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Taktiktafel: Wehen-Wiesbaden (H)

Der Trainer …

… ist entgegen anders lautender Meldungen nicht gesperrt. Zwar hat Rüdiger Rehm tatsächlich schon vier Gelbe Karten erhalten, doch war eine davon vor der Festlegung, dass auch Trainer Gelbsperren kassieren können. Also darf der 41-Jährige morgen ganz normal auf der Bank Platz nehmen. Dabei kennt sich der ehemalige Außenverteidiger mit Sperren aus: In acht Spielzeiten in der Zweiten Liga für Mannheim, Saarbrücken, Reutlingen, Aue und Offenbach saß Rehm vierzehn Sperren ab.

Im Herbst seiner Karriere heuerte Rehm bei der SG Sonnenhof Großaspach als spielender Co-Trainer an. Sein letztes Mal auf dem Spielberichtsbogen: Eine 1:3-Niederlage beim FCN II im Dezember 2011. Im darauffolgenden Sommer wurde Rehm nach dem Abgang des bisherigen Chefs Alexander Zorniger zum Cheftrainer befördert. Es folgte der Aufstieg in die Dritte Liga durch einen Sieg gegen Valerien Ismaels Wolfsburg II und zwei Spielzeiten, in denen Rehm, der zwischenzeitlich eine Pause eingelegt hatte, um seinen Fußballlehrerschein zu erwerben, Großaspach zum Klassenerhalt führte.

Der Erfolg mit geringen Mitteln machte Arminia Bielefeld auf Rehm aufmerksam, doch der Ausflug in die zweite Liga endete nach einem Start mit fünf Remis und fünf Niederlagen schnell. Daher Rehms erster Sieg als Zweitligatrainer tatsächlich erst das 2:0 mit Wiesbaden gegen Osnabrück. Zum Verein aus der hessischen Landeshauptstadt war Rehm, der jenseits der Seitenlinie von seinen Spielern menschlich sehr geschätzt wird, im Februar 2017 gewechselt. Unter Rehms Führung verlor der SVWW nur drei seiner achtzehn Pflichtspiele. Auf einen vierten Rang 2017/18 folgte 2018/19 der Sprung auf Platz Drei und die erfolgreiche Relegation gegen Ingolstadt.

Die Grundordnung …

… beschreibt Rehm so: „Grundsätzlich bin ich kein Verfechter eines bestimmten Spielsystems. Wir müssen vielmehr immer in der Lage sein, auf bestimmte Gegner oder Situationen zu reagieren.“ Das hindert Rehm nicht daran, sein Team in den letzten Wochen konstant mit einem 5-4-1 als Grundordnung agieren zu lassen. Allerdings wechselte Rehm beim 3:6 gegen Kiel am Samstag nach drei Gegentoren auf ein 4-4-2, was die Gegentorflut jedoch nicht eindämmte.

In den Wochen zuvor hatte die Fünferkette allerdings für eine Stabilisierung gesorgt, nur drei Gegentore hatte Wehen in den sechs vorherigen Spielen kassiert, nachdem es 23 Gegentore in den ersten sieben Spielen gehagelt hatte. Das ist auch die Intention hinter einer derartigen Formation, welche die Räume im letzten Spielfelddrittel extrem verdichtet und es so dem Gegner schwer machen soll, frei vors Tor zu kommen.

Hinzu kommt, dass Rehm die Formation, die man durchaus auch offensiv spielen könnte, indem man die Außenspieler weiter vorne positioniert, extrem defensiv auslegt. Es ergeben sich so in der Regel zwei tief stehende Riegel mit fünf Abwehr- und vier Mittelfeldspielern, die schwer zu durchbrechen sind. Darunter leidet natürlich der eigene Spielaufbau, der meist aus langen Bällen auf Schäffler besteht.

Die letzten Spiele …

… beinhalteten vier Punkte gegen Stuttgart und Hamburg, zwei torlose Remis gegen Heidenheim und in Sandhausen sowie Niederlagen in Dresden und gegen Kiel. Gerade der 2:1-Sieg in Stuttgart war bemerkenswert. Trotz einer Bilanz von 29:6 Torschüssen, 823:122 Pässen, 84%:16% Ballbesitz, expected Goals Werten von 3,68:0,46 und einer Passquote von 61% gewann Wehen das Spiel mit 2:1.

Auch wenn das Ergebnis in jeder Hinsicht ein statistischer Ausreißer ist, so steht das Spiel doch im Extremen dafür, wie Wiesbaden agiert. Man verzichtet auf Ballbesitz, beschränkt sich auf wenige Nadelstiche als Angriffe und spielt wenige, oft auch lange, Pässe. So sind die Hessen auch ligaweit das Schlusslicht in Sachen Ballbesitz und Tabellenführer in Sachen lange Pässe. Gleichzeitig ist das Spiel des SVWW dadurch keineswegs offensiv harmlos. In Sachen Ballkontakte im Strafraum, eigene Schüsse, Pässe zu Torabschlüssen und kreative Pässe findet sich der Aufstieger im Mittelfeld der statistischen Tabellen wieder. Man spielt also den langen Ball effizient und mit Zug zum Tor.

Der Schlüsselspieler …

… ist sicherlich Manuel Schäffler. Mit zehn Toren aus 14 Partien hat der Angreifer mehr als die Hälfte der 17 Treffer der Wiesbadener erzielt. Schäffler gibt im 5-4-1 die einzige Spitze und ist eindeutig der Zielspieler in Rehms System. Er führt die meisten Offensivzweikämpfe, viele davon nach hohen Anspielen in der Luft. Er ist deshalb auch der Spieler, der in die meisten Kopfballduelle muss. Nur fünf Spieler in der Zweiten Liga gingen bislang häufiger in ein Luftduell.

Schäffler ist zwar kein reiner Verwerter– unter den Stammspielern kommt er auf die höchsten Werte in Sachen Steckpässe – doch er ist durchaus in erster Linie das, was man einen bulligen Stoßstürmer nennen kann. Wenn man ihn ausschaltet, kommt ein Großteil des Spiels der Wiesbadener zum Erliegen, auch wenn auch Spieler wie Ex-Cluberer Maximilian Dittgen und Stefan Aigner, die Schäffler über die Flügel unterstützen, bisweilen für Gefahr sorgen können.

Der Artikel erschien in leicht veränderter Fassung am 29. November 2019 unter dem Titel „Stumpfe Nadelstiche“ im Nürnberger Stadtanzeiger, dem gemeinsamen Lokalteil von Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung, auf Seite 40.

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