Der Trainer…
… ist in Nürnberg wohlbekannt: Dieter Hecking. Allerdings hat sich der 54-Jährige seit seiner Zeit beim FCN weiterentwickelt. Galten Hecking und sein Fußball in Nürnberg oftmals als spröde und defensiv, hat sich dies in Wolfsburg und Gladbach – auch dank qualitativ besserer Spieler – gewandelt. In der Hinrunde 2018/19 spielte Gladbach sehenswerten Offensivfußball, auch weil Hecking erkannte, dass das 4-4-2, das er in der Vorsaison hatte spielen lassen, „abgenutzt“ war. „Mit dem neuen 4-3-3-System sind es 50 Prozent mehr, da wird es automatisch gefährlicher“, erklärte er den neuen Ansatz ganz pragmatisch.
Obwohl Hecking immer noch der Ruf des Defensivkünstlers vorauseilt, spielen seine Mannschaften in der Regel kein aggressives Pressing. Als Richtwert für die Pressingintensität gilt der PPDA-Wert (Passes per defensive Action), der die gegnerischen Pässe in Relation zu den eigenen Defensivaktionen setzt. Hier fanden sich die Hecking-Teams stets unter den letzten vier der Tabelle. Heckings Defensivphilosophie kommt also nicht über frühes Stören, wohl aber über Mannorientierung.
Die ist nicht mit fester Manndeckung („Du folgst Deinem Gegenspieler bis aufs Klo“) zu verwechseln. Vielmehr heißt es, dass bei gegnerischem Ballbesitz nicht Passwege oder Räume zugestellt werden, sondern der Gegner selbst. So hat dieser wenig Zeit zur Ballverarbeitung. Klingt anachronistisch, kann aber erfolgreich sein: Mit Mannorientierung holte Jupp Heynckes einst das Triple.
Die Grundordnung…
… war in großen Teilen der Vorbereitung und auch gegen Darmstadt eben jenes 4-3-3, das Hecking schon in Gladbach favorisiert hatte. Zentrale Idee der Formation ist es, durch die doppelte Flügelbesetzung besonderen Druck auszuüben. Mit Jatta und Narey, aber auch den Neuzugängen Kittel und Amaechi, besitzt der HSV auf beiden Außenbahnen Offensivspieler, die für das System besonders geeignet sind.
Sollte der FCN am Montag wieder mit einer Dreierkette agieren, also die Flügel in der Grundordnung nur einfach besetzen, könnte es hier Probleme geben. Erst recht, weil Jatta und Leibold auf der linken Seite gegen die rechte Abwehrseite des FCN (Valentini/Sorg plus Margreitter) enorme Geschwindigkeitsvorteile haben.
Problematisch am 4-3-3 ist – neben der hohen Laufintensität für die drei Mittelfeldspieler – allerdings vor allem die Tatsache, dass der zentrale Stürmer keinen direkten Verbindungsspieler im Mittelfeld hat. So besteht die Gefahr, dass der Stürmer gewissermaßen „in der Luft hängt“. Im ersten Saisonspiel zeigte sich das bereits: Lukas Hinterseer wurde ganze acht Mal angespielt.
Die letzten Spiele…
… gegen Profiteams wurden allesamt nicht gewonnen. In der Vorbereitung verlor der HSV gegen Huddersfield, spielte Remis gegen Anderlecht, Piräus und Arhus. Ebenfalls unentschieden endete das erste Pflichtspiel. Gegen Darmstadt spielten die Rothosen 1:1. Das Hamburger Tor fiel per Elfmeter in der Nachspielzeit.
Hätte der HSV vor der Pause seine zwei Großchancen genutzt, es hätte des späten Ausgleichs gar nicht erst bedurft. Denn vor der Pause agierten die Hamburger sehr zielstrebig bis zum Tor der Gäste, scheiterten dann aber kläglich. Auffällig war, dass sie vor der Pause fast gänzlich auf Flanken verzichteten, sondern stattdessen versuchten mit flachen Pässen von außen in den Strafraum zu kombinieren. Beide Großchancen entstanden auf diese Weise.
Von dieser Marschroute war nach dem Gegentreffer 14 Sekunden nach Wiederanpfiff dann nichts mehr zu sehen. Der HSV agierte verunsichert und fahrig, flankte viel und kam kaum noch zu eigenen Chancen. Wie in der Vorsaison wurden die Hamburger von einem Misserfolg aus der Bahn geworfen und erwiesen sich als psychologisch nicht stabil. Tobias Escher, der Doyen der deutschen Taktikanalyse, überschrieb deshalb seine Spielbetrachtung auch mit „neuer HSV, alte Probleme“.
Für den FCN gilt also: Früh treffen und dann die Verunsicherung ausnutzen. Aber Tore schießen ist ja eigentlich immer ein guter Plan.
Der Schlüsselspieler …
… ist derjenige, als dessen Ersatz der HSV bereits Ewerton verpflichtet hat: Rick van Drongelen. Der 20-jährige Niederländer gilt als heißer Verkaufskandidat in dieser Transferperiode. Noch ist er aber in Hamburg und spielt dort als linker Innenverteidiger. Schon im Vorjahr war er für den Spielaufbau mitverantwortlich, weil er selbst bei langen und tiefen Bällen noch eine herausragende Passquote hat.
Läuft der Aufbau – wie vergangenes Wochenende gegen Darmstadt – über geduldiges Zurechtspielen des Gegners nimmt van Drongelen eine Schlüsselposition ein. 95-mal kam er vergangenen Sonntag an den Ball. Er ist derjenige, der die Bälle zum Starten des Angriffs auf die linke Seite legt. Gegen Darmstadt fanden fast zehn Prozent aller Zuspiele des HSV nur zwischen Jatta, Leibold und van Drongelen statt – und das obwohl Jatta nach 64 Minuten ausgewechselt wurde.
Gelingt es dem FCN van Drongelen unter Druck zu setzen und die Passmaschine ins Stottern geraten zu lassen, könnten sich Möglichkeiten ergeben, gerade weil van Drongelen – wie auch Nebenmann Papadopoulos – beim Aufbau oft schon in der gegnerischen Hälfte steht und nicht als besonders pressingresistent gilt.
Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 2. August 2019 unter dem Titel „Gefährlich und psychologisch nicht stabil“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.