Das Hinspiel …
… war ein wildes Fußballspiel, das am Ende 3:3 endete. 26 Torschüsse gab der Club an diesem Sonntag in Richtung Tor ab, allein 17 davon von außerhalb des Strafraums. Darmstadt dagegen schoss nur elfmal aufs Tor, aber nur einmal von außerhalb des Sechzehnmeterraums.
Skurril war Mitte September am Böllenfalltor, dass die Torfolge gegenläufig zu den Spielanteilen war. Während Darmstadt vor der Pause mehr Ballbesitz und bessere Chancen hatte, der Club aber zwei Tore machte, drehte sich das Verhältnis nach der Pause um. Die Partie war der beste Beweis dafür, dass statistische Indikatoren eben nicht immer alles erklären können.
Vor der Pause hatte der FCN auch erhebliche Probleme mit Marcel Heller, Darmstadts Rechtsaußen schlug neun Flanken in den Clubstrafraum, schaffte es immer wieder in den Rücken der Abwehr. Erst als Damir Canadi den inzwischen nach Österreich zurückgekehrte Lukas Jäger einwechselte und als linken Innenverteidiger in der Dreierkette brachte, kam Heller nicht mehr so zur Geltung.
Anders seitdem ist …
… keinesfalls die Rechtslastigkeit der Lilien. Von dort fliegen immer noch wesentlich mehr Flanken (8,1 pro 90 Minuten) in den gegnerischen Strafraum als von links (5,7). Auch die Fähigkeit gegnerische Schüsse zu verhindern, hat Darmstadt seit dem Hinspiel nicht erlangt: Fast 14 Schüsse pro Spiel lassen die Südhessen zu, nur der KSC kommt auf einen vergleichbaren Wert.
Auf der anderen Seite war auch die Zahl der Fernschüsse auf das Lilien-Tor typisch. Die durchschnittliche Schussentfernung auf den Darmstädter Kasten ist fast 20 Meter, so weit weg vom eigenen Tor wie bei keinem anderen Team in der Zweiten Liga. Selbst schießen die Darmstädter aber in der Regel deutlich häufiger aus der Distanz aufs Tor als im Hinspiel: Nur die beiden fränkischen Zweitligisten haben mehr Fernschüsse in Richtung gegnerisches Tor abgegeben. Auf Grund dieser Parameter sollte man am Sonntag eigentlich ein Fernschussfestival erwarten.
(Trainer Dimitrios Grammozis rotiert seine Grundformationen auch weiterhin, wechselt recht frei zwischen einem 4-2-3-1, einem flachen 4-4-2 und einer Variante die einen Hybrid zwischen den beiden Formationen darstellt, bei der eine Art “hängende Spitze” nicht als Zehner in der Mittelfeldreihe, aber auch nicht als klare zweite Spitze agiert. Notiert wird das dann meist als 4-4-1-1.)
Statistisch auffällig beim Gegner…
Darmstadt trifft früh und spät: 15 Tore haben die Hessen in der ersten oder letzten Viertelstunde des Spiels erzielt, in den restlichen 60 Minuten des Spiels lediglich zwölf. Ebenfalls auffällig: Trotz Spielern wie Marcel Heller, die viel Geschwindigkeit auf den Platz bringen hat der SVD nur ein einziges Tor per Konter erzielt.
Interessant ist auch, dass Darmstadt mehr als 40 Prozent seiner Eckbälle an den kurzen Pfosten spielt. Nur Heidenheim spielt anteilig mehr Ecken an den ersten Pfosten, was vergangenen Freitag auch zum Späten Ausgleich gegen den FCN führte. Gepaart mit der Tatsache, dass die Lilien überdurchschnittlich viele Tore durch Standards erzielen, zeigt das eine mögliche Schwierigkeit für den FCN am Sonntag an.
Darüber hinaus charakterisiert ein Gegensatz das Darmstädter Spiel: Einerseits haben die Lilien nur einen durchschnittlichen Ballbesitz von 44 Prozent, gehören damit zu den vier Teams mit dem geringsten Wert in dieser Kategorie. Andererseits spielt Darmstadt, wenn sie einmal den Ball haben, die meisten Pässe pro Minute. Das heißt Darmstadt wartet auf den Ballbesitz, überlässt dem Gegner auch gern die Kugel, presst nicht stark, hat den zweithöchsten PPDA-Wert der Liga, den geringsten Anteil an Defensivaktionen pro Minute gegnerischer Ballbesitz) und erobert auch wenig Bälle. Sobald der Ball aber erobert ist, wird der Ball schnell gepasst und über viele Stationen gespielt.
Der Hipster-Spieler …
… ist nicht mehr länger der echte Hipster Marco Sailer, der mit veganer Ernährung und Zottelbart tatsächlich als Hipster durchgegangen wäre. Doch der 34-Jährige hat nach einiger Zeit bei Wacker Nordhausen seine Karriere beendet. Dabei stellt sich die Suche nach einem würdigen Nachfolger relativ schwer dar. Der naheliegendste Kandidat für den versteckten Schlüsselspieler ist gesperrt: Innenverteidiger Immanuel Höhn ist der passsicherste Darmstädter (94 Prozent), gestaltet den Aufbau, schoss letzte Woche den Siegtreffer gegen Sandhausen, flog aber kurz danach vom Platz.
Spieler wie Marvin Mehlem oder Serdar Dursun dagegen sind offensichtliche Schlüsselspieler. Als Hipster-Spieler qualifiziert sich daher am ehesten Seung-Ho Paik. Der Südkoreaner war mit 13 Jahren aus der Heimat zum FC Barcelona gewechselt, hat dort alle Jugendmannschaften durchlaufen, schaffte aber am Ende den Durchbruch nicht und spielte zwei Jahre in der zweiten Mannschaft des katalanischen Zweitligisten Girona, ehe er nach Deutschland wechselte.
In Darmstadt ist Paik der stille Tonangeber. Er spielt von allen Darmstädtern die meisten und genauesten Pässe ins letzte Drittel, spielt von allen Stammkräften im Mittelfeld die genauesten Vorwärtspässe und nach Mehlem die meisten Steckpässe. Wie wichtig Paik ist, zeigt sich auch hieran: Der Punkteschnitt mit Paik in der Startelf ist 1,44 Punkte pro Spiel, ohne ihn liegt er bei 1,0.
Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 21. Februar 2020 unter dem Titel „Mit einem Hauch von Barcelona“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 36.