu schließen.“

Die Daten unterstützen das Bild vom Trainer, der auf Pressing wert legt. Der durchschnittliche Pressingdruck unter Keller lag sowohl in Berlin als auch in Ingolstadt bei sieben zugelassen gegnerischen Pässen pro eigener Defensivaktion. Der Club kommt bisher in dieser Saison durchschnittlich auf einen Wert von elf. In Kellers 62 Zweitligaspielen hatten seine Teams genau dreimal einen Wert der über dem diesjährigen Durchschnittswert des 1. FC Nürnberg lag.

Roßbach gibt im Gespräch gleichzeitig zu bedenken: „Die taktische Schwäche von Keller in seiner Zeit bei Union lag dann vor allem darin, diese Spielidee weiterzuentwickeln. Es ist nicht gelungen, neue Lösungen zu entwickeln, als sich der Rest der Liga auf Union eingestellt hatte. Das war letztlich auch ein großer Teil der Entscheidung des Vereins, sich von ihm zu trennen.“

Keller selbst betonte in seinen ersten Worten als Trainer in Nürnberg des Weiteren, dass er Wert auf schnelles Umschaltspiel „in beide Richtungen“ wert legt. Damit meint der 48-Jährige, dass eben nicht nur Tempo beim Spiel in die Spitze gefragt ist, sondern auch in der Bewegung hinter den Ball. Genau letzterer Aspekt hat auch schon Damir Canadi vor Probleme gestellt, da es den Abwehrspielern des FCN an relativer Geschwindigkeit mangelt.

In der Offensive sieht dies etwas anders aus: Mit Robin Hack und Felix Lohkemper hat der FCN zwei außergewöhnlich schnelle und antrittsstarke Angreifer. Diesen könnte bei konsequenter Umsetzung von Kellers Ideen daher eine besondere Rolle zukommen. Bei seinen bisherigen Stationen legte Keller nämlich im Spiel nach vorne stets Wert auf tiefe Bälle und scheute daher nicht davor zurück, den langen Ball spielen zu lassen, auch um möglichst schnell in Richtung gegnerisches Tor zu kommen. Auch hier sind die Werte aus Ingolstadt und Berlin fast deckungsgleich, ungefähr jeder siebte Pass von Kellers Mannschaften war ein langer Pass. Dies war durchaus erfolgreich, erklärt auch Daniel Roßbach: „Kellers Mannschaft hatte für das Spiel nach Ballgewinnen schon gute Mechanismen: dazu, das Ziel auf die Grundlinie zu kommen und von dort produktive Ablagen zu spielen.“

Im Gegensatz zu Damir Canadi, dessen idealer Fußball ja auch möglichst schnelles Umschalten beinhaltete, verzichtet Keller aber nicht gänzlich auf Ballbesitzphasen. Zwar tun sich Kellers Mannschaften ohne Ball oft etwas leichter, da ihnen – wie fast allen Zweitligisten – die Mittel fehlen, um tief stehende Gegner auseinanderzuspielen, sie kommen aber dennoch auf relativ hohe Ballbesitzzeiten. Ingolstadt hatte unter Kellers Leitung in der Hälfte der Spiele 55% Ballbesitz oder mehr, kam auf durschnittlich 53% Ballbesitz. In Berlin lagen die Zahlen etwas niedriger: 51,7% Ballbesitz und 40% aller Spiele mit mehr als 55% Ballbesitz.

Doch wie ist es um das bestellt, was Keller am Mittwoch auch als neuralgische Stelle ausgemacht hat: Die Defensive. Der Club hat die meisten Gegentore der Liga kassiert und auch wenn die statistischen Daten mit ungefähr 17 statistisch zu erwartenden und 27 tatsächlichen Gegentore sowie den zweitwenigsten Schüssen aufs eigene Tor einen Teil Pech implizieren, lässt sich die Tatsache, dass dort viel im Argen liegt nicht leugnen. Der Gegentorschnitt von Keller lag in Berlin (1,24) und Ingolstadt (1,33) deutlich unter dem des FCN in dieser Saison (2,07). Dessen Wert liegt ungefähr dort, wo Ingolstadts Schnitt auch lag, als Keller im Dezember 2018 übernahm. Er schaffte es dort also in diesem Bereich schnell eine signifikante Verbesserung herzustellen.

Roßbach charakterisiert Kellers Defensivarbeit in Berlin als „ziemlich stabil“ hebt aber auch hervor, dass dies viel mit der prägenden Person von Innenverteidiger Toni Leistner zu hatte und fügt an: „Ansonsten hatte natürlich auch das Pressing eine defensive Funktion.“ Dies bedeutet, dass ein Pressing durch die Angreifer, die vorne Druck ausüben natürlich den Spielaufbau des Gegners behindert, dieser so weniger Ordnung in sein Spiel bringen kann und insgesamt weniger gefährlich agiert.

Angegangen ist Keller dieses System sowohl in Ingolstadt als auch in Berlin meist in einer 4-3-3-Formation. Behält er das in Nürnberg bei, so müssten sich die Spieler dahingehend wenig umstellen, da die Übergänge zwischen Canadis 4-1-4-1 und Kellers 4-3-3 in Sachen Formation fließend sind. Generell lässt sich feststellen, dass viele Dinge, die Kellers Wunschvorstellung entsprechen, sich auch in Canadis Ideen wiederfinden ohne dass sie völlig deckungsgleich sind.

Ob dies gut für die Mannschaft ist, weil keine völlige Umgewöhnung stattfinden muss oder schlecht, weil sie sich mit Canadis Ideen sehr schwertat, wird sich zeigen müssen. Ein Saisonende wie in Berlin, wo Keller seine erste Saison auf Platz vier beendete, dürfte ihr jedenfalls lieber sein als das in Ingolstadt, welches inzwischen in der Dritten Liga spielt.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 15. November 2019 unter dem Titel „Zumindest für den Anfang eine gute Idee“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 30.